Deutsch-Marokkanische Lebenswege - Geschichten über das Suchen, Ankommen und Engagieren

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E R S T E G E N E R AT I O N – M O H A M M E D A K H A R D I D

Foto: Mohammed Akhardid – Studienreise – Entspannen am Strand

on war (Schule, Freunde etc.). Zu erwarten war ebenfalls, dass die Folgen des „Kulturschocks“ bei ihnen eher destabilisierend wirken würden. Mit der erfolgreichen Fortsetzung des Schulbesuches in Deutschland als sogenannte „Quereinsteiger“ würde es schwierig werden, wegen der Sprache. Meine Empfehlung damals an die Väter war, nur Ehefrauen und Kinder unter zehn Jahren nach Deutschland zu holen. Jugendliche sollten den Schulbesuch in der Heimat erfolgreich abschließen, am besten mit einem Abitur. Denn so bliebe ihnen die Tür offen und sie könnten als Studenten nach Deutschland einreisen, auch als volljährige Erwachsene. Leider haben meine Empfehlung lediglich ein paar Leute, die in die Beratungsstelle kamen, umgesetzt. Anpassungsschwierigkeiten in der neuen Umgebung, welche die Familien unmittelbar nach ihrem Eintreffen fast ausnahmslos bekamen, wurden ganz schnell sichtbar und haben für Aufregung in Sozialverwaltungen bestimmter Kommunen gesorgt. In immer schwierigeren Fällen mussten die Jugendämter sowie Schul- und Verfolgungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgericht) tätig werden. Zur Begegnung und Linderung der Schwierigkeiten, die die Familien hatten, um sich sozial zu integrieren, hat der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt, mit Hauptsitz in Bonn, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Offenbach am Main und Rüsselsheim, in manchen Städten in NRW und Hessen, die Zahl der Stellen von Sozialberaterinnen und Sozialberatern von zwei auf zehn erhöht. Aufgrund dieser leider negativ behafteten Entwicklung wurden Medien und Presse ebenfalls auf die marokkanische Minderheitengruppe aufmerksam, die bis dahin in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Sie berichteten leider nur von Fällen steigender Delinquenz/Kriminalität, insbesondere unter den Jugendlichen und Heranwachsenden aus diesen Familien, den sogenannten „Quereinsteigern“.

Anmerkungen zur Haltung der Migrationsforschung Die Migrationsforschung in Deutschland hat sich kaum für die damals kleine Minderheit aus Marokko und Tunesien interessiert. Obwohl kleine Minderheiten schützenwert sind und in der Regel Besonderheiten aufweisen, welche für die empirische Sozialforschung von großem Interesse sein könnten, haben sich Sozialwissenschaftler dem Thema Migration aus Marokko kaum genähert. Somit wurden lediglich ein paar kleine Studien, die man an den Fingern abzählen kann, verfasst. Darunter befindet sich beispielsweise eine kleine Studie der Robert-Bosch-Stiftung und der Arbeiterwohlfahrt zur Familiensituation marokkanischer Arbeitnehmer aus den 80er Jahren. Die einzige, mir bekannte, Doktorarbeit wurde von einem Soziologen aus Baden-Württemberg geschrieben, der in Marokko über die Remigration von Gastarbeitern im nördlichen Teil Marokkos (Abwanderungsgebiet Rif) geforscht und die Zeit genutzt hat, seine Wurzeln in Marokko zu suchen. Der Soziologe ist einer der sogenannten „Soldatenkinder“, deren Väter aus dem Atlasgebirge stammten und im Zweiten Weltkrieg als Soldaten unter französischer Flagge in Deutschland eine Zeit lang stationiert waren. Ich habe ihn Anfang der 70er persönlich kennengelernt, als wir beide noch Studenten waren. Der Zufall wollte, dass ich mit ihm seit dem Sommer des vorigen Jahres wieder in Kontakt stehe, nachdem seine Enkeltochter mir in einer Kulturveranstaltung beim Gnaoua-Festival in Essaouira begegnet ist. Dank der Enkeltochter und den heutzutage schnellen

Foto: Mohammed Akhardid – Porträt 1972

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