HORIZONTE - Journal for Architectural Discourse No.2 – How to Architecture?

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sich kontinuierlich auf die Lungen der Arbeiter legt. Langsam schreibt er sich in deren Körper ein, verformt und zerstört sie letztlich. An anderer Stelle zeichnen sich weitaus weniger aggressive Einwirkungen des Ortes auf den Menschen ab. Die Sprache hat ihre eigenen Windungen und Auswüchse entwickelt, die Kinder spielen ihre gemeinsamen Spiele, man erzählt sich aus einem geteilten Schatz aus Geschichten und Traditionen. Eben diese Umkehrung, die Markierungen des Ortes im Menschen, sind es, die für die Stadt heute eine besondere Rolle spielen. Nachdem Ende der 60er Jahre der Schieferabbau eingestellt wurde, ist die Stadt in einer merkwürdigen Zwischenzeit gefangen. Das umgebende Land ist bis zur Unbrauchbarkeit in Besitz genommen und die dem Land zugrunde liegende Arbeit zugleich verschwunden. Es scheint für die Bewohner an der Zeit weiter zu ziehen. Tatsächlich ist die Stadt auf heute nur noch knapp 4.000 Einwohner geschrumpft. Allein, sie verschwindet nicht. Der letzte Halt liegt offenbar in eben jenen Einschreibungen des Ortes im Menschen. Die über Generationen geleistete, gemeinsame Arbeit hat als ihren ganz eigenen, speziellen Abfall, die Kultur entstehen lassen, die Identität des Ortes. Festgeschrieben in den hier Ansässigen, ist sie das, was man wohl in seiner Gesamtheit zu jenem diffusen Gefühl der Heimat zusammenfassen mag. Ergebnis und Basis der gemeinsamen Arbeit zugleich, gerät auch diese Zugehörigkeit langsam ins Wanken. Die allen gemeinsame Arbeit fehlt, klare Konturen zwischen Fremd und Eigen beginnen zu verwischen. Die Einschreibung des Ortes im Menschen droht zu ihrem eigenen Nachhall zu verkommen. Tourismus als ein erster Reflex auf der Suche nach neuen, gemeinsamen Motiven, geboren aus dem Stolz auf das von Generationen erarbeitete Bild der eigenen Landschaft. Der ausgegrenzte Fremde wird nun freudig erwartet. Die Kultur als eine weitere, überaus vage Hoffnung. Die Reste der gemeinsamen Identität werden dabei fest umklammert und im Festhalten verschwinden sie unweigerlich. In diesem Zustand der Unsicherheit, der Verfangenheit in alten, verblassenden Bildern und dem Wunsch nach neuen Motiven, versucht sich das

Projekt schwarzwurzel in einer Art assoziativen Feldstudie. Einem dünnen Transparentpapier gleich legen sich die Projekte in und über Steinach, zeichnen Bilder aus gefundenen wie erdachten Linien. Es geht um die Suche nach lesbaren Spuren, den Resten der gemeinsamen Identität, die Auseinandersetzung mit dem umgebenden Raum und den eingeschriebenen Geschichten. Es ist ein Versuch, den an die Vergangenheit verlorenen Raum zurück in die Gegenwart zu holen, ihn ein weiteres Mal in Besitz zu nehmen. Mit oder ohne Aufstieg auf einen Hügel ... Das Kulturprojekt schwarzwurzel fand vom 17.-25. Juli 2010 im thüringischen Steinach statt. Es entstand unter Mitwirkung von Carolin Clausnitzer, Georg Götze, Kevin Helms, Gregor Michael Hennig, Ragna Körby, Enrico Krumbiegel, Tobias Kurtz, Karolin Leipold, Susann Liebold, Bianca Metzner, Lucio Nardi, Marta Pohlmann-Kryszkiewicz, Claudia Rockstroh, Carlos Perrez, Benjamin, Johanna und Mathias Wölfing sowie zahlreichen Bürgern und Besuchern vor Ort. Ausschnitte und Einblicke gibt es unter schwarzwurzel.tumblr.com. Ende des Jahres wird ein zugehöriger Katalog erscheinen.


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