Motion INNOVATION INTERVIEW INTERNATIONAL
01.2015 Das Kundenmagazin der UNITED GRINDING Group
An den Customer-Touchpoints mehr bieten Design Thinking ändert den Blickwinkel Wachstum in Amerika
NÄHE HERSTELLEN Nur wer die Bedürfnisse des Kunden genau kennt, ndet die richtige Lösung
Techniker John Majusick, Miamisburg, USA
27.04.15 16:16
INTERVIEW
Das MotionGespräch zwischen Prof. Dr. Andreas Ninck (rechts) und Stephan Nell fand in den Launchlabs statt, einem Innovationsloft in Basel, Schweiz
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MEHR ALS MASCHINEN, VIEL MEHR
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Es reicht heute nicht mehr, Maschinen zu verkaufen. Die Marken der UNITED GRINDING Group haben diesen Trend frühzeitig erkannt. Mit dem Ziel, ihre Kunden erfolgreich zu machen, bieten sie ein ganzes System von Dienstleistungen. Stephan Nell, CEO der UNITED GRINDING Group, erörtert mit dem DesignThinking-Experten Professor Dr. Andreas Ninck, wie viel Kreativität im Unternehmen dies erfordert i und wie sich diese Kreativität entwickeln lässt INTERVIEW: MICHAEL HOPP FOTOGRAFIE: DOMINIK GIGLER Motion 01. 2015 21
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INTERVIEW
IM GESPRÄCH PROFESSOR DR. ANDREAS NINCK Der Experte ist Dozent am Institut für Unternehmensentwicklung der Berner Fachhochschule und einer der Vordenker des Design Thinking. Die Kreativitätsschule basiert auf der Überzeugung, dass Probleme besser gelöst werden können, wenn Fachkräfte unterschiedlicher Disziplinen zusammenarbeiten.
STEPHAN NELL Der Schweizer kam 2003 als Vertriebsleiter zu STUDER. Von 2005 bis 2011 war er dort Mitglied der Geschäftsführung und ist seit 2012 CEO der United Grinding Group AG.
Herr Nell, in dieser Motion beschäftigen wir uns mit dem Customer-ExperienceManagement in der UNITED GRINDING Group. Damit ist ja weitaus mehr gemeint als Aftersales-Services oder Kundendienst \ Stephan Nell: Es sind ja nicht nur neue Begriffe. Wir bieten dem Kunden heute nicht nur einen Service an, sondern wir kümmern uns umfassend um ihn. Wir mmanagenn die gesamte Erfahrung des Kunden mit dem Produkt.
]WIR BIETEN DEM KUNDEN NICHT NUR EINEN SERVICE AN \ WIR KÜMMERN UNS UM IHN. DAS DRÜCKT CUSTOMER CARE DEUTLICH BESSER AUS ALS ETWA KUNDENDIENST._ Stephan Nell
Herr Dr. Ninck, Sie sehen das Thema unter dem Blickwinkel des Design Thinking. Wo ist das kreative Moment im Customer-Experience-Management? Andreas Ninck: Spannend ist zunächst, wie sich der Service gewandelt hat. Der Begriff Service wird weltweit ganz unterschiedlich verstanden. Es gibt Kunden, die sich fragen, ob eine Maschine vielleicht schlecht sei, wenn sie das Serviceangebot gleich beim Kauf mitbekommen. Stephan Nell: Diese Reaktion erleben wir teilweise in asiatischen Märkten. Andreas Ninck: Service hat ohne Zweifel eine Wandlung erfahren. Man fragt sich heute, wie man als Unternehmen die Aktivitäten eines Kunden unterstützen kann. Unternehmen sehen sich auch als Berater, die verstehen, was der Kunde mit diesen Geräten macht. Der Kunde will keine Maschine, sondern er will Wert generieren, und das mit möglichst wenig Aufwand. Stephan Nell: Früher meldete sich der Kunde, wir reagierten. Heute gehen wir proaktiv auf ihn zu. Unser Ziel als ganzes Unternehmen ist es, Kunden erfolgreicher zu machen. Früher ging es darum, dass man eine Schleifaufgabe technisch möglichst perfekt löst. Heute spielen auch andere Dinge eine Rolle, wie beispielsweise die Ergonomie bei der Bedienung i ein immer wichtiger werdendes Thema. Das trägt auch dazu bei, dass die Firma des Kunden am Ende erfolgreich sein kann, weil die Mitarbeiter an einem ergonomischen Arbeitsplatz mit weniger Mühe bessere Leistung bringen können. Engineering allein reicht heute nicht mehr? Stephan Nell: Es ist nur mehr ein Teil dessen, was wir tun müssen. Es ist aber nicht das, wofür uns der Kunde bezahlt. Der Kunde bezahlt, dass sein Unternehmen nachher läuft. Das ist eine Verschiebung, weg von der Maschine als Kern zu einem viel breiteren Ansatz. Es beginnt bei der Entwicklung der Maschine und endet ... eigentlich nie. Inbegriffen sind Applikationsberatung, die Systemkonstruktion selbst, gemeinsame Tests, aber auch die Finanzierung. Immer wieder gibt es auf dieser Strecke Berührungspunkte zwischen dem Kunden und der Marke. Und die müssen wir so gestalten, dass sie den Kunden weiterbringen. Klar sind die Maschinen selbst nach wie vor ein zentrales Thema. Doch mittlerweile hat der Bereich Customer Care eine gleichberechtigte Rolle eingenommen.
