bookish periodical – ausgabe 2 / 2017
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Out of Golden Pudel: Von Techno und Elektronik zu Mandoline, Schöngesang und Folkrock-Signatur
JaKönigJa Ein Besuch bei Ebba und Jakobus Durstewitz in der Heide. Was machen die beiden da? Leben, Lieben, Schreiben, Malen, Musizieren, mit dem Hund gehen – und demnächst wahrscheinlich ein neues Album
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text: michael hopp / fotografie: michael rathmayr
bba und Jakobus Durstewitz sind aufs Land gezogen, in die Lüneburger Heide. Ende Februar sind die Äcker und Wiesen vom Winter erschöpft. Ebba und Jakobus, die zwei von JaKönigJa, leben seit einem Jahr in einer niedrigen Kate, unter dem Schutz eines hohen Reetdachs. Das kleine Haus liegt auf dem weitläufigen Grundstück der Stiftung de Bruycker. Hermann de Bruycker, auf den die Stiftung zurückgeht, war als Abkömmling flämischer Hugenotten Maler in Hamburg, schrieb Gedichte und Märchen. Nachdem Hamburg vor dem Zweiten Weltkrieg unter dem Terror der Nazis litt und danach in Schutt und Asche lag, brachte er sich und seine Kunst in die Heide in Sicherheit. Auch Ebba und Jakobus, beide Mitte 40, hatten Gründe, Hamburg den Rücken zu kehren. Sie nennen die „Gentrifizierung, die steigenden Mietpreise“, sprechen aber auch von einer Art selbsterfüllender Prophezeiung. Heute genießen sie die geschützte, liberale Atmosphäre auf dem Gelände der
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de-Bruycker-Stiftung, das wie eine leicht verwilderte, hügelige Parklandschaft wirkt. Hamburg ist von hier weniger als eine Stunde entfernt. Im nahen Schneverdingen lässt es sich gut einkaufen, nur Plattenläden gibt es keine. Nach Hamburg fahren Ebba und Jakobus immer seltener. Ebba kann hier in der Heide ihrer Arbeit als Autorin und Übersetzerin nachgehen. Gerade überträgt sie ein Buch mit Artikeln von und über den slowenischen Philosophen Slavoj Žižek aus dem Englischen. Jakobus, der auch Maler und Bildender Künstler ist, nutzt einen Gartenschuppen als Atelier. Wer in die Kate eingelassen wird, fühlt sich zunächst wie ein Eindringling. Doch wenn man im schmalen Wohnzimmer mit dem offenen Kamin, in den Jakobus regelmäßig dicke Scheite nachlegt, Platz nimmt, fühlt man sich schnell wohl und angenommen, inmitten der Sammlung von Gitarren, den Gerätschaften eines Heimstudios und dem großen Plattenregal mit Plattenspieler, Verstärker und Studiomonitoren. Ebba macht Kaffee. Es gibt so vieles, über das wir uns austauschen wollen.
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Stadtflucht: Jakobus und Ebba Durstewitz zog es mit ihrem Hund von Hamburg in die Lüneburger Heide
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Leben in der Heide
„Anfangs wurde ich unruhig, wenn ich drei oder vier Tage am Stück hier draußen war. Dass ich das Gefühl hatte, ich muss nach Hamburg, selbst wenn ich dort gerade nichts zu tun hatte.”
