HetG-Hebdo 12/2013

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Luzern, den 25. April 2013

Lebensart

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H et GZ no 12

meet & eat Caminada Wer häufig essen geht, weiss es genau: Die Erwartungshaltung spielt bei Restaurantbesuchen eine zentrale Rolle – oftmals ist der Grad ihrer Erfüllung entscheidend für das Gesamterlebnis. Auch uns ist dieses «unkontrollierbare Monster» der Antizipation ein wohlbekannter Begleiter, selbst wenn wir mittlerweile geübt darin sind, uns davon frei zu machen. Im Vorfeld unseres Besuchs im Schloss Schauenstein war dies kaum mehr möglich – zu viele Anknüpfungspunkte und Berichte gab es zu dem kulinarischen Hotspot in der Schweiz, als dass wir «unbelastet» hätten sein können. Hinzu kam ein ständiges Aufschieben: drei Mal hatten wir Reservierungen bereits absagen müssen und warteten somit fast zwei Jahre

Tanja Grandits Basel

Das Essen meines Lebens

zVg

Küche mit prägnanter Handschrift auf den Besuch in Fürstenau. Dass ein derart lange herbeigesehntes Ereignis am Ende nur selten richtig beglücken kann, ist erfahrungsgemäss sehr wahrscheinlich. Aus unserer Perspektive war der Druck auf Andreas Caminadas Schultern somit immens hoch, wenngleich dies dem relaxten Bündner bis dato nicht bewusst gewesen sein dürfte. Nach dem ausgiebigen Menü taumeln wir in einer Art wohligen Trance aus dem Speisezimmer und empfinden eine ähnliche Glückseligkeit wie 2006 im «El Bulli» oder 2008 im «Alinea». Mit Blick auf die Küche attestieren wir, dass Caminada ohne Zweifel das rare Talent

besitzt, einfach jede Komponente in einen harmonischen Kontext zu setzen. Zwar entlockt er den Produkten durch eine Vielfalt an Zubereitungen alle nur denkbaren Facetten und schafft durch die endlosen Kombinationsmöglichkeiten ein hohes Mass an Komplexität. Doch am Ende fügt es sich stets alles in

ein nahezu makelloses Ganzes. Dieses Prinzip beschränkt sich nicht nur auf den einzelnen Teller – es erstreckt sich über das ganze Menü. Eine harmonische Melange, bei der wir weder einen besonders hellen noch einen besonders dunklen Punkt haben, an dem wir uns hätten reiben können. Insofern liegt gerade darin auch unsere einzige wirkliche Kritik: Wir vermissen ein wenig die Spannung. Ab und an wenigstens ein Gericht, das aus dem Muster ausbricht, den Esser herausfordert, provoziert oder polarisiert und damit vielleicht nachhaltiger in Erinnerung bleibt.

Kooperation Die HetGZ arbeitet regelmässig mit den Sternefressern zusammen und publiziert in loser Reihenfolge aktuelle Inhalte aus deren Blog. Wichtigste Elemente sind jeweils eine Gastrokritik sowie ein Hauptartikel zu einem bestimmten Trendthema.

