Programmheft The Power Play

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THE

POWER PLAY

Ein Echo auf die Zukunft Inspiriert von der nigerianischen Megacity Lagos




THE POWER PLAY Die Verletzbarkeit moderner Gesellschaften Als Lebensadern hochtechnisierter Gesellschaften gelten ihre Infrastrukturen, die eng miteinander verflochten und auf Strom angewiesen sind. Durch ihre gegenseitigen Abhängigkeiten müssen sie auf vielen Ebenen gesteuert und kontrolliert werden. Ihre komplexe Konfiguration ist fehlerunfreundlich. So können Funktionsausfälle als Teil von natur- oder menschengemachten Katastrophen das gesellschaftliche System kollabieren lassen. Die Kommunikation verstummt, Mobilität, Energiezufuhr sowie Produktion und Konsum fallen auf ein quasi archaisches Niveau zurück. Aufgrund der nahezu vollkommenen Durchdringung der Lebensund Arbeitswelt mit elektrisch betriebenen Geräten sowie elektronischen Steuerund Regelsystemen kommt ein langanhaltender Stromausfall einer Katastrophe gleich oder nahe. Bevölkerung, Unternehmen und Regierung sind auf ein solches Szenario nicht vorbereitet. (Petermann, Bradke, Lüllmann, Poetzsch, Riehm: Was bei einem Blackout geschieht - Folgen eines langandauernden und großräumigen Stromausfalls; Büro für Technikfolgen-Abschätzung TAB, Edition Sigma: Berlin, 2011, S. 35-37) WDR Videopodcast Quarks & Co, Stromausfall in Deutschland Die Megacity Lagos zählt heute 13 Millionen Einwohner und ist die am schnellsten wachsende Stadt der Welt.An Lagos kann man die Zukunft der globalen Urbanisierung ablesen, sagen Städteforscher. Großstädte könnten in 50 Jahren ähnliche Symptome aufweisen, wie man sie heute in Lagos findet – aktuelle Entwicklungen bekommen daher eine prophetische Dimension. Die Lagosianer leben in einer maroden, korrupten Demokratie, an die sie nicht mehr glauben. Stattdessen glauben sie an die Heilsversprechen der Pfingstkirchen oder an präkoloniale Traditionen. Das sieht man sonntags in den gigantischen christlichen Gottesdiensten, beim Ifá-Orakel der Yoruba oder in einem der rund 1500 Videofilme, die pro Jahr auf den heimischen Markt geworfen werden und langsam ganz Afrika und die Diaspora in Amerika und Europa erobern. Rasant wächst auch die Bevölkerung –­um ca. 300 000 Menschen pro Jahr. Strom aus der Steckdose gibt es in Lagos nur selten und unregelmässig. Das staatliche Elektrizitätsunternehmen heißt NEPA, in einem berühmten Song wurde daraus: Never Expect Power Always. Die meisten Bewohner von Lagos haben einen oder mehrere Generatoren zu Hause, die mit Diesel oder Benzin betrieben werden. Das wachsende Verkehrsaufkommen der Stadt führt häufig zum berüchtigten Stau Go Slow, der ein Leben in Lagos zu einer logistischen Meisterleistung macht.


