Praxisleitfaden arztlicher bereitschaftsdienst mit zugang zur medizinwelt klinikleitfaden 4th editio

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Praxisleitfaden Ärztlicher Bereitschaftsdienst: Mit Zugang zur Medizinwelt (Klinikleitfaden) 4th Edition Fobbe

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Praxisleitfaden Ärztlicher Bereitschaftsdienst

4. Auflage

Herausgeber:

Gabriele Fobbe, Essen/Soest

Martina Heßbrügge, Essen

Dr. med. Hermann C. Römer, Essen

Weitere Autoren: Dr. med. Wolfgang Beyer, Essen; Dr. med. Anne Breetholt, Ochtrup; Dr. med. Dorothea Dehnen, Essen; Dr. med. Stefan Esser, Essen; Andreas Fidrich, Essen; Dr. med. Christoph Gerhard, Oberhausen; Dr. med. Michael Masrour, Mülheim an der Ruhr; Dr. med. Stefanie Merse, Essen; Dr. med. Harald Messner, Wuppertal; Sandra Niggemeier, Essen; Dr. med. Denise Rosenberger, Bochum-Wiemelhausen; Dr. med. Christian Schleuss, Hagen; Dr. med. Edgar Strauch, Leipzig; Dr. med Eva Strüwer, Dorsten; Christine Wienstroth, Wuppertal

Herausgeber der 3. Auflage:

Prof. Dr. med. Martin Hermann †, Sprockhövel

Prof. Dr. Thomas Quellmann, Hagen

Hackerbrücke 6, 80335 München, Deutschland, E-Mail: medizin@elsevier.de Wir freuen uns über Ihr Feedback und Ihre Anregungen: books.cs.muc@elsevier.com

ISBN 978-3-437-22422-5

e-ISBN 978-3-437-17331-8

Alle Rechte vorbehalten

4. Auflage 2017

© Elsevier GmbH, Deutschland

Wichtiger Hinweis für den Benutzer

Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen. Herausgeber und Autoren dieses Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemachten therapeutischen Angaben (insbesondere hinsichtlich Indikation, Dosierung und unerwünschter Wirkungen) dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das entbindet den Nutzer dieses Werkes aber nicht von der Verpflichtung, anhand der Beipackzettel zu verschreibender Präparate zu überprüfen, ob die dort gemachten Angaben von denen in diesem Buch abweichen und seine Verordnung in eigener Verantwortung zu treffen.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Für Copyright in Bezug auf das verwendete Bildmaterial siehe Abbildungsnachweis.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die grammatikalisch maskuline Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer Frauen und Männer gemeint.

Begründer der Reihe: Dr. Arne Schäffler, Ulrich Renz Planung: Petra Schwarz, München

Projektmanagement: Sibylle Hartl, Valley Redaktion: Michaela Mohr, Michael Kraft, mimo-booxx|textwerk., Augsburg Herstellung: Sibylle Hartl, Valley; Johannes Kressirer, München Satz: abavo GmbH, Buchloe Druck und Bindung: CPI Books GmbH, Ulm Fotos/Zeichnungen: s. Abbildungsnachweis Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu-Ulm Titelfotografie: @ AdobeStock.com / fotomek

Aktuelle Informationen finden Sie im Internet unter www.elsevier.de und www.elsevier.com

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Vorwort

In dringenden Fällen und außerhalb der Sprechzeiten – gibt es den ärztlichen Bereitschaftsdienst!

Der neue Praxisleitfaden gibt einen Überblick über die Akutversorgung der wichtigsten Behandlungsanlässe im Notdienst.

Die leitliniengerechte Überarbeitung der Spezialkapitel durch erfahrene ambulant tätige Fachärzte zeigt Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung im Dienst auf und gibt Anleitung für professionelles Schnittstellenmanagement bei notwendiger Weiterbehandlung.

Besonders jüngeren Kollegen im Dienst wird die ärztliche Entscheidungsfindung im Umgang mit akut Kranken und chronisch Kranken unter Berücksichtigung des abwendbaren gefährlichen Verlaufs und einer Überversorgung erleichtert. Entstanden ist ein Leitfaden von großer Praxisnähe, basierend auf fachärztlicher Erfahrung und evidenzbasierter Medizin, geeignet zum schnellen Nachschlagen, aber auch zur gezielten Vorbereitung auf den womöglich ersten oder unausweichlich nächsten Bereitschaftsdienst.

Bei der Aktualisierung der Kapitel begegneten wir Szenen aus dem eigenen Dienst. Viel wichtiger aber begegneten wir an vielen Stellen unseren beiden Kollegen und früheren Herausgebern Martin Hermann und Thomas Quellmann. Ihre Freude an der Medizin und ihr unermüdliches Interesse, ihr Wissen und ihre Erfahrung kollegial weiterzugeben, finden sich auch in der Neuauflage.

Über Kritiken, Anregungen und Vorschläge zu unserem Buch würden wir uns sehr freuen.

Unser herzlicher Dank gilt ebenso dem Elsevier-Verlag für die Neugestaltung des Praxisleitfadens. Ein ganz besonderer Dank gilt Frau Sibylle Hartl, der Lektorin des Verlages, die uns in allen Bereichen bei der Herausgabe professionell unterstützt hat.

Und nun wünschen wir einen ruhigen – oder besser, einen erfolgreichen Dienst!

Essen, im Frühjahr 2017

Die Herausgeber

Gabriele Fobbe

Martina Heßbrügge

Hermann C. Römer

© Medienzentrum Universitätsklinik Essen

Autorenverzeichnis

Herausgeber

Gabriele Fobbe, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Duisburg-Essen, Pelmanstr. 81, 45131 Essen;

Gemeinschaftspraxis, Heinrich-Wilhelm-Str. 16, 59494 Soest

Martina Heßbrügge, Institut für Allgemeinmedizin der Universität DuisburgEssen, Pelmanstr. 81, 45131 Essen;

Anästhesie-Centrum, Steeler Str. 402, 45138 Essen

Dr. med. Hermann C. Römer, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Duisburg-Essen, Pelmanstr. 81, 45131 Essen;

Gemeinschaftspraxis am Karlsplatz, Altenessener Str. 442, 45329 Essen

Autoren

Dr. med. Wolfgang Beyer, Hautarztpraxis, Karlstr. 1–3, 45329 Essen

Dr. med. Anne Breetholt, Marktplatz 1, 48607 Ochtrup

Dr. med. Dorothea Dehnen, Waldsaum 17, 45134 Essen

Dr. med. Stefan Esser, Klinik für Dermatologie und Venerologie, Universitätsklinikum Essen, Hufelandstr. 55, 45122 Essen

Andreas Fidrich, Bardelebenstr. 20, 45147 Essen

Dr. med. Christoph Gerhard, Mülheimer Str. 83, 46045 Oberhausen

Dr. med. Michael Masrour, Sanddornweg 31, 45481 Mülheim an der Ruhr

Dr. med. Stefanie Merse, Universitätsklinikum Essen, Virchowstr. 183, 45147 Essen

Dr. med. Harald Messner, Brändströmstr. 13, 42289 Wuppertal

Sandra Niggemeier, Altenessener Str. 446, 45329 Essen

Dr. med. Denise Rosenberger, Bürkle de la Camp-Platz 2, 44789 Bochum-Wiemelhausen

Dr. med. Christian Schleuss, Tillmannsstr. 2, 58135 Hagen

Dr. med. Edgar Strauch, Katzstr. 16, 04289 Leipzig

Dr. med Eva Strüwer, Am Deich 43, 46282 Dorsten

Christine Wienstroth, Sudhoffstr. 29, 42283 Wuppertal

Nach der 3. Auflage ausgeschiedene Autoren

Prof. Dr. med. Thomas Dirschka, Wuppertal (▶ Kapitel Hautprobleme im Bereitschaftsdienst)