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]WENN MAN SICH KONSEQUENT ALS DIENSTLEISTER VERSTEHT, ALS ERBRINGER VON KUNDENNUTZEN, KANN MAN ZUSÄTZLICHES POTENZIAL AUSSCHÖPFEN._ Dr. Andreas Ninck
Wie implementiert man so eine Grundhaltung in der Organisation? Stephan Nell: Bei uns in der Gruppe ist es je nach Historie, nach Kundenkreis oder geogra scher Lage sehr unterschiedlich, in welchem Status die einzelnen Unternehmen sind. Für alle geht es darum, Kunden erfolgreich zu machen. Wir haben unsere Unternehmensphilosophie PuLs®: Unser Hauptgedanke ist, Verschwendung zu vermeiden. Anders formuliert: Wir überlegen immer, ob das, was wir tun, auch erfolgreich ist und der Kunde bereit ist, dafür zu bezahlen, weil es ihm einen Mehrwert bietet. Sie haben schon zu Ihrer Zeit bei STUDER in diese Richtung gearbeitet. Stephan Nell: Bei STUDER gab es i vor meiner Zeit i Ansätze, die in diese Richtung gingen. Zum Beispiel hat man mit Iterations-
schleifen gearbeitet. Wenn es Fehler gibt, geht es in die Gruppe zurück und man fängt von vorne an. Man redet mit den Kunden, macht Tests in verschiedenen kulturellen Regionen, um zu verstehen, was unsere Kunden wirklich wollen. Es wird unzählige Male geschliffen, bis eine Maschine auf den Markt kommt. Beispiel: Die STUDER S41 hatte mehr Testschleifstunden als der A380 Flugstunden, bevor er freigegeben wurde. Andreas Ninck: Die Iterationsschleifen, die Sie angesprochen haben, beinhalten schon den Anfang des interdisziplinären Denkens. Die Einstellung, dass der Wandel nicht nur in der Führung statt nden muss, sondern in den Köpfen der Mitarbeiter. Erst wenn die Leute, die diese Maschinen produzieren, sehen, was der Kunde macht und wie sie sich da besser einbringen können, entsteht Potenzial. Beispiel Telekommunikation: Anfangs hat man Handys verkauft, aber schnell
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gemerkt, dass man mehr Geld verdienen kann, wenn man schaut, was man damit außer Telefonieren alles machen kann. Wenn man sich konsequent als Dienstleister versteht, als Erbringer von Kundennutzen, kann man zusätzliches Potenzial ausschöpfen. Design Thinking stammt aus Stanford, aus dem Silicon Valley. Können Schleifmaschinenhersteller von Apple lernen? Andreas Ninck: Spannend ist, wie der Begriff mDesign Thinkingn entstanden ist. Im Silicon Valley gibt es die Innovationsschmiede IDEO. David Kelley, der Mitgründer, wurde in mBusiness Weekn interviewt. Das Thema war mDesignn. Er hat das sofort korrigiert und gesagt, dass IDEO mehr als Design macht. mWe do design thinkingn i und hat so den Begriff kreiert. Er hat darauf Wert gelegt, dass damit der Prozess von dem Moment an, wo ich mich mit den Bedürfnissen des Kunden auseinandersetze, bis zur Lösungs ndung gemeint ist. Stephan Nell: Wir verkaufen Lösungen, keine Maschinen. Es braucht vor allem Zeit, bis sich alle im Kopf darauf umstellen können. Motion 01. 2015 23
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UNITED ITED GRINDING GROUP INTERVIEW
MEHR ALS DESIGN Die Innovationsmethodik Design Thinking, an der sich die UNITED GRINDING Group beim Customer Care oder beim Customer-Experience-Management orientiert, hat weniger mit Design im engeren Sinn zu tun, sondern ist eher im Sinne von kreativer Lösungsentwicklung zu verstehen.
