Vinyl Stories 3 – Sophia Kennedy

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bookish periodical – ausgabe 3 / 2017

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Axel Vindenes Der Kakkmaddafakka-Sänger hört Platte – kuschelig!


Sophia Kennedy „Heute kann jemand alleine zu Hause am Rechner die Beatles sein“

text: michael hopp / mitarbeit: sabrina waffenschmidt fotograie: simone scardovelli styling & konzept: christine grimm / hair & make-up: claudia plath / liga nord

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sophia kennedy

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Für die in Hamburg lebende Exil-Amerikanerin Sophia Kennedy gehört der Inszenierungswille zum Wesen des Popstars. Ob sie selbst einer sein möchte, darüber ist sie sich noch nicht im Klaren. Ganz sicher war sie sich aber, dass es ihr selbstbetiteltes Debütalbum unbedingt auch auf Vinyl geben sollte – obwohl sie selbst viel zu ungeduldig ist fürs Plattenhören

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ophia Kennedy kommt zum Interview in mein Büro. Es regnet seit Tagen in Hamburg, doch jetzt gerade kommt die Sonne durch. Sie trägt einen bordeauxroten Jumpsuit. Eine Tasche hat sie nicht dabei. Eigentlich hat sie überhaupt nichts dabei, braucht sie auch nicht: Die 28-Jährige ist eine Erscheinung wie vom Himmel gefallen. Ich bekomme „She Came In Through The Bathroom Window“ von den Beatles nicht mehr aus dem Kopf. „Didn’t anybody tell her? Didn’t anybody see?“

michael hopp Sophia, wie kommst Du eigentlich mit diesem Hamburger Regenwetter klar? sophia kennedy Ich finde Regen supergut, irgendwie stimmungsvoll. Das klingt, als wäre ich ein total melancholischer, depressiver Typ. Bin ich ja gar nicht, aber Regen genieße ich immer. Erzähl mal, was hörst Du gerne? Gerade komme ich wenig zum Musikhören. Aber schon als Jugendliche habe ich mich stark über Musik definiert, sozialisiert und abgegrenzt. Damals habe ich viel stimmungsvolle, ältere Musik gehört. Viel Folk, Country und traditionelle amerikanische Musik. Textlastige Sachen, mit denen ich mich auch identifizieren konnte. Karen Dalton hat mir immer viel bedeutet, und Hank Williams fand ich eine Zeit lang toll. Also schon eher die schwermütigeren Sachen. Elektronische Musik hat mich erst später interessiert. Welche Medien nutzt Du, wenn Du Musik hörst? Eine Plattensammlerin vermute ich nicht in Dir, oder? 24

Nein, ich habe tatsächlich keine Platten. Mit 16 bekam ich einen Plattenspieler geschenkt, aber der ist sofort kaputt gegangen. Ich war viel zu grob und ungeduldig mit dieser sensiblen Nadel. Es musste alles immer sauber sein, es durfte kein Staub rankommen. Es ist mir einfach nicht gelungen, den angemessen Umgang mit Platten zu entwickeln. Ich habe viel auf cd und Kassette gehört und Mix-Tapes mit Freunden getauscht. Heute bin ich beim Musikhören meist im Internet. Stellst Du Dir dann eine digitale Bibliothek zusammen oder bist Du gar nicht so der Sammlertyp? Nein, ich bin überhaupt kein Sammler. Ich höre ziemlich oft die gleiche Musik und komme immer wieder auf Sachen zurück, die sich eingebrannt haben. Natürlich höre ich auch viel neue Musik. Um zu wissen, was so abgeht, um mich inspirieren zu lassen und um meinen musikalischen Platz zu finden. Wenn Du die Vinylfassung Deines Debütalbums „Sophia Kennedy“ anfasst – fühlt sich diese denn substanziell anders an als ein Download? Ja! Für mich war es keine Option, nur digital zu veröffentlichen. Das fände ich irgendwie trist. Wenn ich schon veröffentliche, dann möchte ich es auch als Ding in den Händen haben: als cd und Vinyl. Kassette nicht? Nein, das wäre dann doch zu retro, zu gestylt. Ich hätte mir für das erste Album natürlich etwas total Extravagantes ausdenken oder mehr mit