Prof. Dr. med. Martin Hermann†, Sprockhövel (▶ Kapitel Organisation des Bereitschaftsdienstes/Geriatrische Patienten im Bereitschaftsdienst/Illegale/Untersuchungstechniken/Pleurapunktion bei Spannungspneumothorax/Notfallmanagement/Missbrauch und Misshandlung/Schlafstörungen/Diabetes mellitus/Patienten mit Antikoagulanzien/Multiple Sklerose/Palliativmedizin im Bereitschaftsdienst/Grundsätze der Schmerztherapie/Abrechnung und Dokumentation)

Prof. Dr. Thomas Quellmann, Hagen (▶ Kapitel Blasenkatheter/Pleurapunktion bei Erguss/Leitsymptome/Blutungen/HNO-Notfälle/Ophthalmologische Notfälle/Urologische Notfälle/Gynäkologische Notfälle/Vergiftungen und Ingestionen)

Prof. Dr. med. Stefan Gesenhues, Ochtrup (▶ Kapitel Schmerztherapie)

Dr. med. Heinz-Christian Wilkens, Sittensen (▶ Kapitel Gesprächsführung)

Dr. med. Klaus-Peter Wilkens, Dollern (▶ Kapitel Zahnärztliche und gesichtschirurgische Notfälle)

Bedienungsanleitung

Der Klinikleitfaden ist ein Kitteltaschenbuch. Das Motto lautet: Kurz, präzise und praxisnah. Medizinisches Wissen wird komprimiert dargestellt. Im Zentrum stehen die Probleme des klinischen Alltags. Auf theoretische Grundlagen wie Pathophysiologie oder allgemeine Pharmakologie wird daher weitgehend verzichtet.

• Vorangestellt: Tipps für die tägliche Arbeit und Arbeitstechniken.

• Im Zentrum: Fachwissen nach Krankheitsbildern bzw. Organsystemen geordnet – wie es dem klinischen Alltag entspricht.

• Zum Schluss: Praktische Zusatzinformationen. Wie in einem medizinischen Lexikon werden gebräuchliche Abkürzungen verwendet, die im Abkürzungsverzeichnis erklärt werden. Um Wiederholungen zu vermeiden, wurden viele Querverweise eingefügt. Sie sind mit einem Pfeil gekennzeichnet.

Wichtige Zusatzinformationen sowie Tipps

Notfälle und Notfallmaßnahmen

Warnhinweise

Internetadressen: Alle Websites wurden vor Redaktionsschluss im Oktober 2016 geprüft. Das Internet unterliegt einem stetigen Wandel – sollte eine Adresse nicht mehr aktuell sein, empfiehlt sich der Versuch über eine übergeordnete Adresse (Anhänge nach dem „/“ weglassen) oder eine Suchmaschine. Der Verlag übernimmt für Aktualität und Inhalt der angegebenen Websites keine Gewähr. Die angegebenen Arbeitsanweisungen ersetzen weder Anleitung noch Supervision durch erfahrene Kollegen. Insbesondere sollten Arzneimitteldosierungen und andere Therapierichtlinien überprüft werden – klinische Erfahrung kann durch keine noch so sorgfältig verfasste Publikation ersetzt werden.

Abbildungsnachweis

Der Verweis auf die jeweilige Abbildungsquelle befindet sich bei allen Abbildungen im Werk am Ende des Legendentextes in eckigen Klammern.

A300 Reihe Klinik- und Praxisleitfaden, Elsevier/Urban & Fischer

A300–106 Henriette Rintelen, Velbert, in Verbindung mit der Reihe Klinikund Praxisleitfaden, Elsevier GmbH

A300–157

Susanne Adler, Lübeck, in Verbindung mit der Reihe Klinik- und Praxisleitfaden, Elsevier GmbH

A300–183 Eckhard Weimer, Aachen, in Verbindung mit der Reihe Klinikund Praxisleitfaden, Elsevier GmbH

A300–190 Gerda Raichle, Ulm, in Verbindung mit der Reihe Klinik- und Praxisleitfaden, Elsevier GmbH

A300–215 S. Weinert-Spieß, Neu-Ulm, in Verbindung mit der Reihe Pflege konkret, Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, München

F781–005 Maconochie, I. K.: Lebensrettende Maßnahmen bei Kindern („paediatric life support“); In: Notfall & Rettungsmedizin, Springer, Dec 2015, Vol. 18, Issue 8, p. 932–963; © German Resuscitation Council (GRC) und Austrian Resuscitation Council (ARC) 2015

F781–006 Soar, J., et al.: Erweiterte Reanimationsmaßnahmen für Erwachsene („adult advanced life support“); In: Notfall und Rettungsmedizin, Springer, Dec 2015, Vol. 18, Issue 8, p. 770–832; © German Resuscitation Council (GRC) und Austrian Resuscitation Council (ARC) 2015

F781–007

Truhlář, A., et al.: Kreislaufstillstand in besonderen Situationen; Kapitel 4 der Leitlinien zur Reanimation 2015 des European Resuscitation Council; In: Notfall und Rettungsmedizin, Springer, Jan 2015, Vol. 18, Issue 8, p. 833–903; © German Resuscitation Council (GRC) und Austrian Resuscitation Council (ARC) 2015

L106 Henriette Rintelen, Velbert

L139 Dieter Brokate, Hamburg

L157

Susanne Adler, Lübeck

L190 Gerda Raichle, Ulm

P234 Andreas Fidrich, Essen

T849 Universitätsklinikum Essen

T850 Institut für Rechtsmedizin, Prof. Bajanowski; Dr. Trübner, Universitätsklinikum Essen

W181

Kassenärztliche Bundesvereinigung, Köln

W188 Bundesdruckerei, Berlin

W203 World Health Organization Genf (WHO)

W257 Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA), juristische Person des öffentlichen Rechts, Siegburg

W329 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Köln

W876 Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Berlin

Abkürzungsverzeichnis

Symbole

®

Handelsname

↔ normal (im Normbereich)

↑ hoch, erhöht

⇈ stark erhöht

↓ tief, erniedrigt

⇊ stark erniedrigt (▶) siehe (Verweis)

→ vgl. mit, daraus folgt

AA.(a.) Arterie(n)

Abb. Abbildung

ACE Angiotensin Converting Enzyme

ACTH adrenokortikotropes Hormon

ADH antidiuretisches Hormon

AED automatisierte externe Defibrillation

AH Arzthelferin

AIDS Acquired Immune Deficiency Syndrome

AK Antikörper

amb. ambulant

Amp. Ampulle ant. anterior

ANV akutes Nierenversagen

AOK Allgemeine Ortskrankenkasse a. p. anterior-posterior

ART antiretrovirale Therapie art. arteriell

ASR Achillessehnenreflex

ASS Acetylsalicylsäure

AsylbLG Asylbewerberleistungsgesetz

AsylVfG Asylverfahrensgesetz Ätiol. Ätiologie

AU Arbeitsunfähigkeit

AVK arterielle Verschlusskrankheit

AZ Allgemeinzustand

Bbakt. bakteriell

BB Blutbild bds. beidseits, bilateral

BE Base Excess bes. besonders

BG Berufsgenossenschaft

BGA Blutgasanalyse

BLS Basic Life Support (Basismaßnahmen der Reanimation)

BSR Bizepssehnenreflex

BtM Betäubungsmittel

BtMVV Betäubungsmittelverschreibungsverordnung

BWK Brustwirbelkörper

BWS Brustwirbelsäule

BZ Blutzucker bzw. beziehungsweise

C

Ca Karzinom

ca. circa

CCT kraniale Computertomografie

Ch. Charrière

CHE Cholinesterase

chron. chronisch

Cl Chlorid

CMV Zytomegalievirus

COLD Chronic Obstructive Lung Disease

CO Kohlenmonoxid

CO2 Kohlendioxid

CPR kardiopulmonale Reanimation

CT Computertomogramm

CVI chronisch venöse Insuffizienz

°C Grad Celsius

Dd dies (Tag)

DD Differenzialdiagnose

D-Arzt Durchgangsarzt

desc. Descendens

d. h. das heißt

Diab. mell. Diabetes mellitus

Diagn. Diagnostik

diast. diastolisch

DIC disseminierte intravasale Koagulopathie

DK Dauerkatheter

DLRG Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft e. V. DOAK direkte orale Antikoagulanzien

Dos. Dosierung

DPT Diphtherie/Pertussis/Tetanus

Drg. Dragee/-s

DS Druckschmerz

EEBM einheitlicher Bewertungsmaßstab

EBV Epstein-Barr-Virus

E. coli Escherichia coli

EHEC enterohämorraghische Escherichia coli

EKG Elektrokardiogramm/Elektrokardiografie

EL Esslöffel

ERCP endoskopisch retrograde Cholangiopankreatikografie Erkr. Erkrankung

Erw. Erwachsener

X
Abkürzungsverzeichnis

etc. et cetera

EU Extrauteringravidität evtl. eventuell

FFA Facharzt

FGM Female Genital Mutilation

FSME Frühsommermeningoenzephalitis

GG Gauge

ggf. ggf.

