RC Premium 2/2016

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EXPERTEN BEITRAG Der Traum vom schmerzfreien Kniegelenk von Prof. Dr. med. Rainer Siebold

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m gesund zu bleiben, sollte man 10.000 Schritte pro Tag gehen das sind mehr als fünf Kilometer. Das steigert das Wohlbefinden und das Risiko für Bluthochdruck, Diabetes, Herzerkrankung oder Schlaganfall wird deutlich verringert. Auch dem Rücken und den Gelenken bekommt die Bewegung gut. Dabei funktioniert das Zusammenspiel von Muskeln, Gelenken und Nervensystem wie ein faszinierendes Wunderwerk. Trotz unglaublicher Leistungsfähigkeit lernen wir im Laufe des Lebens aber auch unsere natürlichen Grenzen kennen. Der Körper und die Gelenke besitzen zwar ein unglaubliches Regenerationspotenzial, dennoch bleiben Überlastung und Verschleiß ab einer gewissen „Kilometerleistung“ oder durch Verletzungen leider nicht aus. Das durch Bänder stabiliserte Kniegelenk ist durch seinen komplexen Aufbau mit Meniskus, Knorpel und Kapsel-Bandapparat besonders anfällig. Schon kleine schmerzhafte Knorpelschäden beeinträchtigen oftmals in erheblichem Maße unser Aktivitätsniveau und können uns zur Sportaufgabe zwingen. Für den behandelnden Arzt ist die Therapie schmerzhafter Knorpelschäden eine der größten Herausforderungen. Glücklicherweise gibt es endlich Hoffnung, denn der Traum vom schmerzfreien Kniegelenk ohne Knieprothese rückt näher. Durch unser besseres Verständnis des Knorpelstoffwechsels ist es der modernen Medizin und Biotechnologie inzwischen gelungen, das Regenerationspotential unseres Körpers besser zu nutzen. Das Anzüchten und Einsetzten körpereigener Knorpelzellen, die sogenannte Knorpelzelltransplantation (= ACT) macht es nämlich heute möglich, ein gutes Knorpelregenerat zu erzeugen und tiefe Knorpelschäden wieder zu verschließen.

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Im Idealfall kann der Patient wieder gänzlich beschwerdefrei werden und das Fortschreiten der Knorpelschäden kann dadurch eingedämmt werden. Eine Knieprothese kann erst einmal vermieden werden. Ein kleiner Wehrmutstropfen ist allerdings, dass wir heute noch nicht genau wissen, wieviele Jahre der nachgewachsene Knorpel stabil ist, denn dafür ist das Verfahren noch zu jung. Auch kann leider bisher eine fortgeschrittene Kniearthrose damit noch nicht erfolgreich behandelt werden. Umso wichtiger ist es, rechtzeitig zum Arzt zu gehen, um weitreichende Knorpelschäden rechtzeitig zu behandeln.

Schmerzt das Knie, so muß zunächst eine genaue Diagnostik durchgeführt werden, um die Ursache festzzustellen. Liegt ein Knorpelschaden der Gelenkoberfläche vor, muss der Knorpeldefekt auf seine Eignung zur Knorpelzelltransplantation hin beurteilt werden. Dazu wird eine Kernspintomographie (= MRT) durchgeführt. Wird die Entscheidung zur Knorpeltransplantation getroffen wird zunächst eine minimalinvasive Operation (= Arthroskopie) durchgeführt und ein nur wenige Millimeter großes Knorpelstück für die Anzüchtung der Knorpelzellen aus dem Kniegelenk entnommen. Die körpereigenen Knorpelzellen werden dann durch spezialisierte Biotechnologie-Firmen unter strengen medizinischen Qualitätskriterien gereinigt und vermehrt. Dieser Prozess kann ca. sechs bis acht Wochen in Anspruch nehmen. In einer zweiten minimalinvasiven Operation werden die hochpotenten eigenen Knorpelzellen anschließend in den Knorpeldefekt des eigenen Kniegelenks eingepflanzt (Abb.1). Durch biochemische Signale wachsen die Knorpelzellen dann heran und können große Knorpellöcher innerhalb von sechs bis zwölf Monaten wieder verschließen (Abb.2). Das von der deutschen Firma co.don® AG (Teltow/Berlin) entwickelte Verfahren macht es erstmals weltweit möglich, die Implantation der Knorpelzellen rein arthroskopisch, das heißt ohne eine großflächige Eröffnung des Kniegelenkes durchzuführen. Dabei werden die Knorpelzellen zu winzigen Zellhaufen (größeren Kügelchen) zusammengefasst, die je nach Reifegrad nur einen Durchmesser von 0,5 bis 0,7 Millimeter haben. Jedes einzelne Kügelchen