Artinside Sommer 2012

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Trois cent cinquante kilogrammes par mètre carré

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imon Starlings Skulpturen, Installationen und Reisen artikulieren sich um Transformations-, Hybridations- und Verschiebungsprozesse sowie Interventionen vor Ort. Seine Arbeit ist oft wie eine Erzählung aufgebaut und überlässt es dem Zuschauer, das Werk weiterzudenken. Anlässlich seines Projektes in La Kunsthalle Mulhouse unterhält sich Simon Starling mit Vincent Honoré, dem Kurator der Ausstellung. Vincent Honoré: Ihre Werke sind oft eingebettet in einen spezifischen sozialen und historischen Kontext. Als Ausgangspunkt dient Ihnen eine eigentliche – wenn auch subjektive – Archäologie des Wissens. Für das Projekt in Mulhouse befassten wir uns zuerst mit der Geschichte des Gebäudes und der Stadt. Was interessierte Sie im Speziellen an dem, was Sie vorfanden und in Erfahrung brachten? Simon Starling: Viele meiner Werke haben ihren Ursprung in einer Auseinandersetzung mit post-industriellen Orten verschiedenster Prägung. Dies ist natürlich teilweise dem Boom von Ausstellungsgeländen geschuldet, die in den Nachwehen des industriellen Zusammenbruchs in Europa und Nordamerika im späten 20. Jahrhundert an eben solchen post-industriellen Orten ihren Platz fanden, und der Rolle der Kunst in diesem urbanen Erholungsprozess. MassMOCA in North Adams, Massachusetts, der Kunstraum in Dornbirn, Parc Saint Léger im ländlichen Burgund – die Liste ist lang, aber alle diese Orte boten mir einen spezifischen Fokus für mein fortwährendes Interesse an Fragen zu Arbeit, zum Wert der Arbeit, zur Bedeutung des (Kunst-)Handwerks und so weiter. Das Werk geht Fragen nach wie zum Beispiel: Was ist unsere Beziehung zu der Produktion von Alltagsgegenständen und woher stammen die Rohmaterialien für die Herstellung dieser Dinge? – Grosse Fragen mit globaler Resonanz, die aber immer innerhalb von bestimmten lokalen und charakteristischen Parametern gestellt werden. Giessereien waren seit den Anfängen meiner Tätigkeit mit Werken wie Work, madeready (Kunsthalle Bern, 1997) eine sehr wichtige Inspirationsquelle für mich, sowohl auf Produktionsstufe wie auch auf einer konzeptuellen Ebene als Ort für Veränderungen und Nachdenken.

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Simon Starling, Trois cent cinquante kilogrammes par mètre carré, 2012

Simon Starling Trois cent cinquante kilogrammes par mètre carré 24.05.2012 – 26.08.2012 La Kunsthalle Mulhouse www. kunsthallemulhouse.com Als ich erfuhr, dass die Kunsthalle in Mulhouse früher eine ausgesprochen produktive Giesserei war, war dies für mich sofort interessant als Ausgangspunkt für ein Projekt. Mich reizte die Idee, ihre jetzige Funktion als Ausstellungsort zu ihrer früheren Funktion als Giesserei in Bezug zu stellen. Diese Spannung zwischen Vergangenheit und Gegenwart wird greifbar in den Veränderungen, die vorgenommen wurden, um sie zu einem Ausstellungsort umzubauen. Ich fing an zu spekulieren, wie ein Stück Schwermaschinerie, wie es früher in der Giesserei hergestellt wurde, an die neuen Räumen und deren Sicherheitsvorschriften angepasst aussehen könnte. VH: Sie werden oft als Konzeptkünstler bezeichnet. In gewisser Weise wird diese Kategorisierung aber weder Ihnen noch der Bandbreite Ihrer Werke gerecht. Ich kann mich erinnern, einmal die naive, aber doch berechtigte Frage an Jason Dodge gestellt zu haben: Was sind Sie eigentlich? Er antwortete: Ich bin ein Bildhauer. Nun frage ich Sie: Was sind Sie eigentlich? SS: Ich denke, ich würde Jason recht geben und mich auch unter den Bildhauern einreihen. Alles, was ich mache, seien es Filme, Fotografien, grossräumige Installationen oder kleinräumige Skulpturen, hat seine Wurzeln in einem grundsätzlichen Skulpturverständnis. Um es mit den Worten Lawrence Weiners zu sagen: Skulptur wird gemacht von Leuten, die mit der Beziehung zwischen Menschen und Dingen unzufrieden sind. Auch für mich geht es im Grunde um die Beziehung zwischen Menschen und Dingen. Oder vielleicht genauer: um die Beziehung zwischen Menschen und Orten und Dingen. Die Arbeit ist ein fortlaufendes Neuverhandeln dieser Beziehungen und Zusammenhänge. Konzeptkunst hatte zwar einen immensen Einfluss darauf, wie ich meine Arbeit als Skulptor definiere, aber, wie Sie sagten, sie ist vielleicht eine zu begrenzte Kategorie. – Ich hüte mich jedoch vor einer starren Methodologie oder einer starren künstlerischen Sprache. Es ist mir wichtig, zurückblicken zu können und zu sehen, wie sich das, was ich mache, entwickelt hat. Was ich heute bin und mache, ist sicher nicht dasselbe wie vor zehn Jahren.


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