GIT Gastrointestinaltrakt

GOÄ Gebührenordnung für Ärzte gyn. gynäkologisch

H h Stunde

HA Hausarzt

HBV Hepatitis-B-Virus

HF Herzfrequenz

HG Handgelenk/-e

HHV humanes Herpesvirus

HIT Heparin-induzierte Thrombozytopenie

HNO Hals-Nasen-Ohren

HOPS hirnorganisches Psychosyndrom

HRST Herzrhythmusstörungen

HT Herzton

HWI Harnwegsinfektion

HWK Halswirbelkörper

HWS Halswirbelsäule

I

i. c. intrakutan

ID Innendurchmesser

i. d. R. in der Regel

ICR Interkostalraum

IE Internationale Einheit

IfSG Infektionsschutzgesetz

IgE Immunglobulin E

i. m. intramuskulär

Ind. Indikation

inf. inferior inkl. inklusive insbes. insbesondere Insuff. Insuffizienz

ITP idiopathische thrombozytopenische Purpura

IUP Intrauterinpessar

i. v. intravenös

XI Abkürzungsverzeichnis

J J Joule

J. Jahr(e)

K

K Kalium

Kap. Kapitel

KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung

KG Körpergewicht

/kg KG pro Kilogramm Körpergewicht

KHK koronare Herzkrankheit

KI Kontraindikation(en)

KK Krankenkasse

KO Komplikation kons. konservativ

Konz. Konzentration

Kps. Kapsel

KRINKO Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprophylaxe des Robert Koch-Instituts

KTW Krankentransportwagen

KV Kassenärztliche Vereinigung

KW Kohlenwasserstoff/e

L l Liter

L1–L5 Lumbalsegment 1–5

LA Lokalanästhesie li links

Lj./LJ. Lebensjahr

Lk/LK Lymphknoten

LP Liquorpunktion

Lsg. Lösung

LWK Lendenwirbelkörper

LWS Lendenwirbelsäule

M

M., Mm. Musculus, Musculi

MAO Monoaminooxidase max. maximal

MCL Medioklavikularlinie

MCP Metoclopramid

MER Muskeleigenreflexe mg Milligramm min. minimal Min. Minute

mind. mindestens

Mio. Millionen mittl. mittlere

ML Messlöffel ml Milliliter

XII Abkürzungsverzeichnis

Mon. Monat(e)

MRT Magnetresonanztomografie

MS multiple Sklerose

N

N., Nn. Nervus, Nervi

NaCl Natriumchlorid

NAP Nervenaustrittspunkte

NAW Notarztwagen

neg. negativ

NEF Notarzteinsatzfahrzeug

Neugeb. Neugeborenes

NHL Non-Hodgkin-Lymphom

NLG Nervenleitgeschwindigkeit

NMH niedermolekulares Heparin

NNH Nasennebenhöhlen

NNR Nebennierenrinde

NRTI Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitor

NSAID nichtsteroidale Antirheumatika/Antiphlogistika

NW Nebenwirkung

O

o. Ä. oder Ähnliches

OAD orale/s Antidiabetikum/a

o. B. ohne Besonderheit

ÖGD Ösophagogastroduodenoskopie

OP Operation

OS Oberschenkel

OSG Oberes Sprunggelenk

Pp. a. posterior-anterior

Päd. Pädiatrie

Pat. Patient/Patientin/Patienten/Patientinnen

pAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit

PEG perkutane endoskopische Gastrostomie

p. i. post ingestionem

PID Präimplantationsdiagnostik

P. m. Punctum maximum

PNP Polyneuropathie

p. o. per os

Polio Poliomyelitis

PRIND Prolonged Reversible Ischaemic Neurologic Deficit

PSR Patellarsehnenreflex

R

RA rheumatoide Arthritis re. rechts

Re- Wiederholung

respir. respiratorisch rez. rezidivierend

XIII Abkürzungsverzeichnis

XIV Abkürzungsverzeichnis

RG Rasselgeräusch

Rö Röntgen

Rp. Rezept

RPR Radiusperiostreflex

RR Blutdruck nach Riva-Rocci

RSV Respiratory-Syncytial-Virus

RTH Rettungshubschrauber

RTW Rettungswagen

S

S. Seite

s. c. subkutan

s Sekunde(n)

S1–S5 Sakralsegment 1–5

SAB Subarachnoidalblutung

SAPV spezialisierte Palliativversorgung

Säugl. Säugling/-e

SHT Schädel-Hirn-Trauma

SIDS Sudden Infant Death Syndrome

SI-Gelenk Sakroiliakalgelenk

s. o. siehe oben

SSW Schwangerschaftswoche stgl. seitengleich

s. u. siehe unten

sup. superior

Sy. Symptom

Syn. Synonym

Syndr. Syndrom syst. systolisch

T

T3 Trijodthyronin

T4 Thyroxin (vierfach jodiert)

Tab. Tabelle

tgl. täglich

Tbc Tuberkulose

Tbl. Tablette/-n

TEN toxisch epidermale Nekrolyse

TF Trommelfell/-e

Ther. Therapie

THW Technisches Hilfswerk

TIA transitorische ischämische Attacke

TL Teelöffel

Tr. Tropfen

TTS transdermales therapeutisches System (transdermales [Wirkstoff-] Pflaster)

TU Tumor

TVT tiefe Venenthrombose

u. a. und andere

US Unterschenkel

V

V. a. Verdacht auf v. a. vor allem

VES ventrikuläre Extrasystole

VF Kammerflimmern

vgl. vergleiche

VP Vitalitätsprobe

Vit. Vitamin

VSM Vena saphena magna

VSP Vena saphena parva

VT Kammertachykardie

WWo. Woche(n)