Die Künstler vor ihrer Kate, das Esszimmer und Schmetterlinge hinter Glas 104
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Was hat sich verändert, seit Ihr aufs Land gezogen seid? jakobus Man schläft besser (lacht). Ist ausgeruhter. ebba Ja, man schläft besser, das ist ganz deutlich, ja. jakobus Wenn man sich nicht gerade zu viel Arbeit aufgebürdet hat, ist man auch ruhiger. Man kommt leichter zur Ruhe. Wir sind einmal in der Woche in der Stadt, aber wenn wir dann zurückkommen, auf den Hof fahren und das Auto abstellen, dann ist das erstmal so ein Durchatmen. ebba Anfangs hatte ich das lange, dass ich unruhig wurde, wenn ich drei oder vier Tage am Stück hier draußen war. Dass ich das Gefühl hatte, ich muss nach Hamburg, selbst wenn ich dort akut gerade gar nichts zu tun hatte. Bekommt Ihr viel Besuch? Das fühlt sich ja auch anders an, wenn jemand eigens hier raus kommt, kann man ihn nicht gleich wieder weg schicken. jakobus Das erste Jahr war vollgepackt mit Besuch. ebba Ja, eigentlich jedes Wochenende. Also wir hatten deutlich mehr Besuch hier, als dass wir allein gewesen wären. Bis wir gesagt haben, wir können nicht mehr. Es war schon zu viel. ebba Ja, ja, wirklich. Also wir wollten echt mal für uns sein. jakobus Obwohl das so nah ist, bleiben die Leute gern auch über Nacht. Wir haben ein Gästezimmer, das ist verführerisch. Dann sitzt man abends zusammen und trinkt einen Wein und dann, ja … Macht Ihr auch sowas wie Gartenarbeit? jakobus Ja, ja, ja … ebba Ich muss mich da noch reinfinden. Ich komme aus einer Familie, in der man betont hat, gerade keinen grünen Daumen zu haben. Das war sozusagen identitätsbildend. Also man hat sich als betont städtisch empfunden. ebba Kleinstädtisch. Ich komme aus Nordhorn in Niedersachsen. Und es wäre ja der Wahnsinn, was man hier machen könnte, wenn man mal mit dem Garten anfängt. Das nähme ja kein Ende mehr. Aber es ist da kein Druck, vielleicht von den Nachbarn, doch mehr zu machen? ebba Nee, gar nicht. jakobus Das ist im Gegenteil eher so, wenn man Rasen mäht, weil man angesteckt wird, weil der andere Rasen mäht, kommen die und sagen, du musst das jetzt nicht machen, nur weil ich das hier mache! Mach doch, wie du willst! ebba Ja ... das wurde von Anfang an gesagt. Macht was ihr wollt, das ist ja ein freier Raum.
jakobus Hauptsache, wir fühlen uns wohl. Wie haltet Ihr es denn mit dem Internet? Seid Ihr rund um die Uhr on, wie es die Menschen in der Stadt sind? Wollt Ihr da eher Eure Ruhe? ebba Nee, gar nicht. jakobus Ich habe jetzt an meinem Telefon eingestellt, dass es sich um Mitternacht komplett abschaltet und morgens um halb neun wieder an. Aber das hätte ich in der Stadt auch gemacht. ebba Ich brauche das Internet auch noch mehr beim Arbeiten, zur Recherche. Es ist nicht so, dass wir hier dolles Glasfaser hätten. Besonders schnell ist es nicht, aber es reicht. Man kann auch mal eine Netflix-Serie gucken. Das Internet ist also die Voraussetzung, dass Ihr jetzt hier sein und Euren Tätigkeiten nachgehen könnt? jakobus Du meinst, wenn wir hier kein Internet … Was wäre ohne Internet, ja. ebba Dann wären wir hier nicht hergezogen. Dann wärt Ihr hier nicht hergezogen. ebba Nee, also ich wäre hier nicht hergezogen. Man braucht das Internet für alles.
Wärme und Klang In die Plattenwand integriert ist ein Lenco-Plattenspieler, der auf den ersten Blick nicht viel hermacht. Als wir ankommen, liegt ein Album von Bob Lind auf, einem us -amerikanischen Folksänger der 60er Jahre, der eigentlich nur einen Hit hatte, „Elusive Butterfly“. Für einen Plattenspieler dieser Preisklasse klingt er ausgesprochen gut. Das Knistern und die Wärme des Kamins haben sicher ihren Anteil an dem fast schon hypnotischen Wohlklang im Wohnzimmer der Durstewitz’. Viele Musikleute legen gar nicht so viel Wert auf eine gut klingende Anlage zu Hause. Wie ist das bei Euch? ebba Naja, wir haben ja auch nicht das, was wir gerne hätten. jakobus Ich find es schon okay. Ich hab den Lenco ja gepimpt, und der läuft jetzt absolut bei 33 1⁄3 Umdrehungen und man kann dazu Gitarre spielen, das ist mir das Wichtigste. Er lief zu schnell, war immer zwischen den Tönen, nicht im Tune. Dann habe ich den Pulley ganz vorsichtig abgedreht, so hundertstel und dreihundertstel millimeterweise, und jetzt läuft der tipptopp. ebba Das war schon gut, dass Du Dich da rangesetzt hast. Wir konnten ja die Anpressung von „Emanzipation im Wald“ gar nicht richtig abnehmen, es lief immer zu schnell.
