Alles Kultur Keine Theaterkritik
Was willst Du werden, Herr Sohn?
Regisseur Ed. Hauswirth
Von Peter K. Wagner
I
ch weiß doch tatsächlich, dass der Tag, der mein Leben mit am nachhaltigsten verändern sollte, ein Muttertag war. Über zwei Jahrzehnte liegt dieser Tag des Herren zurück. Damals, da war mein Leben an Jahren noch nicht einmal zweistellig. Und mein Vater stellte fest, was schon viele Väter vor ihm festzustellen hatten: »Herr Sohn, heit kommst mit!« Mein Papa nennt mich übrigens bis heute noch höflichst regelmäßig »Herr Sohn«. Mit einem reizend ironischen, aber stolzen Unterton. Und obwohl ich nie um Worte verlegen war, habe ich kein einziges Mal mit der logischsten aller Entgegnungen, einem »Ja, Herr Vater?«, geantwortet. Aber das ist nun auch nicht weiter wichtig. Wichtiger ist, dass der Tag also gekommen war. Der Tag, an dem ich mitkommen sollte. Ich blickte meinen Vater, diesen, in meiner vagen Erinnerung, riesigen, fast furchteinflößend großen Mann an, der, wie ich heute weiß, damals in etwa so groß war wie heute. Also 174 Zentimeter. Die Aussicht darauf, ein Fußballspiel seiner Lieblingsmannschaft, die zu diesem Zeitpunkt ein gar mitleidserregendes Dasein tristete, zu besuchen, war wie Mathematikschularbeit, Deutschansage und Ferienende komprimiert auf einen
»Bist du Sturm oder GAK?«, fragte das Schauspielhaus dieses Frühjahr. Die Antwort weiß unser Autor. Und ein englischer Schriftsteller. Sonntagnachmittag. Aber ich hatte vor meinem Vater lange Zeit mehr Respekt, als er jemals einforderte. Und so sagte ich: »Komm ich halt mit, ja.« »Schau, da is’er schon, der Sturmplatz«, hatte der Herr Vater gesagt, als wir das alte Stahltor durchschritten und an einer noch älteren Holzhütte vorbei in Richtung des Spielfelds marschierten. Der Sturmplatz, dieses kleine Fleckchen Rasen inmitten von versiegelten Böden; die Gruabn, wie sie liebevoll und passender nicht heißen hätten können; sie war schon damals, so kann ich es in der Retrospektive feststellen, ein Relikt einer vergangenen Fußballzeit. Ein viel zu kleiner, enger Sportplatz, auf dem gefühlt eher versehentlich als intendiert noch immer professioneller Sport durchgeführt wurde. Aber er war nicht nur klein, es war nicht nur alles zu eng, es war auch laut und vor allem aufregend. So aufregend, dass ich seit diesem 8. Mai 1994 und dem 3:1-Erfolg des SK Sturm gegen Vorwärts Steyr aus Oberösterreich eine in Graz gern gestellte Frage sehr einfach beantworten kann. Und schon mehrmals diesen Dialog führen durfte: »Bist du Sturm oder GAK?« – »Sturm natürlich.«
Dieser Dialog und was darauf alles folgt. Etwa einfach gestrickte Scherze, wonach man als Schwoazer mit Roten nicht reden kann, spontane Verbrüderungen ob derselben Vereinszugehörigkeit, stetes Necken unter Freunden und Verwandten bis hin zum Philosophieren darüber, wie wundervoll und gleichsam öde der eigentlich so einfältige Fußballlokalpatriotismus so sein kann, und vor allem: Anekdoten des Fantums wie die meine – ja, solche Dinge hätte ich mir am 11. März im Schauspielhaus bei der von Ed. Hauswirth inszenierten Bürgerbühne erwartet. Doch auch diese Kulturveranstaltung fiel covid-19-bedingt aus. Vor allem hätte mich ja interessiert, wie meine wenig fußballaffine Begleitung aus der Redaktion über diese Auseinandersetzung mit Fantum und über diese schwer erklärbare Leidenschaft fürs Ballsportbegutachten geurteilt hätte. So bleibt ihr nur zu empfehlen, was allen Fußballaficionados wie gegenteilig Gepolten empfohlen werden sollte: »Fever Pitch« von Nick Hornby zu lesen, das literarische Standardwerk über Fußballfantum. Zeit haben ja die meisten von uns n aktuell genug. FAZIT APRIL 2020 /// 81