Generationen im Dialog Ausgabe 1-2009

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Bechsteins Flügelgeschichte – Die berühmte Flügelgeschichte dieses Hauses beginnt mit Friedrich Wilhelm Carl Bechstein. Gotha ist sein Geburtsort, und er ist der Neffe des berühmten thüringischen Schriftstellers, Märchensammlers und Sagenforschers Ludwig Bechstein. Unter dem strengen Regime des Stiefvaters wächst er auf und genießt bei ihm einen soliden Unterricht in Geige, Cello und Klavier. Mit 14 Jahren wird er zu einem jähzornigen alkoholsüchtigen Klavierbauer nach Erfurt in die Lehre geschickt. Glücklich und unbeschwert waren diese ersten Lebensjahre sicher nicht, und es ist nicht erstaunlich, dass er 1849 nach seiner weiteren Station in Dresden ein für sein Alter ungewöhnlich ernsthafter junger Mann nach Berlin kam, sparsam und von ausgesuchter Liebenswürdigkeit.

Carl Bechstein

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G. Perau am Hausvogteiplatz war eine feine Adresse. Er war kein Tüftler, aber als solider und konservativer Klavierbauer bekannt und machte den jungen Bechstein, der ständig bemüht war, sich weiterzubilden, bereits nach zwei Jahren zum Werkstattleiter. Dann kamen die interessanten Lehrund Wanderjahre. Er sammelte Kenntnisse bei den berühmtesten Klavierbauern ihrer Zeit. Die erste Anlaufstelle war London, dann folgten Paris, Sarstedt und das Elsass.

Der bekannte Klavierbauer Kriegelstein macht ein Vermögen mit einem sensationell raumsparenden Kleinklavier. Es war berühmt für seine Tonfülle, für das Ebenmaß seiner Register und wurde professionell vermarktet. In Paris gab es den legendären Klavierfabrikanten Sébastian Érard. Franz Liszt gab vor allen anderen diesem Instrument den Vorrang. Man umjubelt das Instrument wie einen Star und die „Salle Érard“ ging als einer der bevorzugten Konzertsäle in die Pariser Musikgeschichte ein. Ganz sicher sind diese Begegnungen mit den erfolgreichen Vorbildern einprägsam und geben den eigenen Plänen kraftvolle Initiative. 1853 kehrt er endgültig nach Berlin zurück, wird Geschäftsführer bei Perau und gründet in dem gleichen Geschäftsgebäude sein eigenes Unternehmen. Er sucht neue Wege, um ein modernes Pianoforte für eine moderne Musik zu bauen, und er stellt seine Werkbank in der Beringstraße im Zentrum von Berlin auf. Es ist das Jahr, in dem Russland gegen die Türkei, Frankreich und Großbritannien in den Krieg zieht (Krimkrieg), Wagner seinen „Ring der Nibelungen“ fertig stellt, Vincent van Gogh geboren wird, es ist das Gründungsjahr der “Gartenlaube“ in Leip-

zig. London erhält die erste Rohrpostanlage, Adolf Menzel wird Prof. und Akademiemitglied in Berlin, der Dichter Ludwig Tieck wird geboren, Adolf Stifter schreibt seine Novelle „Bunte Steine“, Heinrich Steinweg gründet seine Klavierfabrik „Steinway and Sons“ in New York und der Strom der Auswanderer sucht sein Glück in dem freiheitlichen Amerika. Bechstein hat den Vorteil, dass er bereits etliche Künstler und einflussreiche Leute von Perau her kannte. Schon bald fand er Kontakt zu dem Klavierlehrer der königlichen Familie, der des Lobes voll ist von seinen ersten Instrumenten. Auch gibt es einen jungen Dresdner Pianisten, einen Lisztschüler, der gerade in dieser Zeit seine legendäre Karriere beginnt. Um die Werke und um den Klang war es ihm zu tun. 1855 geht von Bülow (Bild rechts) nach Berlin und schreibt an seinen verehrten Lehrer Liszt, dass es in Berlin einen absoluten Mangel an passablen Klavieren gebe. Die Stöcker, heute en vogue, seien das Abscheulichste auf der Welt, Perau liefert noch das Beste oder den Flügel von Klemm, für den Klara Schumann Propaganda mache. Nichts von Bechstein. Ein Jahr später fertigte er seinen ersten Konzertflügel an. Bülow lernt den


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