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„Für mich ist Vinyl tatsächlich die edelste Darreichungsform. Für mich als Künstler ist eine Platte nicht veröffentlicht, wenn sie nicht auf Vinyl veröffentlicht ist.”
Wie seid Ihr mit dem Klang der Vinylplatte zufrieden? ebba Wie findest Du sie? Ich finde, die Stimme ist zu leise und darunter leidet auch ein wenig die Verständlichkeit. ebba Das habe ich jetzt schon ein paarmal gehört. Ich habe das vielleicht etwas mitverschuldet, weil man sich bei uns immer so auf die Texte stürzt und ich selbst sie viel weniger wichtig nehme. Ich will den Gesang samt der Texte eher als einen Klang unter vielen verstanden wissen und den Schwerpunkt so ein bisschen davon wegnehmen. Das kriegt sonst was Liedermacherisches, mit den deutschen Texten. ebba Bei den früheren Platten war mir der Gesang manchmal zu laut. Ich komme ja vom Chorgesang und habe da ein bisschen gebraucht, meinen Weg zu finden. Das ist ja eine Entwicklung vom ersten Album, 1995, über „Ebba“ bis eben jetzt „Emanzipation im Wald“. Gab es überhaupt alle Eure Alben auf Vinyl? ebba Alle, mhm. Sonst hätte Jakobus das nie gemacht. Lieber gar nichts rausgebracht als nur digital.
schwubbel zu geben. Auch alle Stücke auf „Emanzipation“, so folkig sie auch daherkommen, haben eine elektronische Komponente. Ich glaube, man spürt sie als etwas Anderes und hört sie gar nicht so – es wäre aber etwas anderes, wenn sie nicht da wäre. Im Video zum Song „Emanzipation im Wald“ zeigt Ihr Euren Hund, wie er planlos durch den Wald hier streunt – und es wirkt ein bisschen so, als würdet Ihr sagen wollen, wie banal und eigentlich sinnlos der Wald ist. Beziehungsweise, wie absurd der Kontrast zwischen dem Laubhaufen ist, durch den wir da planlos waten wie der Hund, und den hehren Vorstellungen, die in uns stecken. ebba Das Video sollte den Text auch ein bisschen konterkarieren und nicht ganz ernst nehmen, obwohl der Text am Ende dann ja auch abdreht und fast psychedelisch wird. Der Plattentitel stand eigentlich fest, als das Lied geschrieben war – und das war ungefähr zwei Jahre vor dem Umzug, der bahnte sich noch gar nicht an. Der Wald ist gar nicht wörtlich zu nehmen, es ist eher ein metaphorisches Befreiungaus-der-Depression-Lied.
Emanzipation im Wald
Vinyl und Bier
Die im letzten Jahr erschienene „Emanzipation im Wald“ ist das sechste Album dieser glorreichen Band, seit dem letzten – „Die Seilschaft der Verflixten“ – waren acht Jahre vergangen. Aufgenommen wurde „Emanzipation“ größtenteils übrigens vor dem Umzug von Ebba und Jakobus aufs Land, ist also eigentlich noch Stadtmusik, wenn auch der helle, freundliche Gesang und der luftige Klang aus Mandolinen, Posaunen, halb-akustischen Gitarren, Klavier, Cello und die kleine Percussion fast schon natürlich daherkommen – aber eben nur fast. Denn in einem bestimmten Flirren, und sicher auch im eher von Jakobus geprägten und für das Album untypischen Instrumental „Bitte sagen Sie jetzt nichts“, offenbart sich die Freude der Band an elektronischen Sounds – für die in der Regel das dritte Mitglied der Band sorgt, der Filmmusikkomponist und Produzent Marco Dreckkötter.