Der nigerianische Film entsteht hauptsächlich in Lagos und Umgebung und läuft international unter dem Label Nollywood. Seit den 90er Jahren erlebt der Videofilm dank billiger Produktionstechnik einen riesigen Aufschwung. Heute gilt Nollywood als zweitgrößte Filmindustrie der Welt (nach Bollywood) und erwirtschaftet einen jährlichen Umsatz von rund 250 Millionen Dollar. Bis zu 300 000 Nigerianer sind in der drittgrößten Industrie des Landes beschäftigt und produzieren ca. 1500 Filme im Jahr. Häufig als Zwei- oder Dreiteiler werden die Filme nicht für Kino oder Fernsehen, sondern direkt für den Videomarkt produziert. Mit Produktionssummen von ca. 10 000 Dollar pro Film und rasant kurzen Dreh- und Postproduktionszeiten liegt die Qualität der Filme weniger in Ästhetik und technischer Umsetzung, als in den erzählten Geschichten. Übernatürliche Erscheinungen, Magie und religiöse Inhalte sind wichtige Bestandteile der meisten Filme. AlJazeera Bericht über Stromausfälle in Lagos Die Yoruba sind ein westafrikanisches Volk, das vor allem im Südwesten Nigerias lebt. Dort stellen sie 21% der Bevölkerung. Das Ifá-Orakel ist in der Religion der Yoruba das zentrale religiöse Instrument der Lebensbewältigung. Es basiert auf dem umfangreichen und nur mündlich überlieferten Textkorpus Odù-Ifá, der die Weisheit der Yoruba enthält. Die 256 Kapitel des Textes werden z.B. mittels Samenkapselwurf an einer Kette von einem Priester abgerufen. Die acht Samenkapseln der Kette schaffen eine Signatur, je nachdem, ob die offenen oder geschlossenen Seiten der Kapseln oben liegen. So ergibt sich ein binäres System mit 28 Möglichkeiten, die den 256 Kapiteln entsprechen. Das Ifá-Orakel ist eine direkte Verbindung zur spirituellen Welt und kann sich an die Vergangenheit und die Zukunft erinnern. Es wird deshalb oft zu wichtigen Entscheidungen befragt. Im Jahr 2005 wurde es von der UNESCO zum Meisterwerk der Menschheit erklärt.

„Heilig (...) soll mir dies Öl bei euren Nachkommen sein. (...) Denn es ist heilig; darum soll es euch als heilig gelten.“ (2. Buch Mose 30.31,32)


Die Pfingstkirchenbewegung gehört zum Christentum und lehrt außer den allgemeinen biblischen Lehren auch die Erfahrung der Ausgiessung des Heiligen Geistes. Wie andere Formen des evangelischen Protestantismus beinhaltet die Pfingstbewegung die Unfehlbarkeit der Schrift und die Notwendigkeit der Annahme von Christus als persönlichem Herrn und Retter. Die Pfingstbewegung glaubt an eine direkte psychisch-physische Erfahrung mit dem Heiligen Geist: Diese ‘Ermächtigung’ durch den heiligen Geist kann sich in übernatürlichen Effekten äußern, wie in der Zungenrede und der Wunderheilung Kranker. In Nigeria gehören mindestens 18% der Bevölkerung einer Pfingstkirche an, die Pastoren sind oft reiche Superstars und die Gemeindemitglieder geben zehn Prozent ihres Gehalts an die Kirche ab. In Deutschland zählen Pfingstkirchen derzeit ca. 300 000 Mitglieder. Christian Oyakhilome (auch Pastor Chris genannt) ist ein nigerianischer Fernsehprediger und Wunderheiler der Believers’ Love World Incorporated, die auch als Christ Embassy bekannt ist. Er betreibt drei Fernsehkanäle: LoveWorld TV, LoveWorld SAT und LoveWorld Plus. Hunderte kranke, gelähmte und behinderte Menschen nehmen an Wunderheilungsveranstaltungen von Pastor Chris teil. Podcast-Predigt von Pastor Chris Die Länder, die als Erste einen demografischen Wandel durchmachten (Europa), haben heute eine alternde Bevölkerung mit einem Durschnittsalter von 35 bis 40 Jahren, in Deutschland sind es derzeit 41 Jahre. Die Einwohnerzahl Deutschlands geht zurück: Im Jahr 2050 werden hier ca. 7 Millionen Menschen weniger leben. Langfristig wird der Anteil der über 65-jährigen ansteigen während der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter abnimmt. Im Gegensatz dazu haben die Länder im subsaharischen Afrika in den letzten Jahrzehnten das schnellste Bevölkerungs wachstum ihrer Geschichte erlebt. Der Altersdurchschnitt der Bevölkerung liegt heute bei 16 bis 18 Jahren. (Atlas der Globalisierung, 2. Auflage, Berlin: Le monde diplomatique, 2010, S. 14,15 und www.bgn.de) Desertec - Die Vision vom Wüstenstrom Eine Gruppe von zwanzig Konzernen will für 400 Milliarden Euro in Nordafrika riesige solarthermische Kraftwerke bauen. Der Strom des Desertec getauften Projektes soll dann über leistungsfähige Kabel nach Europa transportiert werden. Der erste Wüstenstrom soll um das Jahr 2020 fließen. Die Technik basiert auf Parabolspiegeln. Durch diese rinnenförmigen Spiegel wird die Sonnenstrahlung auf eine Röhre