WPW Wolff-Parkinson-White-Syndrom

Zz. B. zum Beispiel

Ziff. Ziffer

Z. n. Zustand nach ZNS zentrales Nervensystem

z. T. zum Teil

ZVD zentraler Venendruck

ZVK zentraler Venenkatheter

XV Abkürzungsverzeichnis U

Tipps für den Bereitschaftsdienst

Andreas Fidrich, Hermann C. Römer und Christine Wienstroth

1.1 Organisation des Bereitschaftsdienstes

Andreas Fidrich und Hermann C. Römer 2

1.1.1 Grundsätzliches 2

1.1.2 Organisation der eigenen Praxis

Hermann C. Römer 3

1.1.3 Die Bereitschaftstasche

Andreas Fidrich und Hermann C. Römer 5

1.2 Zusammenarbeit mit anderen Organisationen

Andreas Fidrich und Hermann C. Römer 10

1.2.1 Rettungsdienst 10

1.2.2 Krankenhäuser 11

1.2.3 Fachärzte 11

1.2.4 Pflegedienste 12

1.2.5 Alten- und Pflegeheime 12

1.2.6 Notapotheken 12

1.3 Besondere Patientengruppen

Andreas Fidrich, Hermann C. Römer und Christine Wienstroth 13

1.3.1 Patienten fremder Kulturkreise

Andreas Fidrich und Hermann C. Römer 13

1.3.2 Asylbewerber und Flüchtlinge

Andreas Fidrich und Hermann C. Römer 15

1.3.3 Obdachlose und wohnungslose Patienten

Christine Wienstroth 17

1.3.4 Sterben und Tod

Andreas Fidrich und Hermann C. Römer 19 1.4 Juristische Aspekte

Andreas Fidrich und Hermann C. Römer 21

Rechtliche Grundlagen des Bereitschaftsdienstes

Fidrich und Hermann C. Römer

nigung

Unfallmeldung F1050 an die Berufsgenossenschaften

1.4.1
1.4.2 Zwangseinweisung 22 1.4.3 Palliativmedizinische
23 1.4.4 Leichenschau 25 1.5 Formulare Andreas
29 1.5.1 Die Chipkarte 29 1.5.2 Notfallschein Muster 19 a–c 29 1.5.3 Rezepte 31 1.5.4 Krankenhauseinweisung
2) 33 1.5.5 Transportschein (Muster 4) 33 1.5.6 Arbeitsunfähigkeitsbeschei-
33 1.5.7 Ärztliche
34 1.5.8 Bescheinigung
Haftfähigkeit 36 1.5.9 Totenschein 36
21
Aspekte
(Muster
(Muster 1)
der
1

1.1 Organisation des Bereitschaftsdienstes

1.1.1 Grundsätzliches

Ob an Werktagen, außerhalb der täglichen Praxissprechzeiten oder an Sonn- und Feiertagen, Patienten suchen zu jeder Tages- und Nachtzeit ärztlichen Rat und Behandlung. Die kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) als Dachorganisation und ihre kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) müssen diesen Bedarf, dem Sozialgesetzbuch (SGB V, § 75, Abs. 1) entsprechend, decken und die vertragsärztliche Versorgung auch zu sprechstundenfreien Zeiten sicherstellen (Notdienst). Bei der örtlichen Umsetzung der Organisation ergeben sich aufgrund unterschiedlicher Infrastrukturen individuelle Unterschiede. Grundsätzlich kann der Bereitschaftsdienst in Fahr- und Sitzdienst unterteilt werden. Die Zuweisung erfolgt über die Telefonzentrale.

Der ärztliche Notdienst wird in der Bevölkerung häufig mit dem Notarztdienst gleichgesetzt. Die notärztliche Versorgung im Rahmen des Rettungsdienstes obliegt jedoch nicht der KBV (▶ 1.2.1).

Organisation des Bereitschaftsdienstes durch die Kassenärztliche Vereinigung oder die Ärztekammer eher in Städten:

• Dienstplanschema: Es wird für die beteiligten niedergelassenen Ärzte bzw. deren Vertreter von der KV ein Dienstplan erstellt. Festlegung i. d. R. quartalsweise, z. T. auch jährlich.

• Alarmierung: Seit 2015 ist der ärztliche Notdienst unter der kostenfreien und bundeseinheitlichen Rufnummer 116 117 erreichbar. In einigen Regionen bietet die KV eine „Notfalldienst-App“ für Mobilgeräte an (z. B. KV Westfalen-Lippe). Allgemeine Informationen der KBV können Patienten unter www.116117info.de erhalten. In Berlin, Bayern und Frankfurt am Main steht der Notdienst derzeit durchgehend zur Verfügung.

• Beförderungsmittel: Taxi oder eigener Pkw, z. T. besondere Notdienstfahrzeuge.

Organisation des Bereitschaftsdienstes durch die beteiligten Ärzte Eher in ländlichen Regionen; i. d. R. Zusammenschluss der Ärzte zu Notdienstringen, um die zeitliche Belastung zu minimieren.

• Zumeist ebenfalls Dienstplanschema: Erstellung durch Notdienstring; Veröffentlichung in der örtlichen Presse.

• Alarmierung: Der Bereitschaftsdienst muss jederzeit erreichbar sein; wie er dies organisiert, bleibt ihm selbst überlassen (▶ 1.1.2).

Fahrdienst Hausbesuchstätigkeit mit ständigem Kontakt zur Telefonzentrale. Einige ländliche Modelle decken hierbei auch Aufgaben des Rettungsdienstes mit ab.

Sitzdienst Notfallsprechstunde in einer Praxis bzw. in Notfallpraxen im Stadtzentrum oder in räumlicher Anbindung an ein Krankenhaus. Es stehen evtl. diagnostische Geräte (vom EKG bis zur Röntgeneinrichtung) zur Verfügung, auf die der Fahrdienst i. d. R. nicht zurückgreifen kann. In den Städten existieren meist auch spezielle gebietsärztliche Bereitschaftsdienste, z. B. Augen-, HNO-, Kinderärzte.

1 2 1 Tipps für den Bereitschaftsdienst

Telefonzentrale Zentrale Stelle zur Annahme der Notrufe. In Städten meist von KV und Kammer mit Arzthelferinnen, teilweise auch mit Ärzten besetzte Einrichtung, die die Pat. je nach Erkr. in die Praxen verteilt oder den Fahrdienst steuert.

1.1.2 Organisation der eigenen Praxis

Qualifikation von Arzt und Hilfskraft für den Bereitschaftsdienst

• Arzt Generell erfüllt jeder niedergelassene Arzt die Voraussetzungen für die Teilnahme am Bereitschaftsdienst. Möglichkeiten, sich auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst vorzubereiten:

– Zusatzbezeichnung „Arzt im Rettungsdienst“.

– Teilnahme am Bereitschaftsdienst bei erfahrenem Kollegen (Ausbildung in der KV-Vorbereitungszeit intensiv nutzen!).

– Hospitation auf NEF oder Intensivstation (nur bedingt geeignet!).

– Studium entsprechender Literatur (Praxisleitfaden Ärztlicher Bereitschaftsdienst).

• Hilfskraft Sie muss nicht unbedingt die Qualifikation eines medizinischen Assistenzberufs (Arzthelferin, MTA, Krankenschwester) besitzen, sollte jedoch:

– Über medizinisches Basiswissen verfügen.

– In medizinischen Notfallsituationen ruhig und überlegt handeln können.

– Die Grundregeln des Notfallmanagements beherrschen (Wer? Wo? Was? Wie viel?).

Die Dringlichkeit der Hilfsanforderung richtig einschätzen.

– Kenntnisse über die Struktur des örtlichen Rettungssystems besitzen.

– Die Therapiemöglichkeiten von Arzt und Praxis kennen.

– Über Ortskenntnisse verfügen.

Einfühlungsvermögen im kommunikativen Umgang zeigen (z. B. Patientenberuhigung).

Erreichbarkeit Es besteht die Verpflichtung der Durchführung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes vom Praxisort aus. Eine durchgehende telefonische Erreichbarkeit muss sichergestellt werden. Der Hinweis auf die notärztliche Hilfsmöglichkeit durch einen Ansagetext auf dem Anrufbeantworter allein ist nicht ausreichend!

Die Erreichbarkeit über das Mobiltelefon ist nicht überall störungsfrei gewährleistet! Im Zweifelsfall wird das dem Arzt angelastet.

Möglichkeiten, die Erreichbarkeit während des Bereitschaftsdienstes zu sichern:

• Besetzung des Praxistelefons durch eine Arzthelferin oder eine andere kompetente Hilfskraft, welche wiederum mit dem Bereitschaftsarzt in direkter Verbindung steht.

• Anrufweiterschaltung auf ein Mobiltelefon (in Arzthand).

Im Gegensatz zum Notarzt gibt es für den ärztlichen Bereitschaftsdienst keine gesetzlich festgelegte „Hilfsfrist“. Die Alarmierungszeiten hängen von Entfernungen, Straßenzustand und Witterung ab. Der Arzt im Bereitschaftsdienst ist ganz normaler Verkehrsteilnehmer, er darf keine Sonder- und Wegerechte in Anspruch nehmen.