Wir haben schon über die Vorteile des Vinylklangs gesprochen. Aber es ist für einen Künstler natürlich auch ein Vorteil, wenn es neue Vertriebswege gibt, wenn sich jeder zuhause die Musik auch runterladen kann. Was wünscht Ihr Euch da eigentlich? Ist da die Vinylschallplatte die edelste Darreichungsform, oder ist es das Konzert, oder das Streaming? jakobus Für mich ist Vinyl tatsächlich die edelste Darreichungsform. Für mich als Künstler ist eine Platte nicht veröffentlicht, wenn sie nicht auf Vinyl veröffentlicht ist. Und für mich ist die Platte auch so eine Art Trophäe. Der Beweis, dass ich das gemacht habe. Eine cd brennen kann jeder zuhause, aber das Vinyl, das ist Kunst für mich. Und Digitalvertrieb und so was? Ach, ich freue mich ja, wenn andere Leute das auch toll finden, was ich mache, und sich das online holen, aber so wichtig ist mir das nicht. ebba Für mich ist es nicht die edelste, aber die natürlichste Darreichungsform. Vinyl war halt immer da, auch durch die großen Krisenzeiten hindurch. jakobus Wenn man auflegt, kann ich nachvollziehen, dass man einen usb-Stick verwendet – und sich nicht für die paar Kröten, die man da bekommt, die Platten versaut. ebba Ja, all die Jahre des Auflegens haben Spuren hinterlassen. Habt Ihr beide aufgelegt?
ebba Marco hat uns schon bei der ersten Tour und bei der ersten Platte in den Neunzigern begleitet. Ich bin mit Marco zur Schule gegangen in Nordhorn und als wir später im Pudel gespielt haben, haben wir ihm ein Schüttelei und eine Triangel in die Hand gedrückt und es stellte sich heraus, dass er ein hervorragender Percussionist ist. Toll singen kann er auch, und Marco ist sehr gut darin, den Stücken, wenn sie fast fertig sind, ein ganz leichtes, subtiles Elektro-Ge106
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ebba Ja. jakobus Im Blauen Barhaus in Ottensen, einmal die Woche. ebba Im Pudel und in der Hasenschaukel auch. Ich weiß auch noch, wie Du im Golem meine Single-Tasche mithattest und dann ein Bier drüber gekippt hast. Den ganzen nächsten Tag warst Du damit beschäftigt, die Platten zu waschen und zu föhnen. Aber kann man das überhaupt so durchhalten, so in der Vinylwelt zu leben, ich frage das für mich selbst oft. Man schneidet sich auch von vielem ab. ebba Also, Digital und Vinyl funktionieren für mich in der Kombination gut – und ich glaube, auch für viele andere Menschen. Unser aktuelles Album hätte man meinetwegen nicht auf cd rausbringen müssen, aber halt auf jeden Fall mit Download-Code. Damit die Leute den Zugang dann auch haben, das nutze ich selbst auch. Vinyl und Digital sind perfekt. Ich glaube, diese Dichotomie zwischen Analog und Digital, das löst sich ja alles auf, so wie viele andere Grenzen ja auch. Es gäbe das Vinyl-Comeback ohne das Internet ja auch nicht. ebba Das ist mir so ein bisschen unheimlich, dieses Comeback. Mit allem, was das so mit sich bringt, da denkt man nämlich immer, dann ist es demnächst dann doch wieder weg. Es wäre jetzt vermessen zu sagen, es gäbe falsche Gründe, Vinyl zu kaufen, aber wenn ich mir vorstelle, das machen Leute nur, weil sie auf so einer Welle mitreiten gerade, dann wäre es mir lieber, sie machen es nicht. Es gibt jetzt fast schon alle Neuerscheinungen wieder auf Vinyl, das ist natürlich toll. Bedeutet aber nicht, dass alles gut klingt, nur weil es auf Vinyl ist. jakobus Das war aber noch nie so! ebba Die SmithsPlatten klingen immer alle ganz schrecklich, auch auf Vinyl. jakobus Ja, oder New Order. Wie dünn und blechern und hart und gemein das alles ist! Vinyl ist ja nicht gleich Vinyl! Ist es ja wirklich nicht.
