Fazit 153

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Alles Kultur

Biennale von Venedig 2019 »May You Live In Interesting Times« 11.5.–24.11.2019 labiennale.org

Architektur und Symbolik

Von Michael Bärnthaler

M

itte April 2019 ist die gotische Kathedrale Notre-Dame in Paris abgebrannt. Und jetzt? Was wäre eine angemessene Reaktion? Soll ich mich darüber aufregen, dass natürlich schon jemand ein Minarett für den Wiederaufbau vorgeschlagen hat? Ob als Scherz, als Provokation, mit postmodernem oder religiösem Eifer ... Um es den Rechten zu zeigen oder warum auch immer. Es ist egal. Der Vorschlag musste ja kommen. Nach dem Brand lag das einfach in der Luft, die Intention interessiert mich nicht. Ja, der Vorschlag selbst interessiert mich eigentlich kaum; denn er ist vor allem sehr unoriginell. Das Minarett auf Notre-Dame ist eigentlich der unoriginellste Vorschlag, den man in dieser Situation machen kann. Und natürlich wurden viele andere Vorschläge gemacht, wie man die Kathedrale neu interpretieren könnte. Manche sind recht amüsant, einige sind ernst, andere nicht so ernst gemeint. Über die Gestaltung des öffentlichen Raums definiert sich eine Gesellschaft, und das Verhältnis von alter Architektur zu neuer Architektur tendiert so stets zum politischen Konflikt, mit den vorhersehbaren Frontverläufen. Aber kann man nicht beispielsweise von der Glaspyramide im Innenhof des Lou-

vre, ein Werk des gerade verstorbenen Ieoh Ming Pei, fasziniert sein, ohne sich deshalb die umfassende Dekonstruktion jeder Altstadt zu wünschen? Eine Ästhetik des Bruchs kann schon interessant sein. Aber wo Dekonstruktion dominant, ja totalitär wird, da wird sie unerträglich. Da muss sie bekämpft werden. Europa befindet sich in einer großen Krise, und natürlich kann der Brand von Notre-Dame diesbezüglich als ein mächtiges Symbol aufgefasst werden. Die Krise Europas ist vor allem eine Identitätskrise – und diese wird gelöst werden nicht etwa durch Auflösung von Identitären Bewegungen, sondern – sofern es in diesem Bereich überhaupt Lösungen gibt … – durch eine umfassende, ehrliche Auseinandersetzung mit jenen Fragen und Problemen, die doch der Elefant im Raum sind. Durch ein Innehalten beim Prozess der europäischen Integration, ein neues Abwägen, mehr Gelassenheit und Subsidiarität. Durch Besinnung auch auf das, was uns als Europäer verbindet, ob wir eher links oder eher rechts stehen. Und natürlich gehört dazu auch ein Bewusstsein für die Gefahren, die im Islam stecken. Notre-Dame wird wiederaufgebaut – natürlich ohne Minarett. Was die Jahrzehnte und Jahrhunderte schließlich noch bringen, kann niemand wissen. n FAZIT JUNI 2019 /// 79

Fotos: Hans van Dijk, Michael Petrowitsch, Guillaume Levrier

Wahrscheinlich der eigentliche politische Skandal. Felicitas Thun-Hohenstein als Kuratorin für den österreichischen Pavillon, noch unter Drozda bestellt, bemüht ein Ingeborg-Bachmann-Zitat, auf das sie sich mit Bertlmann einigen konnte: »Die Darstellung verlangt Radikalisierung und kommt aus Nötigung.« Dies mag zumindest für die Tatsache gelten, dass unsere »Representation« als nunmehr erste Frau in der 124 jährigen Österreichpavillon-Geschichte eine Soloschau bebasteln darf. Ihr Werdegang von »in Österreich bis vor wenigen Jahren weitgehend ignoriert« über durch Ankäufe in die Tate »rehabilitiert« und nunmehr »etabliert« und als »die unsrige auf der Biennale« verkauft, liest sich entwicklungsromantisch. Und zeigt bilderbuchhaft und ungefragt das Wesen von Vermarktung, Vertriebsstruktur und Werbewirksamkeit im Kunstbetrieb auf. Ihre Auseinandersetzung mit weiblichen Rollenklischees, Sexualität, Patriarchat und diversen Dekonstruktionen der vorhin genannten mag ja bei der Bestellung auch als cleverer Schachzug hergehalten haben. Sonderlich spannend ist das Ganze eigentlich leider nicht aufbereitet und zudem stark retrospektiv. So hätte etwa eine junge feministische Position als Kontrapunkt dem ganzen gutgetan und hätte eher gekickt. Favoriten gibt’s auch, es geht ja schließlich um einen Kunstwettbewerb. Meiner? Der malaysische Beitrag. Wieso? Weil er mir gefällt (und die Kuratorin eine nette ist). Schwere Empfehlung! n


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