Filmpodium Programmheft April/Mai 2015 / Programme issue april/may 2015

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Das erste Jahrhundert des Films: 1945.

BRIEF ENCOUNTER GB 1945 Eine Frau und ein Mann, beide verheiratet, lernen sich zufällig am Bahnhof einer englischen Kleinstadt kennen. Sie treffen sich am gleichen Ort wieder, stellen fest, dass beide jeweils donnerstags in die Stadt fahren, und verabreden sich für die nächste Woche – aus den Begegnungen und Unterhaltungen wird mehr. «Ein grosser Teil der Anziehungskraft des Films beruht auf dem Fehlen jeglichen Glamours. Trevor Howard stand 1945 am Beginn seiner Schauspielerkarriere, Celia Johnson war allenfalls dem britischen Theaterpublikum bekannt. Beide verkörpern einfache, arglose, nicht einmal unglückliche Figuren, deren Erstaunen über die plötzlich hervorbrechenden Emotionen genauso gross ist wie die Gefühle selbst. (...) Eine kleine Geschichte kurzer Begegnungen, eine grosse Liebesgeschichte.» (Daniela Sannwald, Filmklassiker, Reclam 1998) «Lean nutzte alle cineastischen Mittel, die ihm zur Verfügung standen: Raffiniertes Spiel aus Licht und Schatten erfüllt den dunklen, verqualmten Bahnhof mit einem Maximum an Symbolik. Die Toneffekte und Musik sind perfekt eingesetzt.» (Joshua Klein, 1001 Filme, Ed. Olms 2007)

«Der Film handelt erregend und unverfroren von Anstand und Ehre, davon – wie Laura es formuliert – , sich selbst zu beherrschen. Die Erotik, die wir heute in so einer Geschichte erwarten würden, wurde in Idealismus und Selbstverleugnung verdrängt. In der bemerkenswerten Schlussrede von Lauras Ehemann Fred plädiert Drehbuch­ autor Noël Coward dafür, Dinge ungesagt zu lassen. Als homosexueller Mann im Prä-WolfendenEngland [eine Kommission unter der Leitung von Sir John Wolfenden empfahl 1957 die Entkriminalisierung der Homosexualität, Anm. d. Red.] mag Coward dabei auf ganz andere Erinnerungen an verbotene Liebe und flüchtige Bahnhofsbegegnungen zurückgegriffen haben – und ich scherze nur halb, wenn ich sage, dass Ang Lees Brokeback Mountain der spirituelle Erbe von Brief Encounter ist. Es ist Cowards Meisterwerk.» (Peter Brad­ shaw, The Guardian, 3.8.2007) 86 Min / sw / DCP / E/f // REGIE David Lean // DREHBUCH Noël Coward, David Lean, Anthony Havelock-Allan, nach dem Theaterstück «Still Life» von Noël Coward // KAMERA Robert Krasker // MUSIK Sergej Rachmaninow // SCHNITT Jack Harris // MIT Celia Johnson (Laura Jesson), Trevor Howard (Dr. Alec Harvey), Stanley Holloway (Albert Godby), Everley Gregg (Dolly Messiter), Joyce Carey (Myrtle Bagot), Cyril Raymond (Fred Jesson), Marjorie Mars (Mary Norton), Margaret Barton (Beryl Waters).


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