Wir, wir selbst sind die Methode

Page 322

Anka: Wie fasst Ihr Eure Vision heute in Worte? Livia: Wir haben uns geeinigt auf Haus für Kosmopolitisches. Das Schöne an dem Pro­ jekt ist ja, dass alle, mit denen wir zusam­ menarbeiten und in Austausch stehen, ihren eigenen Spiegel, ihren eigenen Ort darin fin­ den. Meine kleine Vision ist es, einen Ort zu entwerfen, wo mit gesellschaftlichen Gegen­ modellen experimentiert werden kann; wo es Synergien gibt; wo Akteure, die am Wandel im weitesten Sinne arbeiten, zusammenkom­ men und so Neues entstehen kann. Etienne: Die Herberge ist für mich ein starkes Symbol, eine temporäre Heimat. Sie ist ein Ort, der niemandem gehört, wo aber alle hinkommen können. Das ist für mich der Kern, der von Anfang an da war.

222

223

Anka: Was versteht Ihr denn unter «kosmopolitisch»? Livia: Es geht um eine Zugehörigkeit zur Welt, die nicht über nationale Grenzen und anderen Unsinn definiert wird. Wörtlich übersetzt steht das Wort für ein Weltbürger­ tum. Dabei gehen wir von einem Verständnis von Bürgerschaft aus, das an das Konzept der Urban Citizenship angelehnt ist, wonach der Zugang zur städtischen Praxis und zu ihrer Mitgestaltung für alle möglich sein soll. Anka: So wie ich es verstehe, geht es darum, einen Ort zu schaffen, wo verschiedenste Menschen zusammenkommen, wo auch immer sie herkommen und was auch immer sie mitbringen. Livia: Einen Ort, der die Vielfalt der Welt aufnimmt, wo Verschiedenes nebeneinander existieren und miteinander in Austausch treten kann. Anka: Was braucht es denn für Rahmenbedingungen dafür, dass diese Vision Realität werden kann? Wir erleben ja im Moment auch zur Genüge, dass Diversität nicht gelingt oder nicht ausgehalten wird, dass nicht unbedingt Kontakt entsteht zwischen Menschen, die verschieden sind, und dass es nicht funktioniert, über Grenzen und Unterschiede hinweg

gute Formen des Zusammenlebens zu finden. Livia: Wir haben verschiedene Ansätze. Wich­ tig ist da zum Beispiel der Offene Salon, der für alle offen ist; ein Raum, den alle mitge­ stalten können. Was dann da schlussendlich passiert, kann niemand wirklich beeinflussen. Diese Offenheit auszuhalten ist sehr wich­ tig. Es geht darum, Räume zu schaffen, die diese Offenheit bieten können. Das ist die eine H ­ erangehensweise; die andere besteht darin, die Nachbarschaft und verschiedene Initiativen aus der Stadt einzuladen, Teil des Projekts zu werden und ihre eigenen Ansich­ ten und Ansätze zur Diskussion zu stellen. Etienne: Wir sind jetzt in erster Linie dabei, so einen Raum in der Stadt überhaupt erst mal zu ermöglichen. Anka: Hat die Flüchtlingsdebatte Euer Projekt beeinflusst? Livia: Mobilität war immer ein Thema. Globale Mobilität, egal in welcher Form. Wir stehen dafür ein, Mobilität als globales Phä­ nomen zu verstehen und nicht in Tourismus und Flüchtlingsbewegung zu unterteilen. Laura: Ob da ein Geflüchteter kommt oder ein Künstler oder ein Tourist – budgetmässig sind das riesige Unterschiede. Da gibt es klare Ein- und Ausgrenzungsmechanismen mittels Geld. Etienne: Das Symbol der Herberge, wo jeder kommen und gehen kann wie er will, funktioniert in der Realität natürlich nicht. Wir sind in Strukturen und Realitäten ein­ gebunden, die wir nicht einfach so in nichts auflösen können. Wichtig ist, ein gemein­ sames Bewusstsein zu schaffen, dass es auch anders gehen könnte, und dieses Andere dann Schritt für Schritt auszuprobieren. Als ersten Schritt planen wir Wohnstudios für geflüchtete Menschen. Auch wenn diese Wohnmöglichkeiten Teil der momentanen Struktur bleiben, so können wir doch Begeg­ nung, Anschluss und Sichtbarkeit bieten. Laura: Oft leben die geflüchteten Menschen isoliert und kommen gar nicht in Kontakt mit Leuten, die offen oder bereit sind, sich auszutauschen. Dieser


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.