Ich habe mir fest vorgenommen, mich nicht unter meinem Niveau zu ärgern. Hellmuth Karasek, 1934–2015
Foto aus Mette Ingvartsens 7 Pleasures
Pacman für alle
Der Steirische Herbst 2015 ist Geschichte. Er wird wieder kommen. Und da haben wir nach diesem Jahr nichts dagegen. Von Peter K. Wagner
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er Herbst kommt auch dann, wenn man ihn nicht will. Das gilt nicht zuletzt für den steirischen. Der Autor der folgenden Zeilen hat sich vorgenommen, den Herbst dieses Jahr zu wollen. Er hat ihm eine Chance gegeben. Und er hat ein paar Dinge festgestellt: Herbst ist, wenn Johannes Silberschneider so famos spielt, dass der Eröffnungsgast vergisst, dass die Quintessenz des musikalisch-literarisch-Kunst-sich-selbstfeiernden Auftaktstücks um ihn herum eigentlich nur eines ist: lange Wartezeit auf ein Gratisbuffet.
80 /// FAZIT NOVEMBER 2015
Herbst ist, wenn bei der Eröffnungsrede von Intendantin Veronica Kaup-Hasler »freier Eintritt für alle Flüchtlinge« verlautbart wird und der etwas verstörende Gedanke aufkommt: »Oha, was machen Syrer denn, wenn sie zufällig bei den Nackerten von »7 Pleasures« reinstolpern? Und sollte man ihnen nicht anders helfen?« Herbst ist aber auch, wenn man ein paar Tage später erfährt, dass im Festivalzentrum vom »Flüchtlingsachterl« bis zur Caritas-Aktion Spenden im Namen des Herbst gesammelt werden und Künstler authentisch sind. So wie die drei Hip-Hopper, die aus drei verschiedenen Ländern nach London immigriert sind, und eine
authentische »We are all Migrants«-Ansprache halten, die dazu führt, dass man sich nach hinten freut. Weil da tatsächlich unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gratis das Gefühl bekommen, ein bisschen dazuzugehören. Herbst ist, wenn das Festivalzentrum im Stadtmuseum einen Nintendo mit Pacman bietet und man sich über nicht funktionierende Steuerungstasten am Controller ärgert. Herbst ist, wenn man mehr über Hitlers »Mein Kampf« erfährt, als man jemals wissen wollte, es aber endgültig lesen will. Herbst ist, wenn man berührend-ehrliche Stimmen in einen dunklen, gefühlten Abstellraum im Festivalzentrum steckt und mit den Sängerinnen Mitleid bekommt, die am Ende des Abends nur noch vor gezählten 16 anderen Menschen singen. Herbst ist, wenn eine Theatergruppe im Schubertkino plötzlich auf Filmcrew macht, mit einem über fünf Stunden dauernden Programm verstört und dann aber mit jeder Sekunde mehr beweist, dass man gerade den wunderbarsten Filmabend seit Langem verlebt. Herbst ist, wenn einer der Darsteller dieser Theatergruppe in der Pause des ersten Films sein Bier zahlen muss, weil die charmanten Bardamen ihn nicht erkennen. Und er trotzdem lächelnd ein paar Schritte nach oben macht, wo der Intendantin das Lachen auch nicht vergeht. Obwohl sie gerade für alle Besucher Erdnussbutterbrote mit Marmelade streicht. Herbst ist, wenn man in Hart bei Graz bei den Rabtaldirndln ein Stück erlebt, auf dessen Zusatzvorstellung man seine Eltern am nächsten Tag sofort einladen will. Herbst ist, wenn man sich denkt: »Wer so viel öffentliche Gelder bekommt, muss ein gutes Programm liefern.« Steirischer Herbst ist aber vor allem, wenn man bei jeder der Veranstaltungen – Eröffnung und Vorstellungen außerhalb von Graz ausgenommen – immer dieselben Kunststudenten und Kulturredakteure sieht. Und man sich am Ende denkt: »Schade. Aber der Herbst kommt sowieso wieder. Und vielleicht sollten ihn mehr Menschen wollen.« n