Text und Musik Was ich an JaKönigJa absolut einzigartig finde, ist das extrem breite Spektrum, das durch Eure beiden Personen abgedeckt zu sein scheint. Also, dass da auf der einen Seite Techno und dj-Kultur angelegt sind und Ihr jetzt aber mit dem letzten Album auch weit in eine Richtung geht, die man früher als Folk-Rock bezeichnet hätte. Wie wollt Ihr in Zukunft umgehen mit diesem Spannungsfeld? Soll es so lyrisch bleiben? ebba Ach Gott, man denkt da halt, man denkt da ehrlich gesagt irgendwie gar nicht drüber nach.
Ich interpretiere zu viel hinein, oder? jakobus Nee, man denkt schon ein bisschen drüber nach. Wir denken jetzt zum Beispiel im Moment, dass wir das nächste Album … ebba ... elektronischer machen. jakobus Elektronischer und auch ein bisschen freier. Noch mehr weg von Songstrukturen, von Strophe und Refrain. ebba Unser Geschmacksspektrum ist ja auch sehr weit. Ich hab als Kind wahnsinnig viel Klassik gehört. Und dann aber genauso auch Punk. Ich habe das immer als ähnlich empfunden. Ich habe nie in diesen Genre-Kategorien gedacht und wollte das auch nie. Auch beim Auflegen. Musik hatte für mich immer was Überzeitliches. Prokofjew kann genauso hittig sein wie ein Buzzcocks-Stück, und das lege ich dann auch nacheinander auf. Ich weiß, dass das in den Neunzigern sehr irritiert hat, aber für mich war es immer die natürlichste Art. Und genau so ist das auch, wenn ich Musik mache. Durch den Nobel-Preis für Bob Dylan ist ja im Moment viel Aufmerksamkeit auf dem Thema, dass ein Song in Wirklichkeit ein vertonter Text ist. Wie fühlt sich das für Euch an? jakobus Bei uns entsteht das meist getrennt. Da gibt es eine Kladde mit Texten und es gibt eine Kladde mit Musik. Und dann guckt man, was zusammenpasst. ebba Die finden sich. Text und Musik entscheiden selbst, ob sie zusammengehen wollen oder nicht. jakobus Insofern ja: Ein Song ist vertonter Text. ebba Oder vertextete Musik. jakobus Oder das. Wie ist die musikalische Arbeitsteilung zwischen Ebba und Jakobus? jakobus Die Konstellation ist inzwischen so, dass Ebba 99 Prozent aller Texte schreibt, aber auch für Tasteninstrumente und für das Cello zuständig ist und bei mir ist der Fokus auf der Produktion und den anderen Instrumenten, wie Banjo, Mandoline, Tuba, Klarinette, alle Blasinstrumente. ebba Manchmal schreibe ich auch ein Stück auf der Gitarre. Ich kann eigentlich nicht Gitarre spielen, aber das erweist sich manchmal als ganz hilfreich. „Emanzipation im Wald“ ist so ein Gitarrenstück, oder „Diese Schmerzen musst du teilen“ auf der „Ebba“, das habe ich auch auf der Gitarre geschrieben. Es gibt auch Phasen, da lege ich die musikalische Basis mit dem Klavier. Wenn es dann an die Produktion geht, kommt Jakobus dazu – oder es kann auch umgekehrt sein, er fängt an. Jakobus, Du hast da früher auch mehr gesungen, oder? jakobus Ja.
