FRIZZ - Das Magazin für Darmstadt - 7 / 2021 - Ausgabe 460

Page 18

magazin.musik

www.FRIZZmag.de

„Klamauk altert nicht gut“ FRIZZmag im Gespräch mit Koljah von der Antilopen Gang TEXT: BENJAMIN METZ | FOTO: KATJA RUGE

W Mit gleich zwei Alben meldete sich die „Antilopen Gang“ im vergangenen Jahr eindrucksvoll zurück und ist derzeit, auch wegen des großen Solo-Erfolgs von Danger Dan, in aller Munde. Mit ihren neuen Tracks im Gepäck kommen Panik Panzer, Danger Dan und Koljah im Sommer auf Festival-Tour und machen hierbei auch Station beim „Spielplatz der Kulturen“ in Michelstadt. FRIZZmag: Das Jahr 2020 fing für euch durchaus positiv an: Am 20. Januar erschien euer neues Album „Abbruch Abbruch“. Das Release habt ihr mit einem ganzen Festspiel, inklusive Konzert, Party und Symposium, gefeiert. Im Sommer sollten große Festival-Shows folgen. Dann kam alles anders. Koljah: Ja, da bekam der Albumtitel fast was Prophetisches. Diese Vollbremsung war wirklich ärgerlich, denn wir hatten wirklich lange an diesem Album gearbeitet und hatten sehr große Pläne für 2020. Ich erinnere mich gerade, wie ich das erste Mal mit dem Thema „Corona“ konfrontiert wurde. Das war bei einem Radiointerview während der Promotour für das Album. Bis dahin hatte ich das null auf dem Schirm. Wie groß das dann wurde, haben wir auf der Tour gemerkt. Wir konnten fast alle Termine noch im Februar und März spielen, aber es kamen immer weniger Leute, trotz ausverkaufter Shows, und auch wir wurden vorsichtiger: Danger Dan hat sich irgendwann den Sprung ins Publikum verkniffen.

18

Der anschließende Lockdown scheint euch, wie einige andere Künstler:innen, kreativ beflügelt zu haben. Im August habt ihr mit „Adrenochrom“ direkt noch mal ein weiteres Album veröffentlicht. Wie kam es zu diesen Songs? Wir wussten nicht, was auf uns zukommt. Man hat am Anfang ja eher so von Woche zu Woche geschaut. Irgendwann war aber klar, dass das mit dem Festivalsommer nichts mehr wird und auch das Jahr keinem Plan mehr folgt. Also haben wir beschlossen, weiter Musik zu machen. Was sollten wir auch sonst machen? Also haben wir erst mal Beats gesammelt und dann hat jeder zu Hause für sich angefangen zu schreiben. Wir haben uns dann schnell ziemlich viele Ideen hin- und hergeschickt und das wurde sehr bald sehr viel, also haben wir beschlossen, ein Album daraus zu machen. Witzig ist im Nachhinein, dass mir Danger Dan während der ganzen Produktion quasi nicht einmal begegnet ist. Das lief fast ausnahmslos virtuell im Vorfeld.

Die Pandemie hat nicht nur die Kreativität mancher Bands beflügelt, sondern auch Angst und Verschwörungstheorien im Lande. Was denkst du über diese Querdenken-Bewegung? Sehr bezeichnend, dass ausgerechnet Ken Jebsen sich zu einem der Vorsprecher dieser Bewegung aufgeschwungen hat. Und das mit großem Erfolg. Jebsen hatte ja 2014 massiv gegen die „Antilopen Gang“ und euren Song „Beate Zschäpe hört U2“, der den Extremismus in unserer Mitte thematisiert, Front gemacht.

Diese „Querfront“ gab es ja auch schon vor „Corona“. Die hat durch die Pandemie nur noch mal ziemlichen Aufwind bekommen. Als wir unser juristisches Scharmützel mit Ken Jebsen damals hatten, gab es diese „Montagsmahnwachen“, bei denen alle möglichen Verschwörungstheorien vertreten waren. Das ist jetzt auch wieder so: Das sind ja nicht alles Hardcore-Nazis bei diesen Treffen, sondern eine ganz breite Front an Leuten, die ziemlich kruden Ideen anhängen. Ken Jebsen hat das sehr für sich genutzt. Der hat eine enorme Reichweite im letzten Jahr aufbauen können. Mittlerweile sollte aber auch allen klar sein, dass bei Herrn Jebsen und auch bei Herrn Naidoo irgendwas ganz und gar nicht stimmt. Das war 2014 noch etwas anders: Da musste man den Leuten noch erklären, dass das keine berechtigte Gesellschaftskritik ist, die diese Leute von sich geben. Dass Verschwörungstheorien Unsinn sind, ist mittlerweile bei allen angekommen. Abgesehen von den Verschwörungstheoretiker:innen selbst, natürlich.

Ist es an der Zeit, auch als Musiker:in politisch klarer Stellung zu beziehen? Würdet ihr euch das auch von anderen Musiker:innen mehr wünschen? Wenn sich jemand hier äußern möchte, soll er oder sie das natürlich gerne tun, aber ich würde das nie von jemandem verlangen. Ich halte nichts davon, Musiker hier in die Pflicht nehmen zu wollen. Ich denke einfach nicht, dass Musiker:innen per se prädestiniert sind, zu allem ihre Meinung kundzutun. Das geht auch oft genug in die Hose, und ich denke mir: „Hätten die mal besser nichts gesagt!“

Bei allen klaren politischen Statements neigten manche eurer Singles gerne auch mal zum Klamauk. Doch der ist zunehmend in den Hintergrund getreten, finde ich. Die Pandemie, Verschwörungstheorien und die Wahlerfolge der Rechten dürften auch eher dafür sorgen, dass es ernst bleibt bei euch. Wie siehst du das? Wir waren irgendwann von unserem Klamauk selbst ein wenig genervt, das stimmt. Wir neigen einfach dazu, die ganze Zeit rumzualbern, wenn wir uns treffen. Mittlerweile denke ich halt, dass man aber nicht unbedingt jeden Witz gleich aufnehmen und mit der Welt teilen muss. Klamauk altert nicht gut (lacht). Generell schließe ich aber auch nicht aus, dass wir vielleicht auch mal wieder ein albernes Lied aufnehmen werden. Das sollten wir uns auch nicht von der gesellschaftlichen Stimmung diktieren lassen. Wir sind ja keine politische Organisation, die Presseerklärungen rausgibt, sondern eine Band, die Musik machen möchte.

Das, für viele auch heute noch politische, Thema „Punk“ zieht sich durch eure ganze FRIZZ MAG | #460 | JULI 2021


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
FRIZZ - Das Magazin für Darmstadt - 7 / 2021 - Ausgabe 460 by FRIZZ - Das Magazin für Darmstadt & Umgebung - Issuu