Kreisinfo 2013-6

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DIE LINKE Oberhavel

Rückkehr in ein fremdes Land Rezension von Ursula Krechels Roman „Landgericht“ Für diesen Roman erhielt Ursula Krechel 2012 den „Deutschen Buchpreis“ verliehen. Das 494 Seiten starke Werk handelt von einem deutschen Juden, dem Berliner Juristen Dr. Richard Kornitzer, der am Beginn einer hoffnungsvollen juristischen Karriere stehend 1933 von den Nazis Berufsverbot erhielt. Statt als Richter Recht zu sprechen musste Kornitzer nun in einer Glühlampenfabrik als Kontrolleur sein Geld verdienen, bis ihn die Nazidiktatur auch hier durch ihre rassistische Gesetzeswillkür die verbleibende Luft zum Atmen raubte. Seine Frau Claire, eine Protestantin und selbstbewusste Werbefachfrau für Kinowerbung, selbstständige Unternehmerin, fiel ihres Mannes wegen der „Arisierung“ zum Opfer, weil sie sich weigerte, ihre Firma einem NS-Strohmann zu vermachen. Als sich die Schlinge des Rassismus immer enger um Familie Kornitzer zusammenzog, brachten die Eltern ihre beiden Kinder Georg und Selma nach England in Sicherheit, wo Pflegeeltern sie aufzogen. Im Jahr 1939 nutzte Richard Kornitzer die letzte Chance, aus NS-Deutschland zu entkommen und ging über England ins Exil nach Kuba. In Havanna fand er eine Anstellung als Rechtskonsulent und entwickelte sich zum Experten für kubanisches Recht in einer Zeit, als dieses Land noch eine Bananenrepublik der USA war. Er fand Kontakt zu politischen Emigranten aus dem Kreis der linkssoziaSeite 6

listischen SAP, beispielsweise zu Lisa und Hans Fittko, Boris Goldenberg und Fritz Lamm, sowie zum österreichischen Sozialisten Julius Deutsch. Durch den Bezug zum Linkssozialismus und Kommunismus verliert der Roman seinen fiktiven Charakter und gewinnt an zeitgeschichtlicher Schwere, denn die Figur des Richard Kornitzer ist einem realen Mainzer Juristen mit vergleichbarer Biographie nachempfunden. Zu erwähnen ist, dass auch der Spartakist und Mitkämpfer Rosa Luxemburgs, August Thalheimer, zeitweilig Vorsitzender der KPD, auf Kuba im Exil lebte. Obwohl Richard seine Claire, die in Deutschland blieb, nach wie vor liebte, entwickelte sich eine Affäre in Havanna mit einer Geographielehrerin, aus der eine Tochter hervor ging. Nach Kriegsende gelingt es Claire, ihren Mann ausfindig zu machen, seiner Rückkehr steht nun nichts mehr im Wege. Im Rahmen der Wiedergutmachung erhält er schließlich eine Stelle als Landgerichtsdirektor in Mainz. Jetzt aber macht der Roman deutlich, wie nach und nach die Stimmung im „Adenauer-Deutschland“ sich wendet. Immer offener tritt die BRD in die Phase der Restauration ein, werden Antifaschisten und Sozialisten, Emigranten und Juden an die Seite gedrängt. Im West-Deutschland der fünfziger Jahre ziehen Mittäter und Mitläufer an Kornitzer vorbei und machen Karriere, Opfern des

Faschismus flickt man hingegen etwas ans Zeug. Auch K. tritt auf der Stelle; als er sich beschwert, wird er in den Ruhestand versetzt und zum Wittwer, weil seine Claire - ebenso wie auch er selbst erkrankte – an den Spätfolgen der NS-Zeit verstirbt. Kornitzer selbst stirbt 1970 als gebrochener Mann. Er weist in seiner Biographie Parallelen zum Linkssozialisten und hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903-1968) auf, der ebenfalls der SAP entstammte. Bauer war es, der das Zustandekommen der Auschwitz-Prozesse vorantrieb. Er schrieb: „Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland“. Auch Kornitzer, der deutsche Jude und Jurist, hatte nach 1945 nie mehr die Chance, eine Heimat in seinem eigenen Land zu finden. Die Beziehung zu seinen in England lebenden Kindern blieb von Fremdheit geprägt. Es blieb den Achtundsechzigern vorbehalten, aller Welt und den Westdeutschen den Blick zu öffnen, dass unter Talaren und Roben noch immer „der Muff von tausend Jahren“ haftete. Ursula Krechel erinnert mit ihrem Roman an diese Zeit der BRD vor Rudi Dutschke und Willy Brandt. Ursula Krechel. Landgericht. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2012, 494 S., 29,90 Euro. Holger Czitrich-Stahl


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