DIE METHODE In erster Linie ein Lernprozess Im Zusammenspiel zwischen Nutzern und Entwicklern wird neues Wissen generiert i und aus diesem Wissen heraus bessere Lösungen. Der Lernprozess ist nicht linear, sondern zyklisch und iterativ. Die Ansprüche der Stakeholder stehen konsequent im Mittelpunkt.
ERFINDERISCHES DENKEN Zusammenspiel zwischen Nutzern und Entwicklern Lange war der Designprozess vom EngineeringGedanken geprägt: Man ging davon aus, dass man das Problem kennt und die Aufgabe darin besteht, die richtige Lösung zu nden. Heute werden Neuerungen nicht mehr ausschließlich inside-out aus der Sicht einer Firma oder eines Dienstleisters generiert, sondern aus Sicht der Stakeholder beziehungsweise der Kunden. Den Prozess hierfür beschreibt Design Thinking.
WURZELN IM SILICON VALLEY Lernen von Apple Die Methodik hat ihre Wurzeln an der Stanford University in Kalifornien (Larry Leifer, David Kelley, Terry Winograd) und gewann durch das Engagement von SAP-Gründer Hasso Plattner auch in Deutschland und Europa an Bekanntheit. Apple-Gründer Steve Jobs gilt als einer der ersten mDesign Thinkern.
]ES GEHT UM EINEN KULTURWANDEL, DAMIT DIESES NEUE DENKEN EIN UNTERNEHMEN DURCHDRINGEN KANN._ Dr. Andreas Ninck
Ein Stück weit ist es ein Spagat. Auf der einen Seite ist man gefordert, unter der Voraussetzung stringenter Prozesse und angesichts des herrschenden Kostendrucks etwas zu produzieren. Das bringt es mit sich, dass oft der Raum für Kreativität fehlt. Andreas Ninck: Interessant ist, was Steve Jobs gesagt hat: mDesign is how it worksn. Man sieht die schöne Fläche und das ist, was wir im europäischen Sprachraum als Design verstehen. Steve Jobs war aber schon früh von der Funktionsweise deutscher Haushaltsgeräte beeindruckt. Dadurch hat er sich intensiv damit beschäftigt, wie Leute etwas bedienen und was nötig ist, damit ein Gerät wirklich nützlich ist.
