Das Heft - Ausgabe 2-2019

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KOMMENTAR

Ressourcenförderung nicht als Selbstläufer inszenieren

Resilienz entwickeln Menschen selbst. Beim Aufbau von Resilienzressourcen helfen aber alle mit. Von Albert Düggeli

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risen sind belastende Lebensmomente. Sie treffen einen, weil man sich falsch entschieden oder weil man es in einer bestimmten Situation nicht geschafft hat, die nötige Balance zwischen Mut und Vorsicht zu finden. Krisen konfrontieren Menschen mit Unerwartetem, treten in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen auf und sind mit Blick auf ihre Konsequenzen oft unabsehbar. Es sind Lebensereignisse, an denen Menschen scheitern und zerbrechen können, an denen aber auch Wachstum möglich ist. Wenn sie positive Wendungen schaffen, entwickeln sie Resilienz und stabilisieren damit ihre psychosoziale Entwicklung. Resilienz, oder vielleicht besser gesagt, die Fähigkeit, Resilienz zu entwickeln, hat in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. So wurden beispielsweise verlässliche Beziehungserfahrungen oder die Überzeugung, fähig zu sein, ein angestrebtes Ziel aus eigener Kraft erreichen zu können, als zentrale Merkmale identifiziert, die Menschen davor bewahren, in herausfordernden Situationen aufzugeben und nicht mehr an einer produktiven Veränderung ihrer Situation zu arbeiten. Gefahr von Negativspiralen Beim näheren Hinschauen zeigt sich aber, dass eine Förderung von Resilienzressourcen keine einfache Aufgabe ist. Ressourcen zur psychischen Stärkung von Menschen zu fördern, muss unter den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen differenziert betrachtet werden. Es kann nämlich sein, dass erfahrene Risiken nicht von den Betroffenen selbst verursacht wurden. Gerade im Kontext von sozialen Ausschlussrisiken, die Menschen beispielsweise treffen können, wenn sie arbeitslos werden, spielen sozioökonomische Mechanismen eine wesentliche Rolle. Und auf diese haben die Menschen, die besonders darunter leiden, oft keinen Einfluss. So werden sie ohne ihr eigenes Dazutun von gesellschaftlichen Dynamiken erfasst, sozial entkoppelt und in Abwärtsspiralen der Ausgrenzung hineingezogen. Und ja, es gibt auch hier Beispiele für Resilienzentwicklungen. Es gibt Menschen, die es schaffen, sich in einem Leben voller Rückwei-

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sungserfahrungen durchzuwursteln, und das ist ganz besonders erstaunlich. Die wichtige Frage ist jedoch, ob ein solcher Aufbau von Resilienzressourcen nicht auch sozial getragen sein müsste. Zu verlangen, dass jemand eine missliche Lage balancierend aushält, die ihm durch gesamtgesellschaftlich verantwortete Prozesse zugeschanzt wurde, ist, wie gesagt, zwar möglich, ethisch aber problematisch. Ganz zu schweigen davon, dass betroffenen Menschen durch das erfahrene Risiko auch Möglichkeiten abhandenkommen können, Resilienzressourcen aufzubauen. Wer beispielsweise täglich damit beschäftigt ist, sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen, hat meist keine Möglichkeit, sich gleichzeitig um den Aufbau eigener psychischer Ressourcen zu kümmern, weil nicht selten die Zeit fehlt, Ablehnungserfahrungen stabilisierend bewältigen zu können. Ohne dies lassen sich oft keine Verbesserungen erzielen, und das Risiko nimmt zu, immer wieder dieselben Fehler zu machen, kein schützendes Wissen und keine Ressourcen aufzubauen, sondern zunehmend Frustration und Entmutigung im Alltag zu entwickeln. Die Menschen geraten in eine Art Anti-Resilienzentwicklung. Auch die strukturellen Aspekte in den Blick nehmen Pädagogisches Handeln, das die Förderung von Resilienzressourcen in den Blick nimmt, weiss um diese Ausgangslage. Ressourcenförderung nimmt deshalb neben der individuellen Handlungsebene auch strukturelle Aspekte in den Blick. Konkret heisst dies, dass eine Ressourcenförderung nicht als Selbstläufer inszeniert werden darf, sondern zunächst ein differenzierter Blick auf die Risikolagen und die Risikobetroffenheit der Menschen zu richten ist. Nur wer gut versteht, wie die Ursachen bzw. Zusammenhangsmuster von erfahrenen Risikolagen spielen, ist in der Lage, zielführende und vor allem verantwortungsvolle Ressourcenförderung zu betreiben. Eine Möglichkeit, hier einen Weg zu finden, kann in Befähigungsmodellen gesehen werden. Diese betrachten es als gesellschaftliche Verpflichtung, Menschen so zu befähigen, dass sie freie Entscheidungen treffen können, die ihnen Wohlergehen ermöglichen. Der Aufbau von Resilienzressourcen wird somit zur Aufgabe aller. Sie fordert soziales Engagement und sollte Teil der schulischen Bildung werden, beispielsweise, indem die Förderung von Ressourcen integraler Bestandteil der täglichen Arbeit im Unterricht wird, mitsamt einer


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