1 3 1.1 Organisation des Bereitschaftsdienstes

Sprechzeiten Neben der Versorgung von Notfallpatienten zu Hause, soll der Bereitschaftsdienst für Pat. (in weniger dringenden Fällen) auch in seiner Praxis erreichbar sein. Hier haben sich sogenannte „Kernsprechzeiten“ zwei- oder dreimal täglich bewährt, die in der örtlichen Presse bekannt gemacht werden. Dies ermöglicht ein effektives und sinnvolles Zeitmanagement.

Ergänzung der Praxisausstattung Im ländlichen Bereich mit einiger Entfernung zum nächsten Krankenhaus wären folgende Diagnose- und Therapiemöglichkeiten ideal:

• Otoskop, „kleines Labor“ (Blut und Urin), EKG (12-Kanal-Ableitung), Ultraschallgerät (zur Untersuchung des Abdomens und des Urogenitaltrakts).

• Materialien zur Versorgung geringfügiger Verletzungen (inkl. Möglichkeit zur Wundnaht in Lokalanästhesie; aktive und passive Tetanusimpfung), Anlage von Druckverbänden.

• Set zur Katheterisierung der Harnblase.

• Instrumente zur Entfernung von Fremdkörpern (z. B. Pinzette).

• Subkutane, intramuskuläre und intravenöse Injektionen, Infusionen.

• Möglichkeit der Erstversorgung lebensbedrohlicher Zustände (Notfallkoffer, ▶ 1.1.3).

• Ein AED (automatisierter externer Defibrillator, ▶ 3.5.1).

Labor und apparative Diagnostik im Bereitschaftsdienst Jeder Bereitschaftsarzt wird die Möglichkeiten nutzen, die ihm im Augenblick der Inanspruchnahme zur Verfügung stehen. Je mehr das sind, desto größer ist die Bandbreite der laborchemischen Diagnostik und Ausschlussdiagnostik. Grenzen nach oben gibt es nicht. Der Arzt „im Fahrdienst“ kann meist schon aus Platz- und Gewichtsgründen keine größeren Geräte mit sich herumtragen.

Mindestanforderung für den ärztlichen Bereitschaftsdienst ist die Möglichkeit der Blutzuckeranalyse. Als Ergänzung zur Blutzuckerbestimmung sind sinnvoll:

• Urinstix: weitere Differenzierung von Erkr. des Urogenitaltrakts.

• EKG: Objektivierung von Herzrhythmusstörungen und zur Überwachung.

• „Trockenchemie“-Labor (z. B. Reflotron®): gezielte Bestimmung weiterer Blutparameter wie „Herz-/Leberenzyme“, Retentionswerte der Niere, Harnsäure, Amylase, Hb.

• Sonografiegerät: Abklärung abdomineller oder urogenitaler Beschwerden.

Alle apparativen und labortechnischen Möglichkeiten ersetzen keinesfalls eine gründliche Anamnese und körperliche Untersuchung! Im Zweifelsfall sollte immer der klinische Verdacht das weitere Handeln des Arztes bestimmen!

1 4 1 Tipps für den Bereitschaftsdienst

1.1.3 Die Bereitschaftstasche

Eine gut organisierte Notfalltasche ist Grundvoraussetzung für den Bereitschaftsdienst (▶ Tab. 1.1). Für Ausrüstung und mitgeführte Medikamente gibt es derzeit keine verbindlichen Vorgaben. Ob Koffer (z. B. Soehngen EUROMED), Rucksack (Pax® Notfall-Rucksack P5/11 L) oder Tasche (z. B. Pax® Arzt-Tasche L), die Wahl kann nach persönlichen Vorlieben getroffen werden. Diagnostik und Therapie

Für die Basisdiagnostik und -therapie sollte eine einheitliche Grundausstattung vorgehalten werden. Thematisch separierte Taschen (z. B. Infusions-/Blutentnahmepaket) erlauben im Notfall eine bessere Übersicht und schnellere Auffindung aller Materialeien. Innerhalb der Praxis müssen regelmäßige Kontrollintervalle und deren Umfänge festgelegt werden. Diese müssen die Überprüfung auf Funktionstüchtigkeit, Vollständigkeit und Verfallsdaten beinhalten. Kontrollen sollten anhand einer Checkliste dokumentiert werden. Zur Aufbewahrung von Dokumenten eignen sich separate Dokumentenfächer oder -mappen.

Im Folgenden ist exemplarisch eine Ausstattung nach o. g. Gesichtspunkten aufgeführt. Der dargestellte Inhalt ist lediglich eine Empfehlung und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Individuelle Vorlieben finden keine Berücksichtigung.

Die Reanimationspflichtigkeit eines Patienten stellt im Bereitschaftsdienst eine absolute Ausnahmesituation dar. Bei der Durchführung der kardiopulmonalen Reanimation in der Anfangsphase ist es von besonderer Bedeutung, einen suffizienten Kreislauf durch effiziente Thoraxkompressionen aufzubauen; diese können durch Beatmungen ergänzt werden. Das Legen eines intravenösen Zugangs, eine Medikamentengabe und die definitive Atemwegssicherung haben i. d. R. eine geringe Bedeutung. Der Bereitschaftsdienst sollte sich deshalb bis zum Eintreffen des Rettungsdienstpersonals auf ein effektiven Basic-Life-Support (BLS) gemäß Empfehlungen des European Resuscitation Council (ERC, Leitlinien 2015, ▶ 3.4.1) beschränken!

Die endotracheale Intubation gilt als Goldstandard einer definitiven Atemwegssicherung. In den meisten Fällen des Bereitschaftsdienstes ist sie jedoch nicht zwingend notwendig, so ist z. B. bei der Reanimation eine suffiziente Beutel-Masken-Beatmung ausreichend. Die Intubation sollte deshalb Ärzten mit Erfahrung und regelmäßiger Durchführung vorbehalten bleiben (Anästhesisten und erfahrene Notärzte).

Medikamente

Es ist sinnvoll, die Auswahl und die Anzahl der Medikamente anhand der am häufigsten auftretenden, regionalen Leitsymptome und Erkrankungen im Bereitschaftsdienst zu bemessen. Unökonomischer Medikamentenverfall kann so verhindert werden. Um eine unbeabsichtigte Beschädigung zu vermeiden, können Medikamente in einem bruchfesten Ampullarium mitgeführt werden.

Im Folgenden ist eine Auswahl von Notfallmedikamenten aufgeführt. Spezielle Medikamente können entsprechend persönlicher Erfahrungen angepasst werden (▶ Tab. 1.2).

1 5 1.1 Organisation des Bereitschaftsdienstes

• Mundspatel (einzeln verpackt!)

• Stethoskop

• Pulsoxymeter

Grundausstattung Bereitschaftstasche

Tab. 1.1

Diagnostik Atemwege

Kreislauf Blutdruckmessgerät (normal, groß)

• Diagnostikleuchte

• Reflexhammer

• Bluzuckermessgerät

• Otoskop, Einwegtrichter

• Fieberthermometer

• Stimmgabel (Rydel Seiffer)

Maßband 1,5 m

• Oropharyngealtubus (Guedel, Gr. 2, 3, 4)

• Nasopharyngealtubus (Wendl, CH 18, 20, 24)

• Beatmungsbeutel, Reservoirbeutel

• Beatmungsmaske (Gr. 3, 4, 5)

• Larynxtubus-Set (Gr. 3, 4, 5)

• Stauschlauch

• Hautdesinfektion

• Einwegtupfer (unsteril)

• Zugang i. v. (je 5 Stk.: 22 G, 20 G, 18 G)

• Mandrin (je 5 Stk.: 22 G, 20 G, 18 G)

• Pflaster

• Butterfly-Kanülen (5 Stk.)