Foto: Dickenson V. Alley - Century Magazines, circo 1900

fokussiert, in der eine Flüssigkeit erhitzt wird. In Spanien sind die ersten solarthermischen Kraftwerke dieses Typs bereits im Einsatz (Andasol). In Afrika soll diese Technik künftig in weitaus größeren Dimensionen eingesetzt werden. (Atlas der Globalisierung, 2. Auflage, Berlin: Le monde diplomatique, 2010, S. 98,99)

„Ehe viele Generationen vergehen, werden unsere Maschinen durch eine Kraft angetrieben werden, die an jedem Punkt des Universums verfügbar ist. Diese Idee ist nicht neu, überall im Weltraum ist Energie.“ (Nikola Tesla) Nikola Tesla (1856-1943) war Erfinder, Physiker und Elektroingenieur. Sein Lebenswerk ist geprägt durch zahlreiche Erfindungen auf dem Gebiet der Elektrotechnik, insbesondere der elektrischen Energietechnik. Er hat den Zweiphasenwechselstrom erfunden, die Fernbedienung, das erste Funkpatent angemeldet und wollte mit großen Projekten die drahtlose Energieübertragung realisieren, was ihm leider nie gelang. Nikola Tesla und die Freie Weltenergie


Science-Fiction ist ein Genre, das den Einzelnen, die Gesellschaft oder die Umwelt in zeitlich, räumlich oder historisch (oft radikal) alternativen Konstellationen betrachtet. Science-Fiction entwirft – häufig in der Zukunft verortete, teilweise auch räumlich entfernte – Konstellationen des Möglichen, beschreibt deren Auswirkungen auf die Gesellschaft und den Menschen und reichert reale wissenschaftliche und technische Möglichkeiten mit fiktionalen Spekulationen an. Das Fello ist ein musikalisches Bühneninstrument, das von Andi Otto erfunden wurde. Es verbindet Cello und Computer und nutzt den Bogen als Interface. Beim Fello ist der Bogen zusätzlich mit Sensoren ausgestattet, die Bewegung, Geschwindigkeit und Druck der Finger messen. Diese Daten können in einer Audiosoftware benutzt werden, um den Cello-Sound durch Hand und Armgesten des Spielers zu verändern. Andi Otto hat das Fello am STEIM Institut in Amsterdam entwickelt und nutzt deren junXion Software. ByungJun Kwon hat die Sensoren und den drahtlosen Empfänger programmiert. Das Fello ist derzeit das Einzige seiner Art. Das Freudenöl wird an zwei Stellen der Bibel erwähnt (Ps 45,7 und Jes 61,3). Die Kirchenväter hatten keinen Zweifel über die Bedeutung: Das Öl der Freude ist der Heilige Geist selbst, der ausgegossen ist über Jesus Christus. Das Ölunternehmen Zion Oil and Gas Inc. sucht auf der Basis von Bibelstellen nach Ölquellen in Israel. Die Talking Drum oder Dundun ist eine westafrikanische Sprechtrommel. Die Trommel wird mit einem speziellen Krummstock gespielt, wobei die Tonhöhe verändert werden kann. So können tonale Sprachen auf der Trommel wiedergegeben werden. Bei einigen Tänzen kündigt die Talking Drum den Tänzer an, indem sie seinen Namen und die seiner Vorfahren aufruft.

82 Millionen Deutsche verbrauchen mehr Energie als 1000 Millionen Afrikaner. 60 % der afrikanischen Bevölkerung hat überhaupt keinen Strom. (Carl-A. Fechner: Die vierte Revolution; Dokumentarfilm, Deutschland 2010)


