Leseprobe ZNP 2019

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J. K. Denkinger et al., Exekutivfunktionen bei NF1 und ADHS

Hypothese 2: NF1-Patienten mit ADHS und ADHS-Patienten ohne NF1 weichen in ihren exekutiven Funktionen signifikant von der Norm ab und zeigen ein vergleichbares Profil an exekutiven Dysfunktionen. Exekutiver Gesamtwert (BRIEF) Die NF1Kontrolle unterschied sich im Elternurteil des exekutiven Gesamtwerts nicht signifikant von der Norm [χ2(1, N = 11) = 1.30, p = .389]. Die NF1ADHS [χ2(1, N = 11) = 8.00, p = .016] und die ADHSKontrolle [χ2(1, N = 11) = 13.49, p = .003] wurden im exekutiven Gesamtwert signifikant schlechter beurteilt als die Normstichprobe. Kognitive Flexibilität in der Fremdbeurteilung (BRIEF) Bezüglich der kognitiven Flexibilität im Elternurteil unterschieden sich die NF1Kontrolle [χ2(1, N = 11) = 1.30, p = .389] sowie die NF1ADHS [χ2(1, N = 11) = .09, p = 1] nicht signifikant von der Norm. Einen signifikanten Unterschied zur Normstichprobe wies nur die ADHSKontrolle auf [χ2(1, N = 11) = 8.00, p = .016]. Verbale kognitive Flexibilität (RWT) Bei der NF1Kontrolle lagen alle Werte des 2-minütigen semantischen Kategorienwechsels im unauffälligen Bereich, weshalb der Chi-Quadrat-Test nicht berechnet werden konnte. Die NF1ADHS [χ2(1, N = 9) = 11.61, p = .006] und die ADHSKontrolle [χ2(1, N = 10) = 23.73, p < .001] zeigten hingegen einen höheren Anteil an auffälligen Leistungen als die Norm. In der semantischen Wortflüssigkeit unterschied sich weder die NF1Kontrolle [χ2(1, N = 11) = 0.30, p = .713] noch die NF1ADHS [χ2(1, N = 9) = 0.37, p = .632] oder die ADHSKontrolle [χ2(1, N = 10) = 0.20, p = 1] signifikant von der Norm. Bezüglich der formallexikalischen Wortflüssigkeit unterschied sich die NF1Kontrolle nicht signifikant von der Normstichprobe [χ2(1, N = 11) = 0.09, p = 1]. Die NF1ADHS wich signifikant [χ2(1, N = 9) = 6.12, p = .034], die ADHSKontrolle nur marginal signifikant von der Norm ab [χ2(1, N = 10) = 4.9, p = .05].

Diskussion In der vorliegenden Studie wurden die exekutiven Funktionen von NF1-Patienten mit und ohne ADHS sowie die von ADHS-Patienten ohne NF1 untersucht, um zu überprüfen, ob exekutive Dysfunktionen zum kognitiven NF1Profil zählen. Obwohl sich die Patientengruppen im direkten Vergleich nicht signifikant voneinander unterschieden, wurden Unterschiede zwischen den drei Patientengruppen im Vergleich zur Normstichprobe deutlich. Die Ergebnisse le© 2018 Hogrefe

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gen nahe, dass NF1-Patienten, die nicht an ADHS leiden, auch nicht von exekutiven Dysfunktionen betroffen sind. Weder zu Hause noch in der Laborumgebung zeigten NF1Patienten ohne ADHS Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen. NF1-Patienten, die zusätzlich von ADHS betroffen sind, legten hingegen im Vergleich zu einer gesunden Stichprobe mehr Auffälligkeiten an den Tag und ähnelten dabei ADHS-Patienten ohne NF1. So bewerteten Eltern von NF1-Patienten mit ADHS genauso wie Eltern von ADHS-Patienten ohne NF1 die exekutiven Funktionen ihrer Kinder als auffällig. Es konnte in bisherigen Studien vielfach gezeigt werden, dass ADHS mit exekutiven Dysfunktionen einhergeht (Seidman, 2006). Die Ergebnisse unserer Studie verdeutlichen, dass NF1-Patienten mit ADHS unter denselben exekutiven Einschränkungen leiden wie auch ADHS-Patienten ohne NF1. Es liegt demnach nahe, dass exekutive Dysfunktionen nicht generell ein Problem von NF1 sind, sondern nur aufgrund der hohen Komorbidität mit ADHS gehäuft bei Kindern mit NF1 auftreten. Unsere Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass sich die NF1-Population in zwei Subtypen von neuropsychologischen Profilen unterteilen lässt. Es konnte bereits gezeigt werden, dass Patienten mit NF1 und komorbider ADHS signifikant geringere Leistungen in Intelligenztests erbringen (Lidzba, Granström, Lindenau & Mautner, 2012) und von Lernstörungen häufiger betroffen sind als NF1-Patienten ohne ADHS (Hyman, Shores & North, 2006). Die vorliegenden Ergebnisse erweitern die neuropsychologischen Unterschiede der NF1-Patienten mit und ohne ADHS um die exekutiven Dysfunktionen. In der kognitiven Flexibilität ergab sich jedoch eine Besonderheit. Im Gegensatz zum exekutiven Gesamtwert bewerteten die Eltern die kognitive Flexibilität der NF1Patienten unabhängig von einer ADHS-Diagnose als unauffällig, wie auch schon in früheren Studien gezeigt werden konnte (Roy et al., 2014). Es wäre demnach möglich, dass Kinder mit NF1 und ADHS zwar in vielen ihrer exekutiven Funktionen Beeinträchtigungen aufweisen, die kognitive Flexibilität sich allerdings zumindest im alltäglichen Leben nicht als beeinträchtigt zeigt. Unter Laborbedingungen weisen NF1-Patienten mit ADHS sowie ADHSPatienten ohne NF1 wiederum Beeinträchtigungen der kognitiven Flexibilität auf. Unterschiede in den Ergebnissen aus Fremdbeurteilungen und neuropsychologischen Testverfahren sind keine Seltenheit (Bodnar, Prahme, Cutting, Denckla & Mahone, 2007; Payne, Hyman, Shores & North, 2011) und lassen sich durch Unterschiede in den erfassten Konstrukten erklären. Während die Fremdbeurteilung im BRIEF auf verschiedenen Erfahrungen über eine längere Zeitspanne hinweg fußt, spiegeln die neuropsychologischen Testverfahren eine Momentaufnahme der Leistungen unter Laborumgebungen wieZeitschrift für Neuropsychologie (2018), 29 (2), 71–78


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