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JaKönigJa kennen sich aus mit Zuflucht, einer der neuen Songs handelt davon. Und Sounds? Bieten auch keine. Ausser für den Moment
Die älteren Aufnahmen, die ich kenne, wirken viel männlicher auf mich. jakobus Ist auch so. ebba Mit dem Album „Ebba“ kam der Break und jetzt sind wir sozusagen eher in der weiblicheren Phase, ich finde, das kommt vom Klang her auch so rüber. Du sagst ja, dass Dir die Texte gar nicht so wichtig sind und dass Du innerhalb der Songs damit so ein bisschen zurücktrittst. Die Frage, die beim Hörer dann entstehen kann ist: Wer erzählt mir hier eigentlich was? Wo kriege ich das lyrische Ich gefasst? Wenn Adele singt, dann singt Adele, dann erzählt mir Adele eine Geschichte, da ist sozusagen diese Absenderschaft klar. Bei JaKönigJa bleibt das im Ungefähren. Ich weiß, Du hasst den Authentizitäts-Kult in der Rockmusik ... ebba Ein ganz stumpfes Beispiel dafür, was mich immer so genervt hat, ist jemand wie Joe Cocker, diese ReibeisenStimme, die irgendwie sagt – und so wird es ja auch von der Mehrheit der Leute aufgefasst –, da hat jemand gelebt und gelitten und deshalb kann und muss er jetzt so singen. Dabei hatte der nur Stimmband-Polypen. Außerdem mag ich selbst sehr schnörkellose und gerade Stimmen. Wenig bis gar kein Vibrato, so pur wie möglich, einfach die Stimme ohne irgendwelche Schnörkel … Der Rest soll mir über die Musik vermittelt werden.
Musik hören JaKönigJa treten zwar alles andere als geheimniskrämerisch auf, trotzdem verwehen die musikalischen Pfade, die sie genommen haben. Einfacher ist es noch mit den literarischen Einflüssen, die wohl aus Ebbas Expertise für portugiesische Literatur herrühren, da vor allem für Fernando Pessoa, das Pessoa-Gedicht „Dieses“ wurde auf „Ebba“ vertont. An musikalischem Umfeld werden in der JaKönigJa-Literatur gewöhnlich der Tropicalismo oder die Musica Popular Brasileira genannt, häufig die Beach Boys und van Dyke Parks, The High Llamas und Free Design, immer aber auch Robert Wyatt. Ich hatte einen Packen Platten aus meiner Sammlung mitgebracht, um mit Ebba und Jakobus konkreter und sozusagen am Beispiel darüber sprechen zu können, wie sich die Musik von JaKönigJa denn herleiten ließe. Für meine Versuchsanordnung hatte ich Musik von Franz Schubert, Jefferson Airplane, Laura Nyro, Nico, Robert Wyatt, Michael Hurley, den Americana-Sampler „Love Is My Only Crime“ und aus jüngster Zeit The Tindersticks und Fleet Foxes mitgebracht. Die lege ich auf. 108
[ Fleet Foxes, „Album Fleet Foxes – Sun It Rises” wird aufgelegt] ebba Haben wir gar nicht, oder? Fällt gleich auf. jakobus Stimmt. ebba Das ist ja toll. Für mich steckt viel Fleet Foxes in JaKönigJa, oder gerne auch umgekehrt, weil auch da nicht klar ist, wer singt was, da ist ein gemeinsamer Ausdruck, über das ganze Album gibt es Wechsel, es gibt Songs, die sind männlicher und welche, die sind weiblicher. ebba Es ist interessant, dass Du immer nach dieser Orientierung suchst. Diese Orientierung? ebba Bei Stereolab hast du das auch, da singt mal die Laetitia Sadier, dann singt die andere, dann singen irgendwie alle zusammen. [Es erklingt „White Winter Hymnal“ vom selben Album] jakobus Unglaublicher Song. Das sind so Ideen, die könnten ebenso gut von uns sein. Und auch kein, also kein klassisches Schlagzeug, bislang jedenfalls. Und das finde ich auch immer