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dem Internet spielen können, aber mir war das alles zu aufwändig. Für mein Zusammentreffen mit Sophia Kennedy habe ich aus meiner privaten Musiksammlung im Vorfeld eine Playlist zusammengestellt, um mit ihr über Musik zu reden, von der ich denke, das diese mit ihr zu tun haben könnte. Musik von Musikerinnen und Musikern wie den Beatles, David Bowie, 80er-Elektropop, Sparks, Grace Jones und Kate Bush. Wir hören die Liste gemeinsam durch und reden dabei erstmal nicht besonders viel, sondern sehen uns die Cover an. Wobei ich mich sehr ärgere, dass ich die Songs lediglich von YouTube in die Playlist geladen habe. Das nächste Mal wird kultiviert mit Plattenspieler gehört. David Bowie „Life on Mars“ Ich liebe diesen Song! Wir drehen ganz laut auf, so dass das ganze Büro mithören kann – und alle sind schlagartig glücklich. „Life on Mars“ hat eine Schlängelmelodie, die sich wie ein Wurm in den Gehörgang schraubt und weiter in den Hörer eindringt. Sophia kann auch solche Songs schreiben, auch sie hat diese Idee von „Größe und Meisterschaft“, attestierte ihr das Magazin Spex. Yazoo „Don’t go“ Klingt sehr nach Achtzigern. Ist das ein Typ, der da singt? Nein, wen wir da hören, ist Alison Moyet, die wie Sophia synthetische Sounds mit viel Soul in der Stimme kombiniert.

Kennedy in kurz ∙ out of baltimore Sophia ist schon als Kind aus Baltimore /Maryland

nach Deutschland gezogen. Nach Hamburg kam sie, um Film zu studieren, doch dann kam die Musik dazwischen. Die ersten Aufnahmen fanden 2013 mit Carsten „Erobique“ Meyer für das soulige „Angel Lagoon“ statt. ∙ sophia kennedy Das Debütalbum „Sophia Kennedy“ erschien im Frühjahr 2017 auf DJ Kozes Label Pampa Records. Produziert hat Mense Reents (Die Goldenen Zitronen, Die Vögel, JaKönigJa), der Sophia auch live auf der Bühne unterstützt. ∙ shari vari Das Post-Pop-Duo Shari Vari ist ein weiteres Projekt von Sophia, für das sie sich mit Helena Ratka aka Ratkat zusammengetan hat. Der erste gemeinsame Song trägt den Titel „Pool“. sophia kennedy

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„Ich will jetzt aber auch nicht die Frau mit dem Lackkostüm sein.“ SOPHIA KENNEDY

Laurie Anderson „O Superman“ Das ist von Laurie Anderson, oder? Das Stück habe ich als Jugendliche oft gehört. Wie Laurie Anderson sampelt auch Sophia Kennedy am Vocoder ihre eigenen Chöre, sogar live. Grace Jones „Ladies and Gentlemen, Miss Grace Jones“ Das mag ich sehr! Sparks „This town ain’t big enough for both of us“ Sehr theatralisch. So ein bisschen Musical oder Opernrock. Kate Bush „Running up that hill“ Die Stimme ist einfach so krass. Die kann alles singen: ganz hoch, ganz tief. The Beatles „Fool on the hill“ Das erinnert mich an mein Stück „William by the Windowsill“. Die Idee dabei war, einen Song zu schreiben, der zugleich sehr amerikanisch ist und nach den Beatles klingt. Und ja, Sophias bis dato markantester und eingängigster Song ist eine Art Wiedergänger des Beatles-Klassikers. The Beatles „Dizzy Miss Lizzy“ Das ist doch „Dizzy Miss Lizzy“! Schön verrauscht auf jeden Fall, das gefällt mir immer sehr gut. Eine Verwandtschaft zu ihrem eigenen „Dizzy Izzy“ kann Sophia aber weniger erkennen. 26

Falco „Data de Groove“ Sophia verliert sich im mitgebrachten Textblatt. Sophia, liest Du gerne? Eher nicht. Ich höre und sehe gerne. Aber ich bin kein wahnsinnig gebildeter Mensch mit einem Bücherregal zu Hause. Und gehst Du gerne ins Kino? Ich gehe gerne ins Kino, um weg zu kommen, um einen Bruch mit der intellektuellen Kunst-Kultur-Welt zu machen. Ab und zu schaue ich mal einen Kunstfilm in einem kleinen OffKino, aber ich sehe auch gerne richtig schlechte Filme und Blockbuster. Was bedeuten Dir Mode und Styling? Ich habe meinen eigenen Look, aber der ergibt sich einfach. Kurz nachdem das Album draußen war und ich die ersten Konzerte gespielt habe, dachte ich deshalb, es sei okay, sich einfach auf die Bühne zu stellen und unprätentiös auszusehen. Das hat aber überhaupt nicht funktioniert. Es war schrecklich. Da habe ich gemerkt, dass man sich über den Look Gedanken machen muss. Dann wollte ich etwas Unauthentisches haben, das komplette Gegenteil von so einem Singer-Songwriter-Look. So kam ich zum Lackkostüm. Aber ich will jetzt auch nicht die Frau mit dem Lackkostüm sein. Du hast zunächst Film studiert. Welche Faszination gab es da – wie sah die Studiumsrealität aus? Ich fing an, Film zu studieren, weil ich nicht wusste, was ich sonst machen sollte. Ich habe wahnsinnig unter der Schule gelitten und war dementspre-

