Leseprobe Praxis 2/2020

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In der Schweiz werden 70 % aller Chlamydieninfektionen bei Frauen gefunden, wobei 70 % der Ansteckungen asymptomatisch verlaufen. Grund für den häufigeren Nachweis von Chlamydien bei Frauen dürften die häufigeren Untersuchungen junger Frauen im Rahmen der Antikonzeptionsberatung sein. Im Jahr 2017 lag die gesamte Anzahl Neudiagnosen bei 11 013, was einer Inzidenz von 130/100 000 entspricht. Aufgrund von Schätzungen sind zwischen 3 und 10 % der sexuell aktiven Bevölkerung von Chlamydien betroffen. Die urethrale Gonorrhö ist deutlich seltener, jedoch ist sie seit ihrer statistischen Erfassung im Jahr 1988 stetig im Zunehmen begriffen. Im Jahr 2017 wurden in der Schweiz 2809 als sicher oder wahrscheinlich klassierte Fälle ge-

Key messages • Die Ursache der rezidivierenden urogenitalen Infektionen ist bei Candida, bakterieller Vaginose und Mykoplasmataceae auf eine Dysbalance der urogenitalen Flora zurückzuführen. • Im Zug der Kommerzialisierung von «Multiplex-PCR» werden heute häufiger Trägerkeime oder fakultativ pathogene Keime nachgewiesen. Für diese Keime gibt es keine Evidenz, dass deren Behandlung mehr nützt als schadet (Resistenzlage). Trägertum ist bei sexuell aktiven Frauen häufig, und die wenigsten Frauen erkranken. • Neisseria gonorrhoeae, Chlamydia trachomatis, M. genitalium, HSV und Trichomonaden sind sexuell übertragbare Keime und bedürfen einer Partnertherapie. • Bei urogenitalen Infekten ist die Suszeptibiltät für STD erhöht. Bei Nachweis eines sexuell übertragbaren Keimes soll nach weiteren sexuell übertragbaren Erkrankungen gesucht werden. Lernfragen 1. Welcher Erreger bedarf einer Partnerbehandlung? (Einfachauswahl) a) Candida albicans b) Trichomonas vaginalis c) Mycoplasma hominis d) Staphylococcus saprophyticus e) Humanes Papillomavirus 2. Welche Aussage zu urogenitalen Infekten ist korrekt? (Einfachauswahl) a) Candida albicans verursacht aufsteigende Infektionen mit Sterilitätsfolgen. b) Mykoplasma hominis ist ein häufiger Erreger sexuell übertragbarer Urethritiden. c) Schweizweit steigen die Zahlen von Neisseria gonorrhoe und Chlamydia trachomatis. d) Die aerobe Vaginitis wird anhand der Amsel-Kriterien diagnostiziert. e) Die aerobe Vaginitis rezidiviert aufgrund der spezifisch zur Verfügung stehenden Behandlung kaum.

Praxis 2020; 109 (2): 79–85

Mini-Review

meldet, was einer Inzidenz von 33/100 000 in der Population entspricht. Bei der Urethritis treten Beschwerden wie Dysurie, postmiktionelles Brennen oder Irritationen im Unterleib auf. Die Tests mit der höchsten Sensitivität und Spezifität von urethralen Keimen sind PCR-basiert [24], können sowohl im Abstrichmaterial von vaginalen, zervikalen oder urethralen Proben als auch aus dem Morgenurin bwz. Erststrahlurin nach einer Miktionskarenz von einer Stunde detektiert werden [25]. Die PCR-basierten Nachweise haben allerdings den Nachteil, dass sie kein Antibiogramm zulassen. In einer prospektiven Studie von 2246 sexuell aktiven Studentinnen fand sich für M. genitalium eine Prävalenz von 3,3 %. Da M. genitalium in der Schweiz nicht meldepflichtig ist, fehlen hierzu Daten. Dieser Keim scheint aber ein Marker für aufsteigende Infekte zu sein. So haben Patientinnen mit M. genitalium im Vaginalabstrich im 12-Monats-Verlauf signifikant häufiger eine PID als Frauen, bei denen initial keine Mykoplasmen gefunden wurden [26]. Nicht selten findet man bei Trägerinnen von M. genitalium Koinfektionen mit Chlamydien [27]. Bei Nachweis einer der genannten drei Keime (M. genitalium, N. gonorrhoe und Chlamydia trachomatis) wird das komplette PID-Screening mit Bestimmung der HIV-, Lues- und Hepatitisserologie empfohlen. Die Therapie der verschiedenen Urethritiskeime ist in Tabelle 3 zusammengestellt. Bei M. genitalium ist 1 g Azithromycin als Einmaldosis die Therapie der Wahl [20, 28]. Azithromycin heilt in 77 % die M.-genitalium-Urethritis aus [29]. Bei fehlendem Ansprechen ist die zweite Wahl eine Therapie mit 400 mg Moxifloxazin täglich für sieben Tage [30]. Das häufig zur Behandlung von Ureaplasmen oder M. hominis gebrauchte Doxyzyklin ist in der Hälfte der M.-genitalium-Infektionen nicht wirksam [30]. Generell soll bei den PCR-basierten Tests bis zur Therapiekontrolle sechs Wochen abgewartet werden, da ansonsten DNA aus nicht aktiven Bakterienbestandteilen nachgewiesen wird und ein falsch-positives Resultat und somit fälschlicherweise ein «Rezidiv» liefert. Auch ist bei den urogenitalen wiederkehrenden Infektionen an eine potenzielle polymikrobielle Besiedelung zu denken.

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