• Spritzen (2 × 20 ml, 5 × 10 ml, 10 × 5 ml, 5 × 2 ml)

• Kanülen

• Monovetten (3× Serum, 3× Citrat, 3× EDTA)

Neurologie

Sonstiges

Therapie Paket „Atemwege“ (blau)

Paket „i. v. Zugang/Blutentnahme“ (rot)

1 6 1 Tipps für den Bereitschaftsdienst

• Schleimhaut-/Wunddesinfektion

• Wundschnellverband (1 Rolle)

• Sterile Kompressen (5 Stk.)

• Mullbinden (5 Stk.)

• Dreiecktuch (1 Stk.)

• Sam-Splint ® -Schiene

• Pflasterstreifen (z. B. Leukosilk ® )

• Steristripes (5 Pack.)

• Transparentverband Rolle 10 × 10 cm

• Cool-Pack (2 Stk.)

• Verbandund Kleiderschere

• Fadenziehset (1 Stk.)

• Einwegpinzette (2 Stk.)

• Einwegskalpell (2 Stk.)

• Sterile Einweghandschuhe

• Hydrogel-/Schaumstoff-Wundauflage (4 Stk.).

• Einmalhandschuhe

• Rettungsdecke

• Infusionsbesteck (5 Stk.)

• NaCl 250 ml (2 Stk.)

• Glukose 20 % 250 ml (1 Stk.)

• Müllbeutel für Abfälle

• Spitzabwurf

• Einwegmundstücke für Dosieraerosole

• Transportscheine

• Einweisungsscheine

• Kassenrezepte

• Privatrezepte

• Notfallbehandlungsscheine

• Kartenlesegerät

• Notizblock, Kugelschreiber

• Diktiergerät

• Totenscheine

• Kontaktnummern Notfallseelsorge

Paket „Trauma/Wunden“ (grün)

Sonstiges

Dokumentation Allgemein

Todesfall

1 7 1.1 Organisation des Bereitschaftsdienstes

Medikamente Bereitschaftstasche

Tab. 1.2

Einsatzgebiet

Handelsname (Bsp.) Darreichung Applikation

Einsatzgebiet Wirkstoff

Atemwege Salbutamol SalbuHexal ® 0,1 mg/Hub inhal. Bronchiale Obstruktion

Reproterol Bronchospasmin ® 0,09 mg/Amp. à 1 ml i. v. Bronchiale Obstruktion

Dexamethason Fortecortin ® 8 mg/Amp. i. v. Bronchiale Entzündungsreaktion

Herz-Kreislauf-Stillstand, Rhythmusstörungen

Hypertensive Krise/Notfall

Schwangerschaftshypertonie

150 mg/Amp. à 3 ml i. v.

100 mg/Amp. à 10 ml i. v.

250 mg/Tbl. p. o.

Herz-Kreislauf Amiodaron Cordarex ®

Urapidil Ebrantil ®

Methyldopa Presinol ®

Atropin Atropinsulfat ® 0,5 mg/Amp. à 1 ml i. v. Bradykardie, AV-Block

200/10 mg/Amp. i. m., i. v. Hypotonie (nicht bei absol. Vol.-Mangel)

20 mg/Amp. à 2 ml i. v. Ödeme

Cafedrin + Theodrenalin Akrinor ®

Furosemid Lasix ®

Glyceroltrinitrat Nitrolingual ® 0,4 mg/Hub s. l. Angina pectoris, Hypertonie (off label use)

250/500 ml/Infusion i. v. Infusionstherapie

NaCl 0,9 % –

Glucose 20 % –500 ml/Infusion i. v. Infusionstherapie, Hypoglykämie

Haloperidol Haldol ® 5 mg/Amp. à 1 ml i. v. Akute Psychose

Promethazin Atosil ® 50 mg/Amp. à 2 ml i. v. Unruhezustände, Angst, Aggressivität (Allergie, Übelkeit)

Psychiatrie/ Neurologie

500 mg Trockensubst. + 5 ml Aqua dest. i. v. Schmerzen, Migräne

10 mg/ml Inf.-Lsg. Schmerzen, Fieber

Acetylsalicylsäure Aspirin ®

Paracetamol Perfalgan ®

Diclofenac Diclac ® 75 mg/Amp. à 2 ml i. v. Akuter Gichtanfall, rheumatische Beschwerden, Neuralgien

1000 mg/Amp. i. v. Schmerzen, Koliken, therapieresist. Migräneanfall, Fieber

Metamizol Novalgin ®

Morphin MSI Mundipharma ® 20 mg/Amp. à 1 ml i. v. Schwere Schmerzzustände

Analgesie

1 8 1 Tipps für den Bereitschaftsdienst

Midazolam Dormicum ® 5 ml/Amp. à 5 ml i. v. Sedierung, Krampfanfall

Lorazepam Tavor Expidet ® 2,5 mg/Tbl. p. o., bukk. Angstzustände, Status epilepticus, Schlafstörungen (kurzfristig!)

Diazepam Diazepam ratio ® 5/10 mg/Rektaltube rektal Krampfanfälle, Fieberkrampf, Status epilepticus

Sedierung

500 mg Trockensubst. + 5 ml Aqua dest. i. v. Myokardinfarkt

5000 IE/Amp. à 0,2 ml i. v. Lungenembolie, Myokardinfarkt, Thrombose

25 mg/25 ml i. v., i. m., inhal. Herz-Kreislauf-Stillstand, Anaphylaxie

Acetylsalicylsäure Aspirin ®

Antikoagulation

Heparin Heparin-Calcium-ratioph. ®

Adrenalin Suprarenin ® 1 mg/Amp. à 1 ml o.

Anaphylaxie

4 mg/Amp. à 4 ml i. v. Allergische Reaktion

Dimetinden Fenistil ®

Prednisolon Solu-Decortin ® 250 mg/Amp. i. v. Allergische Reaktion

Prednisolon Rectodelt ® 100 mg/Supp. rektal Allergische Reaktion

GI-Trakt Butylscopolamin Buscopan ® 20 mg/Amp. à 1 ml i. v. Spasmen der glatten Muskulatur (Magen, Darm, Gallenund Harnwege, weibl. Genitalorgane)

Pantoprazol Pantozol ® 40 mg/Amp. i. v. Ulcus duodeni/ventriculi, Refluxösophagitis

Dimenhydrinat Vomex A ® 62 mg/Amp. à 10 ml i. v. Schwindel, Übelkeit/Erbrechen, Reisekrankheit

Pädiatrie Ibuprofen Nurofen ® Saft 100/200/5 ml p. o. Fieber, Schmerzen

Antidote Flumazenil Anexate ® 1 mg/Amp. à 10 ml i. v. Benzodiazepinintoxikation

Naloxon Naloxon ® 0,4 mg/Amp. à 4 ml i. v. Opiatintoxikation

Phytomedanion (Vit. K 1 ) Konakion ® 10 mg/Amp. à 1 ml i. v. Unstillbare Blutungen durch Vit.-K-Antagonisten

1 9 1.1 Organisation des Bereitschaftsdienstes

1.2 Zusammenarbeit mit anderen Organisationen

1.2.1 Rettungsdienst

Träger des Rettungsdienstes in Deutschland sind Kreise und kreisfreie Städte (z. B. NRW), in ländlichen Bereichen auch Hilfsorganisationen (z. B. BaWü). Regelungen zu Organisation und Durchführung sind in regionalen Rettungsgesetzen geregelt (z. B. RettG NRW). Der Rettungsdienst umfasst grundsätzlich die Durchführung des Krankentransports und der Notfallrettung. Die Koordination erfolgt über eine zentrale Rettungsleitstelle. Zusätzlich zu medizinischen Rettungsmitteln kann über die Leitstelle auch technische Hilfe angefordert werden (Feuerwehr, Technisches Hilfswerk).

Folgende Rettungsmittel lassen sich unterscheiden:

• Krankentransportwagen (KTW): Krankentransport ohne vitale Gefährdung.

• Rettungswagen (RTW): dringender Notfalltransport, Überwachungsbedarf ohne die Notwendigkeit einer ärztlichen Begleitung.