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chend schlecht. Als Ausgleich habe ich viel gefilmt und Musik produziert. Ich saß oft alleine in meinem Zimmer und spielte Klavier und dekorierte mein Zimmer zu einer Filmkulisse um, in die ich Freunde einlud. Irgendwann habe ich erfahren, dass es Kunsthochschulen gibt. Also schwänzte ich die Schule und schickte eine Mappe ein, wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und aufgenommen. Ich war damals wahnsinnig unsicher und gleichzeitig voller Energie. Ich fühlte mich frei und wild – doch die Kunsthochschule war fast genauso trist wie die Schule. Alles war mit viel Arbeit und Aufwand verbunden, alle waren gestresst. Ich merkte bald, dass das Filmemachen mich nicht schnell genug befriedigt. Musik ist da viel direkter. Du fühlst was, du schreibst es auf und nimmst es auf – und da ist es. Bist Du eigentlich Künstlerin, Musikerin oder Popstar? Mein Gefühl als Hörer ist schon, dass Du es drauf anlegst ... ... Popstar zu sein? Wegen des Covers? Wegen des Bildes? Weil Dein Auftritt extrem kontrolliert ist und auf Wirkung abzielt. Als Popstar braucht man eine gewisse Mystik, etwas, das man nicht zu fassen bekommt. Ich würde das schon gerne schaffen, weil das eine Spannung zwischen dem Publikum und mir aufbaut. Ob ich deswegen ein Popstar sein will, weiß ich nicht. Ich brauche auf jeden Fall ein Verhältnis zum Publikum, das nicht freundschaftlich ist. Ich muss auf der Bühne ein anderer Mensch als Backstage sein. Aber wenn man sich die

weiblichen amerikanischen Popstars anschaut, reden die die ganze Zeit mit ihrem Publikum und füttern sie durchgängig mit Input. Das mache ich nicht. Ehrlich gesagt habe ich eher Angst, mit irgendeinem flapsigen Spruch die Musik kaputtzumachen. Du hast Texte, die auf eine großartige, impressionistische Art und Weise verschlüsselt sind und in der Summe dann doch klare Bilder vermitteln. „William by the Windowsill“ ist einem seltsam vertraut, gleichzeitig könnte ich nicht genau sagen, was der Protagonist in dem Song eigentlich macht. Welche Bedeutung haben die Texte für Dich? Ich nehme die Texte sehr ernst, aber ich feile nicht stundenlang daran herum. Ich sammle gute Sätze oder Bilder. Bei „William by the Windowsill“ war zum Beispiel der Titel zuerst da. Der klingt ja, als hätte man ihn schon mal irgendwo gehört. Es könnte auch eine Kinderge-

schichte sein. Der Rest kommt dann so. Gemeinsam sehen wir uns diesen verrätselten Text zu „William by the Windowsill“ näher an: „William by the windowsill Was gazing at the big blue hill Far beyond this cold and busy town I hate the people down below, What are they up to, I don’t know The eggs are just sizzling in the pan.“ Ich werfe einmal mehr die Beatles zum Vergleich ein und zitiere den Text zu „Fool on the Hill“: „Day after day, alone on a hill The man with the foolish grin Is keeping perfectly still But nobody wants to know him They can see that he’s just a fool And he never gives an answer“ Bescheiden lässt Sophia Kennedy ver-

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lautbaren, wie banal doch ihr eigener Text im Vergleich mit dem der Beatles sei – so leicht möchte ich sie aber auch nicht davonkommen lassen, wir wenden uns daher wieder ihrem William zu: „There’s nothing that I’d rather like to do Than stick my head into the gutter of the roof And whistle all the saddest tunes I couldn’t stand before but now I yearn for more William by the windowsill Was longing for the big blue pill That will make it go away“ Was ist die „große blaue Pille“, sowas wie das lsd bei „Lucy In The Sky with Diamonds“? Ich möchte das absichtlich offen lassen. „If there’s nothing to win Then what is there, Toulouse? “ Und bei Toulouse ... 27


„Elektro-Adele ... da kann man sich zumindest alles Mögliche darunter vorstellen.“ SOPHIA KENNEDY