Tim Raue, Ausrufezeichen. Es gibt nur wenige Küchenchefs, die allein durch ihr Auftreten so starke Reaktionen hervorrufen wie er, der Berliner «Starkoch». «My favorite things» ist kein einfaches Buch. Weniger aufgrund der Reproduzierbarkeit der Rezepte, vielmehr irritiert das Werk erstmal. Da ist dieses kleine Format von 25 x 19 cm, das so gar nicht in das aktuelle und ausufernde Kochbuchraster passt. Dann fallen die oftmals farbenfrohen und dennoch matt wirkenden Bilder auf. Und auch das arg dünne Papier, dem es an Wertigkeit mangelt. Inhaltlich haftet dem Kapitel mit eben jenen «favorite things» der Anschein von Werbung an und auch Raues Verwendung von Convenience-Produkten wirft Fragen auf. Erst mit der Zeit weicht dieser irritierende Bruch mit den Erwartungen dem Eindruck, dass dieses 560 Seiten starke Werk nicht nur ein Abbild des Schaffens im Restaurant Tim Raue ist, sondern eher eine Art Selbstporträt darstellt. Neben kleinen Anekdoten und seiner Sicht auf kulinarische Dinge finden wir unter «Statements» teilweise arg markige Sprüche. Insofern ist dieses Buch mehr als die reine Werkschau des Ist-Stands der Küche. Es gleicht einer Collage, die Tim Raues Denken und seinen Werdegang vermitteln soll. In kurzen, präzisen und zuweilen amüsanten Worten macht er klar, welche Intention hinter dem jeweiligen Gericht steckt. Flankiert werden seine Eingaben durch das eigenwillige Layout, bei dem mal von oben nach unten, mal von rechts nach links geschrieben wird, was wohl jede Aussage wie einen spontanen Einfall erscheinen lassen soll. Dies ist zuweilen gewöhnungsbedürftig, wie auch die Inszenierung von Luzia Ellert, die aber gerade deshalb passender nicht sein könnte. Die reduzierte und pointierte Ästhetik des Anrichtens auf spannendem Geschirr wird durch mal farbstark überzeichnete und mal pastellblasse Hintergründe kontrastiert – allerdings ohne das Hauptaugenmerk von der Speise zu lenken, was durch die ungemein detailscharfe Klarheit der Bilder meisterlich gelingt. Selten ist dabei ein Gericht ganzseitig zu sehen. Vielmehr erscheint die Reduktion des Fotoformates als bewusstes Stilmittel, so als wolle man jeden Teller, einem kleinen Kunstwerk gleich, «rahmen». Wichtig bleibt der kulinarische Wert, der sich hinter dieser Inszenierung verbirgt. Raue besitzt eigenen Charakter, eine Unverwechselbarkeit und in seinen Kreationen eine Prägnanz, die all dem entgegensteht, was von Tagesspiegel-Redakteur Bernd

Schweizer talente geSucht Die Sternefresser wollen künftig auch unser Land auf höchstem Niveau abdecken und suchen Verstärkung. Wer also gerne isst und trinkt, viel von der Materie versteht und das auch zu Papier bringen kann, soll sich melden unter sternefresser@hotellerie-et-gastronomie.ch

Matthies einst so treffend als «Streberteller» bezeichnet wurde: Die Gerichte warten mit ungewöhnlichen Kombinationen und Spannung auf, heben sich dadurch ab vom Einerlei und bleiben doch auf das Wesentliche reduziert. Schliesslich ist dies der massgebende Punkt, warum wir dieses Buch empfehlen. Es ist nicht nur die Nabelschau einer polarisierenden Kochpersönlichkeit, sondern erweist sich neben irritierenden Momenten als Quell an Inspiration: für mehr Mut zur Reduktion und zur kompromisslosen Eigenwilligkeit.

a n z e i g e

ChefAlps 26.–27. Mai 2013 Zürcher Eventhalle StageOne Zürich-Oerlikon www.chef-alps.com

«Von diesem Symposium profitiert die ganze Gastronomie. Es ist interessant, andere Chefköche kennen zu lernen - ihr Schaffen, ihre Küche, ihre Traditionen. Dieses Wissen weiterzugeben, ist für die ganze Branche sehr wertvoll.» Andreas Caminada Patronatsträger Schweiz

«Das Essen meines Lebens erlebte ich vor zwei Jahren mit dem Fotografen und Freund Michael Wissing. Wir waren für drei Tage auf grosser Fresstour in Kopenhagen und erlebten das absolute Highlight bei Bo Bech, der damals noch im wunderbar puristischen «Paustian» kochte. Das Restaurant im Hafen, im Erdgeschoss eines Vitra-Möbelhauses, verzauberte mich sofort. Alles war reduziert und hübsch, die Atmosphäre irgendwie magisch. Das ganze Menü war von Anfang bis Ende grossartig, doch ein Gericht hat mich umgehauen wie kein anderes zuvor. Bo hatte während dieses Ganges seine Kochstation für sich allein und kochte in beeindruckender Andacht: ein Stück Steinbutt sanft und perfekt in bester dänischer Butter gebraten, darunter eine würzige Sauerampfer-Creme, die durch den heissen Fisch samtig schmolz. Auf dem Steinbutt lagen köstliche Holunderkapern, die intensiv nach Holunderblüten schmeckten, und über allem lag ein knackiges Spitzkohlblatt. Dieses wurde von Bo à la minute vom Kohlkopf abgeschält und in knallgrünem Bärlauchöl kurz angezogen – das war’s schon. Nahezu unscheinbar und versteckt und doch voller Geschmack und Poesie. Schlichtweg der Hammer und bis heute unübertroffen.»


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