• Notarzteinsatzfahrzeug (NEF): Notarztzubringer im „Rendezvous-System“ bei Notwendigkeit einer ärztlichen Begleitung, mit vitaler Gefährdung.

• Rettungshubschrauber (RTH): Notfalltransport mit Arztbegleitung über weite Strecken (z. B. in Verbrennungszentren), Träger sind u. a. DRF, ADAC und die Bundeswehr.

Die Auswahl des Rettungsmittels erfolgt i. d. R. durch die Leitstelle entsprechend der Notfallsituation. Deshalb ist es wichtig, möglichst genaue Angaben zum Zustand des Patienten zu machen. Sie können der Leitstelle eine Empfehlung des Rettungsmittels aufgrund der Einschätzung vor Ort mitteilen, letztlich wird diese aber nach dem örtlichen Indikationskatalog für den Notarzteinsatz entscheiden. Einen Überblick gibt ▶ Tab. 1.3.

Tab. 1.3 Indikationskatalog Notarzteinsatz

(BÄK, Stand: 22.2.2013)

Funktion Zustand Beispiel

Bewusstsein Reagiert nicht oder nicht adäquat auf Ansprechen und Rütteln

Atmung Keine normale Atmung, ausgeprägte oder zunehmende Atemnot, Atemstillstand

Herz/Kreislauf Akuter Brustschmerz, ausgeprägte oder zunehmende Kreislaufinsuffizienz, Kreislaufstillstand

Sonstige Schädigungen mit Wirkung auf die Vitalfunktionen

Schwere Verletzung, schwere Blutung, starke akute Schmerzen, akute Lähmungen

Schädel-Hirn-Trauma (SHT), Schlaganfall, Vergiftungen, Krampfanfall, Koma

Asthmaanfall, Lungenödem, Aspiration

Herzinfarkt, Angina pectoris, akutes Koronarsyndrom (ACS), Herzrhythmusstörungen, hypertone Krise, Schock

Thorax-/Bauchtrauma, SHT, größere Amputationen, Ösophagusvarizenblutung, Verbrennungen, Frakturen mit deutlicher Fehlstellung, Pfählungsverletzungen, Vergiftungen, Schlaganfall

Schmerz Akute starke und/oder zunehmende Schmerzen Trauma, Herzinfarkt, Kolik

1 10 1 Tipps für den Bereitschaftsdienst

Transportorganisation Ehe man einen Transport anfordert, muss klar sein, in welche Fachabteilung der Pat. gebracht werden soll und ob eine ärztliche Begleitung erforderlich ist. Letztendlich entscheidet die Leitstelle oder die Besatzung des Rettungsmittels über das Zielkrankenhaus. Entweder aufgrund der benötigten Fachabteilung oder regionaler Zuständigkeitsbereiche der Kliniken.

Grundsätzlich obliegt die Verantwortung für den Patienten dem einweisenden Arzt bis zur definitiven Übergabe an die Besatzung des Rettungsmittels! Eine Notfalleinweisung und einen Transportschein auszustellen und den Patienten in der Akutsituation allein zu lassen, ist keine Option!

Transport agitierter/aggressiver Patienten Die Frage, ob ein agitierter und/oder aggressiver Pat. vor Transportbeginn sediert werden sollte, kann nur im Einzelfall entschieden werden.

• Vorteil: Transport ist für den Pat. u. das Begleitpersonal angenehmer, weil stressärmer.

• Nachteil: Symptomatik wird durch Medikation so verändert, dass das ärztliche Personal in der Klinik kein realistisches Bild mehr vom „Ausgangszustand“ des Pat. erhält u. so zu anderen Schlussfolgerungen kommen kann als der Bereitschaftsdienst.

• Eine Sedierung gegen den Willen des Pat. sollte nicht ohne entsprechende richterliche Beschlüsse vorgenommen werden!

• Wird im Rahmen einer Zwangseinweisung (▶ 1.4.2) der Transport vom Pat. verweigert, ist es ratsam, dass der Bereitschaftsdienst über die Rettungsleitstelle (Einsatzzentrale des RTW/NAW) „Amtshilfe“ durch die Polizei anfordert.

1.2.2 Krankenhäuser

Entscheidend für die Zuweisung sind Entfernung und Ausstattung der umliegenden Krankenhäuser. Insbesondere:

• Vorhandene Fachabteilungen.

• Blut-, Serum- und Medikamentendepots.

• Behandlungs- und Operationsmöglichkeiten.

• Intensivbehandlungsplätze.

Pat. beim zuständigen Klinikarzt anmelden und ihn informieren über vorgefundene Situation, Krankengeschichte, Medikation, eingeleitete Erstmaßnahmen.

1.2.3 Fachärzte

In einigen Bezirken gibt es spezielle Bereitschaftsdienste für einzelne Fachrichtungen z. B.:

• Augenärztlicher Bereitschaftsdienst.

• Kinderärztlicher Bereitschaftsdienst.

• Zahnärztlicher Bereitschaftsdienst.

• HNO-ärztlicher Bereitschaftsdienst.

1 11 1.2 Zusammenarbeit mit anderen Organisationen

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„Lassen’s mich aus!“ wehrte ihm Sophie mit unverhohlenem Abscheu. „Reden’s anständig mit mir!“

„Ja Frau Sophie. Gern!“ sagte der Kaufmann leise „Aber zuerst setzen’s Ihnen da neben mir her. Da ... ganz nahe!“

Er deutete mit seinem dicken, wulstigen Zeigefinger auf ein Sofa, das an der Wand stand, und setzte sich dann selber in recht gemütlicher und ungenierter Weise darauf.

„Wollen’s Ihnen nit niedersetzen, Frau Sophie?“ meinte Johannes Patscheider über eine Weile, als Sophie noch immer zögerte.

„Nein!“ sagte Sophie abweisend.

„Nit?“ Der Kaufmann zog bedauernd seine Brauen hoch. „Das tut mir aber leid, weil wir sonst noch ein bissele miteinander unterhandeln hätten können.“

„Das können wir so auch!“ stieß Sophie atemlos vor innerer Erregung hervor.

„Nein, das können wir nit!“ erklärte der Patscheider bestimmt.

Er saß auf dem Sofa, und mit beiden Händen stützte er sich auf den weichen Polstersitz. Mit lauernden Blicken sah er auf Sophie, sah ihre zitternde Erregung und sah den inneren Kampf, der sich in ihrem Gesicht widerspiegelte. Aber er hatte kein Mitleid mit ihr. Er weidete sich an ihrer Angst. Und dieses Gefühl steigerte seine Begierde nach ihr Warum sollte er sie nicht besitzen? War der Preis, den er ihr bot, nicht hoch genug für eine Nacht? Eine Nacht nur ... aber die wollte er genießen.

„Wir hätten sonst vielleicht davon reden können ... daß ich als Gründer ... mit einem Kapital von Fünfzigtausend ...“ fuhr der Kaufmann langsam fort.

„Wollten Sie das ... Herr Patscheider?“ brachte Sophie aufgeregt hervor.

„Es ist möglich ...“ erwiderte der Patscheider mit ruhiger, langsamer Stimme. „Wenn nämlich gewisse Vorbedingungen erfüllt werden.“ Er sah sie frech und herausfordernd an.

„Und ...“ stieß Sophie keuchend hervor, „die sind?“

„Wollen Sie Ihnen nit doch jetzt ein bissel da neben mir hersetzen Sophie?“ fragte er über eine Weile.

Die beiden hatten sich wie ebenbürtige Gegner mit ihren Blicken gemessen. Sie verstanden einander ohne Rede.

„Nun ... wird’s bald?“ fragte der Patscheider dann nach einer großen Pause, während der sich Sophie nicht von ihrem Platz gerührt hatte ... „Oder soll ich die schöne Frau zu mir herholen?“

Langsam und mit gesenkten Blicken kam Sophie näher. Schritt für Schritt. Sie wußte, daß es jetzt kein Entrinnen gab.

Johannes Patscheider erhob sich und ging ihr entgegen. Und dann umfing er sie mit gieriger Hast und sog sich an ihren Lippen fest.

