LAMBDA-Nachrichten 5.2012

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Schwul-lesbische Geschichte

Männliche Körper-Landschaften

Als der in Mähren geborene Anton Kolig 1904 zum Studium an der Kunstgewerbeschule nach Wien kam, brodelte der Sex in der Stadt. Um Gustav Klimt tobte der Kulturkampf wegen seiner als sexuell anstößig empfundenen Fakultätsbilder. Sigmund Freud veröffentlichte seine bahnbrechenden Texte zur Sexualtheorie, die (auch) homophoben Thesen Otto Weiningers waren Gesprächsstoff in den Kaffeehäusern. Die Sensationspresse stürzte sich auf den Prozess gegen Dr. Theodor Beer, in dem er schuldig gesprochen wurde, zwei Knaben verführt zu haben. Karl Kraus verteidig-

Anton Kolig (1886–1950): Männerakt, undatiert

te die „Kinderfreunde“ in einem satirischen Pamphlet seiner Fackel, Freud trat für die Straffreiheit von Homosexualität ein, wohingegen Moritz Benedikt, der Herausgeber der Neuen freien Presse, die Kastration empfahl. Keine einfache Zeit, um zum eigenen homoerotischen Begehren zu stehen, schon gar nicht für einen religiösen Menschen wie Anton Kolig. Streng katholisch heiratete er und wurde Vater von fünf Kindern, doch seine Fantasien ließen ihn ein Leben lang nicht los. Kolig hinterließ mehr als 3.000 Männerakte, die meisten davon Zeichnungen kräftiger junger Männer, deren Muskelspiel und Geschlecht das Interesse Koligs auf sich zogen. In ähnlichen Posen arrangierte er sie einzeln oder in Paaren, meist hingestreckt, ruhend. Sein Blick modellierte die begehrten Körper auf Papier, jeder Strich ist hoch erotisiert, ein Verlangen erweckend, die Spannung in den Körpern Erlösung versprechend. Einem Modell erzählte Kolig, „dass er beim Zeichnen über den menschlichen Körper streicht und streichelt wie über eine Landschaft“. Die Kunstgeschichte versuchte lange Koligs sexuellen Vorlieben mit allerlei Ausflüchten zu erklären. So wurde seine Fixierung mit seinem Interesse an der Architektur des männlichen Körpers erklärt – eine Interpretation, auf die man bei Klimts Frauenakten nie ge-

Copyright: Leopold-Museum Wien

In der Ausstellung „Nackte Männer“ im Leopold-Museum sind neben vielen anderen Werken mit nackten Männern auch Akte und Zeichnungen von Anton Kolig zu sehen, der in diesen seine homoerotischen Gefühle ausdrückte.

Anton Kolig (1886–1950): Nackter Jüngling, 1919 kommen wäre. Die Modelle, die sich Kolig unter der männlichen Jugend des Nötschtals in Kärnten aussuchte, wären angeblich billiger gewesen als weibliche, ist dabei die vielleicht komischste Ausflucht, um nur ja nicht zu Koligs gleichgeschlechtlichem Verlangen Stellung beziehen zu müssen. Ob er sein Begehren jemals ausleben konnte, scheint zweifelhaft. Zu sehr war er in das Korsett von Erziehung, Religion und Konvention geschnürt. Anton Kolig hat sein Begehren sublimiert und dabei Zeichnungen von betörender Körperlichkeit geschaffen. Der junge Mann im Gemälde „Sitzender Jüngling (Am Morgen)“ ist von „wirbelnder Schönheit“, wie es im Katolog zur Ausstellung so schön heißt. In sich versunken strahlt der junge Mann geradezu vor purer Erotik und Sinnlichkeit. Man muss sie nur sehen wollen.

Und diese Möglichkeit bietet die Ausstellung im Leopold-Museum. Die Ausstellung „Nackte Männer“ ist noch bis 28. Jänner 2013 zu sehen. Am 15. Dezember 2012 findet um 15 Uhr eine Themenführung „Der homoerotische Blick“ und am 3. Jänner 2013 um 19 Uhr ein Vortrag gleichen Titels statt. ANDREAS BRUNNER

Andreas Brunner betreibt Archiv und Bibliothek der Forschungsstelle „QWIEN – Zentrum für schwul/ lesbische Kultur und Geschichte“ und bietet regelmäßig schwule und schwul/lesbische Stadtspaziergänge an, in denen er auch Ergebnisse der eigenen Forschung präsentiert.

Infos im Web www.leopoldmuseum.org

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