Maschinenbau ist ein stark erfahrungsgetriebenes Geschäft mit viel Tradition. Auf der anderen Seite gibt es einen Digitalisierungsdruck. Wie kann das neue Denken Fuß fassen? Andreas Ninck: Der Psychologe Kurt Lewin hat einmal gesagt: mThereqs nothing more practical than good theoryn. Die Praxis kann von der Theorie viel lernen, wenn man aufeinander zugeht. Ein Aspekt von Design Thinking ist, Dinge gegenständlich darzustellen, um sich austauschen zu können. Wir haben eine Untersuchung gemacht. Eine Gruppe hat mit normalen Flipcharts gearbeitet, darauf eine Problemanalyse gemacht und eine mögliche Lösung beschrieben. Die Vergleichsgruppe hat mit gegenständlichen Mitteln gearbeitet. Das Ergebnis: Die Vergleichsgruppe war doppelt so schnell. Außerdem konnte sie viel besser kommunizieren, welche Lösungen sie gefunden hat. Stephan Nell: Diese Erfahrung haben wir auch gemacht. Wir verwenden teilweise Modelle aus Styropor oder anderen Materialien und mbauenn die Maschinen so 1:1 auf. So können wir bereits am Anfang eines Entwicklungsprozesses in den Handlungsraum eines Maschinenbedieners vordringen und mögliche Lösungen erarbeiten, wie die Bedienung einer Maschine vereinfacht werden kann. Welche konkreten Anregungen kann Design Thinking Unternehmen geben? Andreas Ninck: Es gibt eine schöne Geschichte von David Kelley. Einer seiner Leute hat ein Magnetresonanz-Gerät entwickelt. Um es zu testen, ging er mit seinem Kind ins Krankenhaus und hat dort festgestellt, wie viel Angst das Kind vor diesem Gerät hatte. Daraufhin hat er sein Denken total umgestellt und Geräte für Kinder gemacht, an denen diese Freude hatten. Er hat den Nutzen des Geräts auf eine neue Ebene gestellt. Stephan Nell: Damit sind wir wieder bei unserem Anfangsthema, dem Customer-Experience-Modell, der 360-Grad-Darstellung der Kunden-Kontaktpunkte. Wenn Sie sich dessen bewusst sind, betrachten Sie automatisch mehr als nur die Technik. In jedem Bereich, in dem der Kunde mit uns in Berührung ist, sind ganz andere Menschen mit im Boot. Es sind immer neue Schwerpunkte und Themen, um die es geht. Die Herausforderung ist, das Wissen über den Kunden, das zum Teil dezentral im Unternehmen vorhanden ist, zu verknüpfen.
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Andreas Ninck: Ich muss immer fragen: Was ist die Ausrichtung? Was ist der Wert, den ich generieren möchte? Für wen generiere ich diesen Wert? Wie viel kostet mich die Produktion? Das sind ein paar einfache Fragen, die helfen, mich immer wieder auszurichten und mich nicht in Kreativität zu verlieren. Aber Kreativität ist doch grundsätzlich wertvoll. Wie kann ich die im Unternehmen generieren und einsetzen? Stephan Nell: Bei STUDER gab es sehr früh eine Innovationsabteilung, um Freiraum für die Kreativität zu schaffen. Die Entwicklung hat uns permanent angetrieben herauszu nden, wo man sich von anderen unterscheiden kann. Für uns geht es immer darum, die Maschine mit dem höchsten Mehrwert für den Kunden zu entwickeln und zu bauen.
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Andreas Ninck: Es geht um einen Kulturwandel, damit dieses Denken eine Firma durchdringt. Ich denke, dass es eine Kulturveränderung braucht, auch schon in der Schule. Dass es eben nicht nur richtige und falsche Antworten gibt. Stephan Nell: Es besteht immer das Risiko, dass bei der ganzen Kreativität die Frage vergessen wird, ob die Entwicklung überlebensfähig ist. Dann fallen wir in ein altes Verhaltensmuster zurück und bauen das, was uns wichtig ist. Doch es muss nicht uns gefallen, sondern dem Kunden. Wir haben das bereits erlebt. In den Kreativrunden hat man etwas kreiert, auf das man stolz ist, aber das keine Daseinsberechtigung hat. Wir sagen immer, frag den Kunden, ob er bereit ist, dafür zu zahlen, wenn wir etwas tun.
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Wie entsteht Kreativität in der UNITED GRINDING Group? Stephan Nell: Einen im Handbuch beschriebenen kreativen Prozess gibt es nicht. Es ist eine Herausforderung, Entwicklungen so zu organisieren, dass sie ef zient laufen. Wichtig dabei ist der Umgang mit Fehlern. Es wird niemand abgestraft oder sanktioniert, wenn Fehler passieren. Ich kann keinem im Tagesgeschäft eine Kreativaufgabe geben und ihm einen Endtermin nennen. Das funktioniert nicht. Menschen brauchen Freiräume, um neue Ideen zu entwickeln. Wir haben auch ganz unterschiedliche Kulturen, die wir nutzen, um neue Ideen zu generieren.
]DIE STUDER S41 HATTE MEHR TESTSCHLEIFSTUNDEN ALS DER A380 FLUGSTUNDEN, BEVOR ER FREIGEGEBEN WURDE._ Stephan Nell
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