INDIEKINO BERLIN Magazin #22, Januar 2016

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INDIEKRITIKEN Kuba 2014 D 108 min D R: Ernesto Daranas D B: Ernesto Daranas D K: Alejandro Pérez D S: Pedro Suárez D D: Yuliet Cruz, Armando Miguel Gómez, Armando Valdés Freire, Miriel Cejas, Idalmis Garcia D V: Kairos Filmverleih

CONDUCTA – WIR WERDEN SEIN WIE CHE

Frankreich 2015 D 91 min D R: Guillaume Nicloux D B: Guillaume Nicloux D K: Christophe Offenstein D S: Guy Lecorne D D: Isabelle Huppert, Gérard Depardieu, Dan Warner, Dionne Houle D V: Concorde Filmverleih

VALLEY OF LOVE Magie im Tal des Todes

Ausnahmelehrerin in Aktion

Chala hat es faustdick hinter den Ohren. Der ungefähr achtjährige Junge ist Klassenclown, unerschrockener Charmeur und ein ungebremstes Energiebündel. Aus den Augen blitzt es kindlich zutraulich, Haltung und Gang proben schon Mackerposen. Gleich zu Beginn sieht man Chala in voller Aktion, wie er vom Dach eines Häuserblocks in Havanna, auf dem er eben noch seine Tauben versorgt hat, hinunterstürmt, unterwegs noch schnell die Hunde füttert, die Nachbarin umrennt, sich Schultasche und Halstuch greift, die Tür ins Schloss knallt und auf die Straße sprintet, wo er seiner Lehrerin Carmela atemlos die Bücher abnimmt, um sie ihr zur Schule zu tragen. Carmela ist so ungefähr die Einzige die Chalas überbordende Energie etwas einhegen, das Kind umsorgen und den Macker ausbremsen kann. Sonst ist da niemand. Die Mutter ist Alkoholikerin und braucht selbst jemanden, der sich um sie kümmert und der Vater weigert sich die Vaterschaft anzuerkennen. Immerhin verhilft er der Familie zu etwas Geld, indem er Chala für die Pflege seiner Kampfhunde bezahlt. Als Carmela durch einen Herzinfarkt vorübergehend außer Gefecht ist, steht auf einmal niemand mehr zwischen Chala und der drohenden Resozialisierungsmaßnahme. Doch kaum ist sie zurück, nimmt sie den Kampf für ihre Schützlinge, zu denen auch Yeni gehört, die keine Papiere hat, weil sie illegal aus der Provinz in die Hauptstadt gezogen ist, wieder auf. CONDUCTA erzählt warmherzig von einer Ausnahmelehrerin, die persönliche Moral und Verantwortung über die Regeln von Staat und Schule stellt. Ein fast dokumentarischer Blick, der sich für den Alltag der Kinder und das Funktionieren von Bildung interessiert und der unerschütterliche Optimismus der Filmemacher erinnern dabei von Ferne an die utopischeren der Ken Loach-Filme. D Hendrike Bake

Start am 7.1.2016 ¢ fsk-Kino am Oranienplatz

OMU

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8-year old Chala is a handful. Class clown, heartthrob and family provider, he’s a street kid on his way to delinquency. Carmela, his teacher, is the only person who knows how to deal with him.

Isabell Huppert läuft in einem bunten Blümchenkleid den Weg zu einem Hotel in Kalifornien. Die Kamera folgt ihr, so dass ihr Gesicht nicht zu sehen ist, aber man erkennt sofort ihre schmalen Huppert-Schultern, die Huppert-Frisur und den Huppert-Gang. Der einst größte weibliche Star des europäischen Kinos trifft im Death Valley den einst größten männlichen Star des europäischen Kinos, Gérard Depardieu. Sie spielen zwei Schauspieler, die vor dreißig Jahren gemeinsam ein Kind hatten. Die Beziehung ist lange beendet und ihr Sohn ist tot. Vor seinem Selbstmord hat er beiden einen Brief geschrieben, in dem er verspricht, physisch zurückzukehren, wenn sie seinen Anweisungen folgen und täglich bestimmte Orte im heißen Wüstental besuchen. Gérard hält das für eine Art Strafe, denn beide sind schon lange von ihrem Sohn entfremdet. Isabell sieht den Brief als eine Chance, eine Gelegenheit zu trauern und Zeit miteinander zu verbringen. Dennoch kann sie die Hände nicht von ihrem Smartphone lassen, mit dem sie keinen Kontakt herstellen kann. Mit Isabell und Gérard stimmt etwas nicht. Sie ist zu dünn, er ist zu dick. Sie braucht eine andere Art von Verbindung, in ihm ist etwas, das heraus muss. Vor der gleißenden Wüstenkulisse absolvieren sie das Ritual, das auch eine magische Beschwörung ist. VALLEY OF LOVE erinnert an die philosophischen Filme von Eric Rohmer, in denen existentielle Fragen im Modus des Alltäglichen verhandelt werden. Dieser wundervolle Film von Guillaume Nicloux hat sehr komische Momente, ergibt sich aber nie in die unmenschliche Brutalität der Idee, man müsse ernste Dinge – Trauer, Tod, Krankheit – als Komödie fassen. Der Humor erscheint im Alltag, nicht in der Tragödie. Die Tragödie ist herzzerreißend, nicht komisch. Im Tal des Todes geschehen seltsame Dinge, es gibt Momente des Schreckens und der Angst, aber beschworen wird die Liebe. D Tom Dorow

Start am 21.1.2016 ¢ Bundesplatz Kino ¢ Hackesche Höfe Kino OMU ¢ Eva Lichtspiele DF OMU DF OMU

Gérard Depardieu and Isabell Huppert play two actors, whose relationship fell                      apart long ago. A letter sent by their son on the day he killed himself brings them to Death Valley.

JANUAR 2016 D

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