toll, dass man vielleicht eine große Pauke hat, aber kein klassisches Schlagzeug. Dieser Akkordwechsel auch, es ist sehr verwandt, ja. Für mich ist es total JaKönigJa. jakobus Warum kenne ich das denn nicht? Das ist das zweite Album, das kannst Du auch gleich noch auflegen. Leider haben sich die aufgelöst. Sind wie vom Erdboden verschwunden. Dabei war es eine Riesen-Band. Der letzte Eintrag auf der Website ist vom Mai 2011. jakobus Oh nein! Sind verschwunden. ebba Ja, vielen Dank! jakobus Vieles, was Du mitgebracht hast, steht auch bei uns, und der Robert Wyatt ja sowieso. [ Fleet Foxes, „Helplessness Blues” kommt auf den Plattenteller] jakobus So wie der erste Song von der anderen Platte gerade, so ein bisschen stelle ich mir das tatsächlich vor, wenn ich davon rede, dass wir ein bisschen freier werden im Arrangement. Dass man so das viel offener hält. Und dann kannst Du auch wieder mehr singen. ebba Ja, das find ich ja eh gut. Da kam vor kurzem jemand vom deutschen Rolling Stone an und wollte, dass wir ein Cover von „Temptation“ von New Order einspielen, anlässlich der Fortsetzung des Kinofilms „Trainspotting“. Und Jakobus hat das dann gesungen, so mit dem Wurstbrot im Maul. jakobus Ich hab nur so eine Guide-Spur gesungen, damit Ebba dann die eigentliche Stimme singen kann, und... ebba Und ich wollte dann nichts mehr zu tun haben damit.
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Emanzipation im Wald Wie allen wurde auch mir mitgeteilt, / dass Zeit noch jede Wunde heilt. / „Dein Leiden war stets plakativ, / der Abgrund immer abgrundtief.“ / Noch gestern hab ich mich gesträubt / und Unverständnis vorgetäuscht. / „Bist weit aufs Feld hinausgegangen / und hast dich dort in den Büschen verfangen.“ / Bin auf blutigen Knien nach Haus gekrochen / und hab dort Heidekraut erbrochen. / Mit zehn zählte ich schon dreißig Jahr. / Mit dreißig war ich kaum mehr da. / Ich war so sehr in Angst gefangen, / bin mitten im Leben untergegangen. / Da bin ich in den Wald tief rein gegangen / und habe mich durchs Unterholz gehangelt. / Um zwölfe unterm Ahornbaum / erschuf ich mir meinen Zwischenraum. / Hab die Hand tief in die Erde gegraben / und dachte: Davon muss ich noch mehr haben. / Aus Wurzeln baute ich mir ein Gehäuse / und mach jetzt als Gehäusmensch fette Beute. / Die Zähne fallen mir aus dem Mund. / Ich schreib an meiner Abdankung. / „Demenz setzt ein, du findest es gut. / Und alles reizt dich bis aufs Blut.“ / Ich schlage um mich, kratz und beiß, / heut weiß ich nicht mal, wie ich heiß. / „Vergessen soll ein Nebel sein, / doch mit ihm stellt sich Klarheit ein.“ / Bin ohne Skrupel aggressiv / und denke gerne negativ. / Jetzt kann ich endlich grässlich sein / und ganz und gar für mich allein. / Noch eben bin ich in den Wald gegangen / zum Sauerklee und Stechdorn Sammeln. / Um zwölfe unterm Eschenbaum / erschien mir ein Geschöpf im Traum. / Jetzt bin ich gänzlich neugeboren, / aus Lehm geformt und auserkoren, / Enttäuschung endlich abzuschaffen / mit den mir eignen Wunderwaffen. / Nun kann ich Blumen selbst bestäuben / und mich mit Wollkraut so betäuben, / dass Erdmännchen um mich tanzen / und auf mir Quittenkerne pflanzen.
Jakobus über das Album „Helplessness Blues” von Fleet Foxes: „So frei wie im ersten Song, so könnten wir bei unseren Arrangements auch werden“
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