Homosexualität und Religion

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„Wir haben im Libanon nicht unsere Ziele erreicht, weil im Heiligen Land Unzüchtigkeit und sexuelle Freizügikeit um sich greift.” Rabbiner Mosche Sternbach

schließe und somit gegen das erste Gebot der Bibel verstoße: „Seid fruchtbar und mehret euch!” (Gen 1, 28). Darum sagt die Mischna lapidar: „Kein Mann darf sich der Erfüllung dieses Gebotes entziehen, es sei denn, er habe schon Kinder”. Der Talmud untersagt schließlich jede sexuelle Handlung, ob allein oder mit anderen ausgeübt, bei der Samen verlorengeht, der doch für die Zeugung bestimmt sei. Darüber hinaus wird Homosexualität in der jüdischen Tradition schon deswegen verworfen, weil sie die normale, intakte Familie zerstöre, denn der homosexuelle Mann verlasse Frau und Kinder, um sich mit einem Mann zu verbinden.

doxie eine Bewegung hin zur Relativierung des Übels: die Sündhaftigkeit homosexueller Praktiken dürfe nicht schärfer verurteilt werden als etwa der Bruch der Schabbatruhe, die Missachtung der Speisegesetze oder soziales Fehlverhalten.

Der heutige Umgang mit der Homosexualität

“We agree that the text of the Torah is unchangeable, but the meaning that the text holds, that is, its halakhic meaning, is explained by the rabbis… We fully understand that a change in the understanding of the Torah’s halakhic meaning is a major change in precedented rabbinic law… We believe, however, that in this case the change in historical circumstance [of homosexuality] is adequate to justify a change in the halakhah.”1

Die negative Einstellung gegenüber schwulen und lesbischen Beziehungen bildet die klassische Position des Judentums zu diesem Thema und wurde bis vor einigen Jahrzehnten nicht hinterfragt. Wenn die Orthodoxie daran festhält, dass alles, was in der Bibel steht, buchstäbliches und verbindliches Gotteswort ist, und dass auch die mündliche Lehre, also der Talmud, gottgegeben ist, dann leben homosexuelle Juden und Jüdinnen nach dieser orthodoxen Auffassung in beständiger Verfehlung. Dabei wird jedoch zwischen homosexueller Veranlagung und gelebter Homosexualität unterschieden. Schon die antiken Texte verbieten ausdrücklich nur homosexuelle Praktiken, nicht die entsprechende Anlage. Orthodoxe Zeitgenossen begreifen diese Veranlagung heute allerdings manches Mal als krankhaft und fordern eine ärztlich Behandlung beziehungsweise den Verzicht auf gelebte Sexualität. Entsprechende Beispiele kennen wir aus der Filmdokumentation Trembling Before God von Sandi Simcha Dubowski aus dem Jahr 2001. Dieser Film führte dazu, dass orthodoxe Rabbiner am Amiel-Institut in Jerusalem im Jahr 2004 erstmals über ein Thema diskutierten, das bislang tabu war: Wie sollen den Traditionen verbundene Rabbiner mit offen homosexuellen Gemeindemitgliedern umgehen, die trotz ihrer sexuellen Orientierung am Gemeindeleben teilnehmen wollen? Neben unreflektierter Homophobie gibt es in der Ortho-

In ihrem religionsgesetzlichen Gutachten zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen charakterisierten die drei konservativen Rabbiner Geller, Fine & Fine die Halacha als ein auf historischer Grundlage beruhendes religiöses Rechtssystem, das die Werte, die Ethik und die Situation des jüdischen Volkes zu jeder Zeit widerspiegele.

Das Judentum betrachtet die Tora also als göttlich inspiriert, aber nicht als unwandelbar. Damit vertritt das Judentum die Position, die Tora sei Zeuge einer prägenden Erfahrung. Die religiöse Botschaft wurde von Generation zu Generation daraus gehört und erforderte, jeweils neu ausgelegt zu werden. Ihre Heiligkeit besteht in dem, was sie bezeugt, nicht in der Art und Weise, wie sie etwas darstellt. Es obliegt jeder Generation, je neu zu Entscheidungen zu kommen und dafür die aktuellen Einsichten heranzuziehen. Die historisch-kritische Lesart der Hebräischen Bibel außerhalb der Orthodoxie erlaubt es folglich, die harschen biblischen Verbote in Frage zu stellen. So wie die Verfehlung der Sodomiter vor allem im Bruch des Gastrechtes lag, so finden sich bei dem Verweis auf die Bräuche der Ägypter und der Kanaaniter vielleicht Hinweise auf die dortige männliche 1 Homolka, Jüdisches Eherecht, S.263.

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