HetG-Hebdo 28/2013

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luzern, den 19. september 2013

lebensart

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H et GZ no 28

JugendproJekt: «gesucht: arbeitsplatz ... aber ...!»

Die Pizzeria ist nur abends offen, damit Zeit für die Jugendlichen bleibt.

Spezialitäten und Selbstgemachtes für zu Hause.

Zeit mit seiner Frau verbringt und «sich etwas Gutes tut». Zum Beispiel Lesen oder Musik hören. Während er bei den Büchern eine klare Linie bevorzugt – Koch- und Psychologiefachbücher –, ist sein Musikgeschmack breit. «Je nach Stimmung Heavy Metal oder Klassik.» Besonders mag er Pink Floyd und Deep Purple. Viel Zeit zur Erholung bleibt ihm allerdings nicht. Denn obschon sein Restaurant nur abends Gäste empfängt, ist Tito Miscia den ganzen Tag voll engagiert. Die Betreuung seiner Schützlinge ist so zeitaufwändig, dass ein Mittagsservice einfach nicht drinliegt. Denn je nach deren Tagesverfassung dauern die Arbeiten zigmal länger als im Berufsalltag üblich. «Wir müssen jeden dort abholen, wo er gerade steht. Es kann sein, dass heute jemand drei Stunden zum Salatwaschen braucht, es morgen aber in 35 Minuten schafft.» Übers Vertrauenund Aufmerksamkeitschenken, Bestätigen und Loben versucht der Sozialpädagoge Miscia das

oft unterentwickelte Selbstwertgefühl der Jugendlichen zu stärken. Deshalb versteckt der Koch Miscia die Lernenden nicht in der Küche, sondern lässt sie in allen Bereichen seines Unternehmens tätig sein. Möglichst oft lässt er sie auch vor dem Gast agieren. Das motiviert die Jungen zu guten Leistungen und lässt bei ihnen Berufsstolz aufkommen. Auch erkennen sie den Sinn ihrer Tätigkeit und erhalten sofort Feedback auf ihre Leistungen. «Viele Gäste merken nicht, dass wir mit etwas speziellen Jugendlichen arbeiten. Das ist für uns, aber vor allem für unsere Lernenden ein grosses Kompliment. Wir sind sehr stolz auf sie.» Stolz sei auch seine Mutter auf ihn, obwohl er kein Gipser geworden ist. Für seinen Berufswechsel in die Gastronomie hätten die Eltern aber kein Verständnis. Mit einem gespielt resignierten Schulterzucken und breitem Grinsen sagt der sozialarbeitende Koch: «Mama kocht eben noch immer besser als ich.» riccarda frei

Das Interesse und Handeln aus einem inneren Anreiz heraus steht bei Jugendlichen oft im Gegensatz zu den Interessen der Erwachsenenwelt und den Anforderungen von Eltern, Schule und Ausbildungsbetrieb. Statt Lernen ist Chillen angesagt, statt Anpassung steht Rebellion auf dem Plan und statt des Hirns spielen die Hormone die Hauptrolle. Doch gerade in der Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsensein werden die Weichen für die berufliche Laufbahn und damit das weitere Leben gestellt. Jugendliche, die in dieser entscheidenden Lebensphase den Anschluss verpassen, haben es später schwer. Damit sie nicht unter die Räder kommen, gibt es für sie soziale Projekte wie «Gesucht: Arbeitsplatz ... aber ...!» Tito und Lotti Miscia bieten damit Jugendlichen, die mit psychischen, gesundheitlichen oder familiären Problemen zu kämpfen haben oder in einer Krisensituation stecken, eine Ausbildung im Gastgewerbe. Mitgetragen wird das Projekt vom Sozialamt, der Jugendanwaltschaft und der Invalidenversicherung. Zusätzlich zur beruflichen Bildung werden die Jugendlichen ganz individuell sozialpädagogisch und bei Bedarf auch psychiatrisch betreut. Sie erhalten intensive Einzelbegleitung mit Arbeitstraining, werden bei Hausaufgaben unterstützt, entwickeln ihre Persönlichkeit und verbessern ihre soziale Kompetenz. Die Eckpfeiler des Ausbildungskonzepts sind Vertrauen schaffen, klare und verlässliche Strukturen bieten sowie empathisches, aber konfrontatives Handeln. In anderen Worten: Die Jugendlichen erhalten klare Aufgaben und werden bei deren Erfüllung geduldig, verständnisvoll, aber konsequent angeleitet und begleitet. Bei der Erledigung der Aufgaben stehen sie allerdings unter weniger Zeitund Erwartungsdruck als in konventio-

nellen Betrieben. Der Faktor Stress wird je nach persönlichem Leistungsvermögen langsam angehoben, so dass der Lernende nach der Ausbildung im Idealfall in der Privatwirtschaft tätig sein kann. Bis dahin ist es aber ein langer, steiniger Weg. «Ein Schritt nach vorn, zieht oft zwei Schritte zurück nach sich», sagt Tito Miscia. Veränderungen bräuchten Geduld, Hartnäckigkeit und Beständigkeit. Nach der Attestausbildung sind die jungen Berufsleute nicht plötzlich auf sich alleine gestellt. Im Gegenteil, Tito Miscia hilft ihnen, Jobs in anderen Gastronomiebetrieben zu finden. Je nach Bedarf betreuen er und seine Frau die von ihnen Ausgebildeten sogar weiter. Mit welchen, teilweise sehr bekannten Lokalen er diesbezüglich zusammenarbeitet, möchte der Koch nicht verraten. Die jungen Arbeitnehmer sollen in ihrem neuen Berufsumfeld Fuss fassen können – vorurteilsfrei nach ihren Leistungen beurteilt, nicht nach ihrem Vorleben.

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