... ist die Stadt gemeint, auf die William von seiner Fensterbank aus herunter blickt. Es ist doch so: wenn man woanders hingeht, wird es auch nicht besser. Du meinst analog zu den Bremer Stadtmusikanten: Etwas Besseres als den Tod finden wir überall? Genau. Wer so genial mit dem Wortklang von Toulouse und „to loose“ spielt, der muss doch auch einen Sinn für die Textkunst von Falco haben. Ich lege nochmals das Textblatt zu „Data de Groove“ auf den Tisch. Doch die Falco-Lesung führt nicht recht weiter, vermutlich weil gemeinsame Ehrfurcht mitunter auch mal ratlos machen kann. Mich freut an dem Falco-Experiment, welch unangefochtenen und gar nicht mehr hinterfragbaren Status der Wiener heute noch unter den nachfolgenden Generationen genießt. Sophia, Dein Album ist ein starkes Statement mit sehr viel Eigenheit, auf der anderen Seite hältst Du Dir alle Möglichkeiten offen. Mir ist wichtig, dass die Texte eine Tiefgründigkeit haben, aber keine Weisheit oder Lebensgefühl aufzwingen. Das stört mich bei vielen Texten: Sie wollen dich retten, wenn du kurz davor bist, dir die Pulsadern aufzuschneiden. Und dann kommt der Musiker mit seinem hellen Licht daher. Bob Dylan wollte ja auch raus aus der Rolle der großen Figur der Generation: „Don’t follow leaders, watch your parking meter“. 28

Die Texte sollen gar nicht so sehr von mir abhängig sein. Natürlich sind sie mir nah, aber ich möchte nicht wie Chris Martin sein, der fast so eine Religiosität aufbaut und durch seine Texte das Verhältnis zu seinem Publikum so bestimmt: Ihr da unten, ich da oben. Ich finde, man muss das Verhältnis überprüfen: Wer bin ich und wem sage ich das? Stimmst Du mit der Klage überein, dass es heute mit der digitalen Verbreitung viel schwerer geworden ist, mit Musik Geld zu verdienen? Geld verdienen ist heute schon sehr schwer. Jeder kann deine Songs streamen oder tausend Mal kopieren, ohne viel Geld auszugeben. Auf der anderen Seite hast Du die Produktionsmittel viel stärker in der Hand. Genau. Labels haben weniger Geld, das sie für eine Produktion ausgeben können. Dafür kann man heute alles zu Hause machen. Man braucht keine Band mehr. Das ist wiederum ein soziologisches und psychologisches Problem. Keiner ist mehr darauf angewiesen, rauszugehen und sich andere Menschen zu suchen, um Musik zu machen. Heute kann ein Mensch alleine zu Hause vor seinem Rechner die Beatles sein. Glaubst Du, dass Du Dich stärker um die jüngeren Hörer kümmern musst? Ich glaube, dann müsste ich ein bisschen andere Musik machen. Das glaube ich gar nicht. Megastars wie Beyoncé zielen schon immer auf Hits ab. Gleichzeitig agieren sie künstlerisch anspruchsvoll. Ich

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weiß nicht, wie man eine derartige Spannbreite aufbaut, um wirklich jüngere Leute zu erreichen. Über Social Media? Das muss man auf jeden Fall machen. Mich belastet das auch. Ich bin auf Facebook, aber Instagram habe ich noch nicht geschafft. Es ist der Wahnsinn, wie man sich ständig darstellen muss, um überhaupt an die Oberfläche zu kommen. Ein Interview reicht nicht mehr. Man muss sich permanent selbst vermarkten: Immer zu allem ein Foto, immer die ganze Zeit die Fresse hinhalten, immer penetrant sein. Nach Deinem Hamburger Konzert dachte ich darüber nach, welche Headline ich wohl für Dich erfinden würde, wenn ich in der bild Zeitung schreiben müsste? Da kam ich auf: Elektro-Adele. Fändest Du das sehr doof? Nee. Das Wort Elektro finde ich schwierig – weil es mir an der Stelle vom Klang her nicht gefällt. Aber ElektroAdele ... da kann man sich zumindest alles Mögliche darunter vorstellen. Ich meine damit, dass Du beides vereinst: die coolen Elektro-Sounds und die hohe Emotionalität. Das stimmt, das kann ich schon nachempfinden. Ich glaube aber, die bild wäre noch reißerischer und wäre mehr auf das Lackkostüm eingegangen. Elektro-Adele, das geht ja noch. Unsere Zeit ist zu Ende. Sophia verschwindet, wie sie gekommen ist. Ein Taxi brauche sie nicht, winkt sie dankend ab. Man kann sich aber auch nicht vorstellen, dass sie in der U-Bahn fährt.

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