Erik

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Die Nation erzählt sich selbst

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Heraufführung der Nation gedeutet werden als Zuarbeit zu der im Epos verheißenen Wiederkehr des Heros: Väinämöinen’s parting promise to return once again appeared in the eyes of the Lönnrot working on the abridged edition of the Kalevala on the brink of the 1860s to be coming true: “The national and linguistic events of present-day Finland are carrying out ‘Väinämöinen’s prophecy”’ […]. The poetic message from the past was at one with the nation’s living history. (Honko 1990c: 564)

Die Figur der Gewinnung des für die Zukunft erwünschten Status als Wiederherstellung, die Inszenierung der Konstituierung einer Nation als deren Renaissance, wird quer durch Europa nicht von ungefähr bezeichnet als „Wiedergeburt“ oder „Wiedererwachen“ oder „Wiederauferstehung“. Der Grund dafür liegt auf der Hand: It has always been a central tenet of nationalist faith that no nation can be “new”, only “renewed”. Typically, all self-respecting nations undergo a three-phase career: an initial cultural flowering or “Golden Age”; a suppression of identity and promise at foreign hands; and an “Awakening” to ultimate fulfillment as a modern nation-state. (Pearson 1999: 69)

Diese Vorstellung findet ein genaues Analogon in der Instruktion für die Gewinnung des Nationalepos. Bereits dem nationalepischen Pionier James Macpherson mag sie vor Augen gestanden haben: „It is perhaps not impossible that Macpherson was, in fact, under the impression that he was collecting the ,disjecta membra‘ of an old Gaelic epic.“ (Thomson 1952: 12) Dies hielt ihm die Hochland-Kommission zugute, als sie meinte, sein Ziel sei die Retablierung eines „work of merit to its original purity“ (Mackenzie 1805: 44) gewesen. Aus den kostbaren Relikten der eigenen Vorzeit muss das Epos zurückgewonnen werden. Es muss ins Leben zurückgerufen werden – „wiedergeboren“ – aus den ureigenen Beständen, aus den ureigenen Sagen und den ureigenen Liedern als den im äußersten Fall „einzigen selbsterzeugten redenden Denkmäler[n] dieses Volkes“ (so für die Esten Kreutzwald 1861: III). Damit schlägt die Stunde der Folklore, ganz gleich, ob sie für die Suche nach dem rechten Rohstoff auf die Volkssage verweist (nach dem Grimmschen Gesetz) oder auf das Volkslied (nach der Liedertheorie) oder auch auf beides zugleich. Im Hintergrund der im nationalepischen Diskurs entfalteten „Ökonomie des Eigenen“ (Wyss 1979: 223), die überall alles Fremde fernhalten möchte, „den wahn an entlehnung und über-


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