Und über uns der blaue endlose himmel

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Lei. Die Währungsreform im Winter war für die meisten bedeutungslos. Sie hatten nicht viel Geld. Von zu Hause, von der Tochter, hatten sie keine Nachricht. Genau 29 Postkarten hatte Vetter Jakob schon geschrieben, doch auf keine einzige eine Antwort bekommen. Nur als er in Luciu, einem Nachbardorf, beim "Laubkaufen" zufällig einem rumänischen Jungen die Karte zum Einwerfen gab, kam diese in Temeschburg an. Nach einiger Zeit durften die Verschleppten dann Pakete bekommen, doch keine Briefe. Man ließ sich daher die Post zu einheimischen Rumänen kommen. Das Leben war schwer, mußte aber weitergehen. Der erste, der in fremder Erde begraben wurde, war Peter Ehling. Außer ihm starben von den Deutschen aus Großsanktpeter noch weitere sieben Personen. In dieser Zeit kamen auch vier Kinder zur Welt. Der Pfarrer war katholisch, sprach ungarisch, rumänisch und deutsch und war auch der Seelsorger der Serben. Die vielen Kinder mußten auch in die Schule. Drei Lehrkräfte, Lehrer K. aus Lenauheim, Lehrer S. und Lehrerin M.A. aus Perjamosch waren pflichtbewußt und tüchtig. Sie führten sogar Volkstänze auf. Vor allem wegen ihres Mutes, sich für das Deutschtum einzusetzen, wurden sie von allen geschätzt. Selbst ein Arzt war im Dorf. Doktor R. stammte aus Gottlob und war auch deportiert worden. Die meisten Verschleppten arbeiteten auf dem Staatsgut. Es wurde Reis angebaut. Die Arbeiten im Reisfeld waren schwer. Gummistiefel gab es keine, also stand man vom Frühjahr bis zum Herbst im Wasser, wo man auch von Blutegeln arg belästigt wurde. Wer arbeiten ging, bekam auch das Essen. Doch wurde nur Fleisch von kranken und verendeten Tieren verwendet, und man wußte dies. Der Appetit war dementsprechend nicht groß, doch Hunger ist der beste Koch. Im Sommer arbeitete man im Baumwollfeld oder jenseits der Donau im Ackerbau. Die Fähre über die Donau war meist so überladen, daß es ein Risiko war, sie überhaupt zu benützen. Die Verschleppten durften ihr Dorf nicht verlassen. Wer außerorts gefangen wurde, mußte entweder für die Miliz Holz hacken oder bekam Prügel. Einmal waren Frauen in Hir~ova Zucker und Marmelade einkaufen. Bei einer Razzia nahm man sie fest und sperrte Frau Faßbinder Maria für zwei Jahre ein. Auch Besucher aus dem Banat durften keine ins Dorf kommen. Wer kam und gefangen wurde, mußte ins Kittchen gehen. Trotzdem gab es einige Mutige, denen es gelungen ist, ungesehen ins Dorf zu kommen, unter ihnen auch die Tochter von Wes Lissi. Das Klima war ungewohnt. Der Sommer war unheimlich heiß und trocken und der Wind trieb den Sand wie wild im Land umher. Im Winter war es der Schnee, der vom Ostwind sogar durchs Mäuseloch hereingetrieben wurde. Nicht selten kam es vor, daß Häuser einfach abgedeckt wurden. Auch Vetter Jakob und Wes Lissi erwachten einmal mit Schnee auf der dicken Daunendecke und ohne Dach über dem Kopf. Im Winter 1955 war die ungeheuer 162


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