Fischer, Erdbeerbaum

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21.2.2006

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Frühling

Die Aurikel – Frühlingsschmuck der Kalkfelsen «… aus den fleischigen Blattrosetten erhob sich die graziöse Blütendolde mit ihren mehlbestäubten Blütenkelchen. Die großen, mattgelben Blütenkronen mit dem weißen Auge strahlten eine solche Frische und Reinheit aus, dass mir das Pflücken dieser vollkommenen Blume wie ein Frevel vorgekommen wäre …» So anschaulich und poetisch beschreibt der Neuenburger Botaniker Claude Favarger die Begegnung mit einer Primel der ganz besonderen Art: der Felsen-Aurikel (Primula auricula). Die Aurikel blüht von April bis Mai auf Kalkfelsen zwischen 1600 und 2900 Meter über Meer. Wegen ihrer hübsch gelb gefärbten Blüten wird sie auch «Frühlingsschmuck der Kalkfelsen» genannt. Bei uns ist sie aber eher unter den Namen Flühblume, Florblüemli, Alphändscheli, Steischlüsseli und Bärgschlüsseli bekannt. Eine Primel nicht wie die andern Auch wenn das Hauptverbreitungsgebiet der Gattung die Gebirge des Himalayas sind, so gibt es im ganzen Alpenbogen ebenfalls eine große Anzahl von Primelarten. In der Schweiz sind vor allem die beiden Schlüsselblumenarten FrühlingsSchlüsselblume (Primula veris) und Wald-

Die Aurikel wächst in den Kalkalpen.

Schlüsselblume (Primula elatior) weit verbreitet. Aurikel lassen sich einfach von Schlüsselblumen unterscheiden: Ihre Blätter sind viel dicker und fleischiger; zudem sind Kelchblätter, Stängel und Blätter von einer mehligen Schicht überzogen. Diese Unterschiede sind nicht zufällig. Es sind Eigenschaften, die es den Aurikeln erlauben, sich in den rauen klimatischen Verhältnissen der alpinen Kalkfelsen zu behaupten. Die fleischigen Blätter dienen als Wasserspeicher und die mehlige Schicht trägt zum Schutz vor schädlichen UV-Strahlen bei. Lange und derbe Wurzeln verankern die Aurikel in den Felsspalten und ermöglichen es der Pflanze, aus dem kargen Boden genügend Wasser und Nährstoffe aufzunehmen. Der Wurzelstock speichert Nähr- und Betriebsstoffe während des Winters. Die Aurikel überwintert mit einer grünen Knospe, deren Blätter schon im Herbst ansehnlich entwickelt sind und lose aufeinander liegen. Dies ermöglicht es der Pflanze, in den ersten warmen Frühlingstagen zu blühen. Pflücken: ein Frevel Die Aurikel findet man im Kanton Bern eher selten. Aus diesem Grund sind sie hier auch geschützt. Doch nicht nur das Gesetz, sondern auch der Anstand verbietet es uns, die Pflanzen, die da so munter blühen, von den Kalkfelsen zu pflücken. Wen die poetische Beschreibung von Claude Favarger jedoch neugierig gemacht hat, der kann die blühende Aurikel im Alpinum sehen, wo sie mit ihren leuchtend gelben Blütenköpfen die Herzen der Besuchenden höher schlagen lässt.


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