Biografien Das Flinntheater wurde 1992 in Kassel gegründet und wird seit 2007 von Sophia Stepf und Lisa Stepf geleitet. Die Stücke sind transkulturell, multiperspektivisch, musikalisch und reflektieren die Spannung zwischen Heimatsehnsucht und globalisierter Arbeitswelt. Die Stücke entstehen seit 2009 in Kooperation mit internationalen Institutionen und Künstlern und werden für Erwachsene und Schüler_innen ab 15 Jahre gezeigt. Toks Körner wurde 1974 in Berlin geboren. Nach dem Abitur absolvierte er eine Schauspielausbildung an der Folkwang Hochschule in Essen sowie der Neighborhood Playhouse School of the Theatre in New York. Seit 2001 ist er als freier Schauspieler tätig und arbeitete unter anderem an Stadt- und Staatstheatern in Bremen, Köln, Potsdam und Berlin. Er war in der ARD Fernsehserie Ina und Leo und in der Sat.1 Medical Serie Klinik am Alex in Hauptrollen zu sehen. Seit Oktober 2011 studiert er Drehbuch an der DFFB Berlin. Konradin Kunze wurde 1977 in Freiburg geboren. Nach seinem Schauspielstudium an der HMT Hannover war er am Theater Bremen/Moks und anschließend am Jungen Schauspielhaus Hamburg engagiert. Seit 2009 arbeitet er als Regisseur, Autor und Animationsfilmer und lebt in Berlin. Zuletzt inszenierte er Verbrennungen am Jungen Schauspielhaus Hamburg. In der Spielzeit 2012/13 wird er dort Hacking Luleå entwickeln und bei Gelber Mond am Theater Bremen/Moks Regie führen. Sein Stück foreign angst wird am Staatstheater Wiesbaden uraufgeführt. Andi Otto (aka Springintgut) wurde 1980 in Köln geboren. Er ist Komponist und Performer elektronischer Musik und lebt in Hamburg. Er forscht an Möglichkeiten der instrumentalen Performance mit dem Computer sowie der Improvisation mit elektronisch generierten Klängen. Am STEIM Studio in Amsterdam hat Andi Otto dafür seit 2005 mehrere Stipendien erhalten, um aus einer Kombination aus verstärktem Cello, Bewegungs-Sensoren und Software sein Instrument Fello zu entwickeln, mit dem er international auftritt. Er betreibt seit 2002 das Elektronika-Label Pingipung. Lisa Stepf wurde 1979 in Kassel geboren. Sie studierte Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis in Hildesheim. Seit 1999 ist sie Schauspielerin und Performerin u.a. in zahlreichen Produktionen des Flinntheaters, das sie seit 2007 gemeinsam mit Sophia Stepf leitet. Sie ist Cellistin und Künstlerische Leitung des interdisziplinären Streicherensembles Quartett PLUS 1. Seit 2006 arbeitet sie auch im Bereich Kulturmanagment u.a. für das Goethe-Institut, das Radialsystem V und das Projekt Global Prayers. Sie war 2010-12 Stipendiatin der Körber Stiftung im Bereich Musikvermittlung. Sophia Stepf wurde 1976 in Kassel geboren und ist Regisseurin, Dramaturgin und transkulturelle Trainerin. Sie leitet seit 2000 das Flinntheater und arbeitet seit 2007 unter dem Label Culture for Competence. Sie beschäftigt sich mit der Verfasstheit heutiger Kulturen und Globalisierungsprozessen und arbeitet u.a. mit Goethe-Instituten in Indien, der HMT Leipzig, internationalen Theaterfestivals und diversen Theatern und Bildungsträgern zwischen Sachsen und Bangalore zusammen.


Vorstellungen Premiere: 25.9.12 um 19.30 Uhr Weitere Vorstellungen: 27.9. und 28.9. um 19.30 Uhr, 29.9. um 18.30 Uhr Schulvorstellungen: 27.9. und 28.9. und Sneak Preview am 24.9.12 Kulturhaus Dock 4 Kassel 6.-9.12.2012 Lagos_Live Festival in Lagos / Nigeria Mit Toks Körner, Andi Otto, Lisa Stepf Special Guest Konradin Kunze Regie Sophia Stepf Musik Andi Otto Text Flinntheater Assistenz Luisa Bitterlin Kostüm Lisa Stepf & Friede Funk Technische Unterstützung Stephan Cordes & Jonas Nagel Produktionsleitung ehrliche arbeit - freies Kulturbüro Guide in Lagos Aderemi Adegbite Graphik Design Clare M Cooper Koproduziert von Goethe Institut Nigeria

Gefördert von

Dank an STEIM (Amsterdam), Blutsgeschwister & Heimatkinder (Berlin), Remi Adegbite, Edaoto & Lekan Balogun, Marc André Schmachtel (Lagos), Renate Stepf, Marco Krummenacher, Stephan Cordes, Ede und Margareta für Hospitality in Kassel Impressum Flinntheater 2012 | Redaktion: Sophia Stepf und Luisa Bitterlin


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