ULUTUNCOK_Ruanda_2004

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17.02.2004

Akazu »Das kleine Haus«; innerer Machtzirkel um Habyarimana

17:17 Uhr

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Als die wirtschaftliche und politische Lage in Ruanda sich 1989 verschlechtert, sehen viele belgische Beobachter sich veranlaßt, von einer »Endzeitstimmung« und einem Scheitern des Kooperationsmodells zu sprechen. Am 1. Oktober 1990 greifen einige tausend ruandische Soldaten der ugandischen National Resistance Army (NRA) im Nordosten des Landes an. Diese Guerilleros bezeichnen sich selbst als Inkotanyi (Kämpfer) und bilden den bewaffneten Arm des Front patriotique rwandais (FPR). Diese 1987 in Kampala aus dem Untergrund hervorgetretene Bewegung vollzieht einen Bruch mit der monarchistischen Tradition der alten Unar und verfolgt das Ziel, den ruandischen Staat auf nationaler Grundlage wieder aufzubauen und unter allen Umständen den geflohenen Tutsi die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen. Hinter diesem Ziel steht die gesamte ruandische Diaspora seit ihrem Washingtoner Kongreß im Jahr 1988. Außerdem profitiert der FPR von den Aktivitäten einer Gruppe von Hutu-Funktionären, die sich von der Korruption und dem Nepotismus des HabyarimanaRegimes abgestoßen fühlen, darunter Oberst Alexis Kanyarengwe und Pasteur Bizimungu, der ehemalige Direktor der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft. Der Zusammenbruch des Regimes scheint nahe. Doch die Oktoberoffensive wird von der Armee, den Forces armées rwandaises (FAR), mit Unterstützung durch Truppen aus Frankreich, Belgien und Zaire rasch zerschlagen. Der Führer der Inkotanyi, Fred Rwigyema, kommt schon in den ersten Tagen ums Leben. Der Widerstand Kigalis kann nur überraschen, wenn man die ausländische Hilfe, den neuerlichen Rückgriff auf das immer noch virulente ethnische Denken und die listigen Machenschaften des Präsidenten außer acht läßt. Juvénal Habyarimana versteht es, sehr schnell ausländische Hilfe zu mobilisieren; er zögert nicht, die alte Propaganda gegen die »feudalistischen Tutsi« wiederzubeleben; und er scheut auch nicht vor einer Provokation zurück: Nach einem Scheinangriff auf Kigali in der Nacht zum 4. Oktober läßt er etwa 8 000 Verdächtige in den Gefängnissen und Stadien von Kigali zusammentreiben. Der FPR unter seinem neuen Führer Paul Kagame verlegt die Front in den vulkanischen Teil des Landes und baut dort im Norden mit stillschweigender Unterstützung Ugandas eine Guerillabewegung auf. Von 1991 bis 1993 erleben wir einen Wettlauf gegen die Zeit zwischen zwei Logiken: zwischen

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der des Verhandelns und der Demokratisierung des Regimes auf der einen Seite, der des Krieges und der Mobilisierung ethnischer Feindseligkeit auf der anderen. Drei Jahre lang hielt das Regime Habyarimana an diesem Doppelspiel fest und konnte sich dabei ganz auf die militärische Hilfe der französischen Regierung unter Präsident François Mitterand verlassen. Die Verteidigung der bestehenden Ordnung im französischen Einflußbereich, der durch einen anglophonen Einbruch (ein neues Fachoda) bedroht war, schien mit der auf der Konferenz von La Baule im Juni 1990 empfohlenen demokratischen Öffnung einhergehen zu können. Außerdem hatte Juvénal Habyarimana von Anfang deutlich gemacht, daß die politische Unordnung unweigerlich zu Gewalttätigkeiten zwischen den verschiedenen Ethnien führen müsse. Er präsentierte sich selbst als Bollwerk gegen solche Exzesse und als legitimer Vertreter der »Volksmehrheit«. Diese Argumente überzeugten nicht nur die in Brüssel beheimatete Christlichdemokratische Internationale, sondern auch zahlreiche französische Sozialisten, die damals ein afrikanisches »1789« zu erkennen glaubten, das geschützt werden müßte. Doch die Situation im Lande war vollkommen anders. Tatsächlich gab es keinerlei spontane Repressalien gegen die Tutsi. Die Gewalttätigkeiten, zu denen es von 1990 bis 1993 gelegentlich kam, wurden jeweils aus Gründen politischer Opportunität von staatlicher Seite organisiert. Andererseits gewann die innere Opposition gegen die an der Macht befindliche Fraktion ständig an Stärke. Die Habgier des von der Präsidentenfamilie, des sogenannten Akazu, geführten Nordclans wird von den Eliten des Südens und des Zentrums kritisiert, die zum Teil nostalgisch der Zeit Kayibandas verhaftet, zum Teil aber auch offen für ein moderneres soziales Leben sind, in dem das Tutsi-Problem überwunden wäre. Angesichts einer schwierigen Wirtschaftslage, eines Bürgerkriegs im Norden, einer neuen HutuOpposition, die bereit ist, sich mit den Rebellen zu verbünden, und angesichts internationalen Drucks, weicht das Regime Schritt für Schritt zurück: Presse- und Versammlungsfreiheit werden wiederhergestellt, und im Juni 1991 erlaubt eine Verfassungsreform die Schaffung eines Mehrparteiensystems. Mehrere Parteien werden neu oder wieder gegründet: der MDR (Mouvement démocratique républicain), Nachfolger des Parmehutu und hauptsächlich in der Präfektur Gitarama verwurzelt; der PSD (Parti social-démocrate), dessen


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