zu sein. Nachdem Giese Monate später ein einjähriges Transitvisum für Frankreich erhalten hatte, verließ er Brünn, um in Paris erneut mit Hirschfeld und Tao Li zusammenzuleben. Doch wurde ihm bereits im Frühjahr des Folgejahres eine „Badeanstaltsaffäre“ zum Verhängnis. Nachdem er in einem öffentlichen Bad Sex mit einem anderen Mann gehabt hatte, wurde Giese unter der Anklage „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, und im Zuge dessen wurde seine Aufenthaltsgenehmigung in Frankreich nicht verlängert. Im Herbst 1934 verließ Giese gezwungenermaßen das Land und zog nach Wien, wo er be-
FOTO: BERND SURK
FOTO: MAX REISS (ARCHIV DER MAGNUS-HIRSCHFELD-GESELLSCHAFT E.V.).
Karl Giese und Magnus Hirschfeld
Gunter Demnig verlegt den Stolperstein für Karl Giese. absichtigte, sein Abitur abzulegen, um anschließend Medizin zu studieren. Wenige Monate später, am 14. Mai 1935, starb Magnus Hirschfeld in Nizza. Aus diesem Anlass reiste Giese erneut in Frankreich ein (diesmal jedoch illegal) und hielt bei der Beisetzung Hirschfelds eine Gedenkrede auf den Freund und Mentor. Im Sommer 1936 zog Karl Giese wieder nach Brünn, wo er bald eine eigene Wohnung in der Střelecká 8 (heute Domažlická 8) bezog. Da ihm aus dem Nachlass Hirschfelds eine beträchtliche Summe Geldes ausgezahlt worden war, konnte er äußerlich gesehen ein recht angenehmes Leben führen. Er besuchte regel-
mäßig das Theater und war nicht genötigt, sich nach einer Arbeitsmöglichkeit umzusehen. Doch dürfte Giese das Gefühl gehabt haben, am Rande eines Vulkans zu wandeln. In erhaltenen Briefen kommt zum Ausdruck, dass er zunehmend unter Depressionen litt. Magnus Hirschfeld, der „Leitstern“ seines Lebens, war schließlich nicht mehr da. Belegt ist, dass Giese in dieser Zeit vor allem Werke der englischsprachigen Literatur las, was möglicherweise darauf hindeutet, dass er nach England oder in die USA auswandern wollte. Der sogenannte Anschluss Österreichs war schließlich der direkte Anlass dafür, dass Karl Giese
sich am 16. März 1938 das Leben nahm. Er war 39 Jahre alt geworden. Angesichts der aggressiven Politik Nazi-Deutschlands nach innen wie nach außen befürchtete er, der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Tschechoslowakei stehe unmittelbar bevor. Giese wurde am 23. März 1938 auf dem Zentralfriedhof in Brünn beigesetzt, sein Grab aber später aufgelassen. Der Stolperstein, den Gunter Demnig am 9. Februar 2016 in Berlin verlegt hat, ist mithin der einzige Ort, an dem Karl Gieses heute öffentlich gedacht wird. RAIMUND WOLFERT
nachr ich t en
45