Mit beiden Fäusten stieß ihn Sophie von sich fort.

„Ich will nicht!“ schrie sie, sich leidenschaftlich gegen ihn zur Wehr setzend. „Ich will nicht!“

„Nicht?“

„Nein!“ Sie stampfte mit dem Fuß in ohnmächtiger Wut.

Der Patscheider hielt sie mit beiden Armen fest umklammert.

„Eine Nacht ... Sophie ...“ flüsterte er heiser. „Eine einzige Nacht ...“

„Schuft!“ fauchte sie ihn wie eine Wildkatz an. „Ich bring’ dich um, wenn du dein Wort nit hältst!“

„Ich halt’ mein Wort. Aber zuerst der Preis!“

Wie mit Eisenklammern hielt sie der Mann in seinen Armen. Sie fühlte seinen heißen, erregten Atem, und sie dachte an Felix, dem sie dieses Opfer bringen mußte.

Eine Nacht ... eine einzige Nacht nur ... Dann war’s vorbei ... Die Qual überwunden ... Sie konnte wieder glücklich sein ...

„Ja!“ stieß sie zitternd hervor und wand sich verzweifelt unter seinen Küssen.

„Lass’ dich küssen Weib ...“ sagte der Patscheider zynisch. „Ich zahl’ gut ... es ist nix umsonst!“

Wie von Sinnen eilte Sophie Rapp aus dem Hause des Kaufmanns. Sie irrte durch ganz entlegene Gassen, hinüber nach Hötting, dem Walde zu ... Sie konnte jetzt nicht unter Menschen gehen mit dieser flammenden Röte der Scham in den Wangen. Jeder würde ihr die Entehrung und Schande vom Gesicht ablesen können ... Sie mußte fort ... allein sein ... konnte niemanden sehen ... bis alles vorbei war ...

Einige Tage war Sophie jetzt nicht zu Felix gekommen. Sie schrieb ihm auch nicht und ließ nichts hören von sich. Da kam Felix Altwirth von banger Sorge getrieben zu ihr.

„Sophie ... Liebste ... Einzige ...“ sagte er zärtlich, als sie allein waren. „Hab’ ich dir weh getan? Hab’ ich dich beleidigt? Bist du krank gewesen?“ Ganz unglücklich sah der Maler drein, als er leise und sanft ihr immer wieder liebkosend über die heiße Stirn fuhr.

„Ich hatte Kopfschmerzen,“ sagte Sophie ausweichend und vermied es, Felix in die Augen zu sehen. Seine warme Zärtlichkeit tat ihrer wunden, zertretenen Seele ungemein wohl. Sie lehnte sich in ihrem Schaukelstuhl zurück und schloß die Augen.

Sophie sah elend aus. Tatsächlich krank. Sie hatte auch ihr inneres Gleichgewicht noch nicht wiedergefunden. Immer von neuem tauchten die schrecklichen Stunden in ihrer Erinnerung auf. Es war ein Glück, daß Doktor Rapp für einige Zeit hatte verreisen müssen. So brauchte sie diesem wenigstens keine Komödie vorzuspielen. Und bis er kam, so hoffte sie, würde sie wohl wieder ganz hergestellt sein.

Sie fühlte sich jetzt, da Felix sie mit seiner achtungsvollen Liebe umgab, bereits wohler. Sie lachte ihn an und plauderte mit ihm, und

* * *

er mußte ihr erzählen, was er geschaffen hatte, seit sie sich nicht sahen.

Wie eine lange Zeit der Trennung kam es den beiden jetzt vor Und Felix gestand ihr, wie er von Stunde zu Stunde auf sie gewartet und geharrt hatte, und wie er schließlich so unruhig wurde, daß er diesen Besuch bei ihr wagte.

„Bei hellichtem Tag!“ neckte er sie. „Da bin ich ganz fremd bei dir. Gelt, Schatz?“

„Ja!“ sagte Sophie trocken.

„Na ... Schatz ... was hast du denn?“ fragte Felix verwundert.

„Nichts!“ Sophie schüttelte den Kopf und wiegte sich schaukelnd in dem Stuhl. Sie hatte ein ungewöhnlich ernstes Gesicht.

„Doch!“ beharrte Felix. „Du hast etwas. Du ...“

„Ach ...“ sagte Sophie ausweichend, „es ist mir nit ganz recht, daß du zu mir gekommen bist.“

„Wegen deinem Mann?“

„Ja! Du weißt ja ... daß er jetzt so eigen ist ... so mißtrauisch. Ich möcht’ ihn erst wieder ruhiger werden lassen ... dann ...“

„Ja ... aber er ist ja jetzt gar nicht da?“ fragte Felix verständnislos.

„Nein! Aber wenn er’s erfährt?“

„Ach Kind ... du bist krank. Beim hellichten Tag! Was ist denn dabei?“

„Nix. Aber du sollst jetzt doch lieber gehen!“ drängte Sophie.

„Also geh’ ich halt gehorsamst!“ sagte Felix. „Aber ... dann mußt du morgen zu mir kommen. Willst du?“

„Ja ... Felix ...“ Sie hielt ihm ihren Mund entgegen und küßte ihn innig.

„Aber Kind ... du weinst ja?“ rief Felix erstaunt. „Was ist denn?“

Nun weinte Sophie wirklich. Ein kurzes, leidenschaftliches Schluchzen.

„Kind Sophie Schatz!“ tröstete sie Felix zärtlich. „Was ist dir denn widerfahren? Schau, sag’ mir’s doch! Quält er dich recht ... dein Mann?“

Sophie schüttelte den Kopf. „Nein!“ stieß sie hervor.

„Nicht? Ja, weshalb weinst du denn dann?“

Da barg Sophie ihren Kopf wie Schutz suchend an der Brust des Geliebten und schluchzte laut auf in wildem Schmerz. Und je länger sie weinte, desto gefaßter wurde sie. Felix beschwichtigte sie, wie man ein Kind zu trösten sucht.

Als sie ruhiger geworden war, frug er sie ernst: „Er quält dich also doch ... nicht wahr?“

Sophie nickte. Sie war froh, daß er die Lüge glaubte. Und dann war es ihr leid um den Gatten, den sie verleumdet hatte. — — —

Mit keinem Wort hatte Sophie dem Maler von dem Zustandekommen der Nationalgalerie sprechen können. Erst viel später, als die Sache schon nahe vor der Veröffentlichung war, sagte sie es ihm ...

„Und das sagst du mir erst jetzt, Sophie?“ frug Felix verwundert.

„Du hast mich ja nimmer g’fragt drum!“ gab sie ihm lustig zur Antwort.

„Ich sah, daß du nicht wohl warst, und da nahm ich mir vor ... dich nicht auch noch zu quälen. Die Sache schien dich doch aufzuregen.“

„Jetzt ist’s überstanden!“ sagte Sophie ruhig. „Gott sei Dank!“

„Und der Patscheider?“

Alle Farbe wich bei der Nennung dieses Namens aus ihrem Gesicht.

„Der Patscheider zeichnet als Gründer Fünfzigtausend!“ sprach sie ruhig.

„Ja ... Sophie ... Sophele!“ In einer wahren Ekstase des Glückes drückte sie Felix an sich. „Du bist ja eine Zauberin! Wie hast du nur

das zustande gebracht?“

Sanft löste sich Sophie aus den Armen des Geliebten und sah ihn mit ernsten Augen an. Dann nahm sie seinen Kopf in ihre Hände und küßte ihn lange und küßte ihn innig.

„Sophie ...“

„Wenn ich dich nit so gern hätt’ ...“ hauchte Sophie.

Aber nie erfuhr Felix Altwirth von dem Opfer, das Sophie Rapp um seinetwillen gebracht hatte.

Neunzehntes Kapitel.

In dem Festsaal beim „Weißen Hahn“ tagte heute die Versammlung zur Gründung einer Tiroler Nationalgalerie in Innsbruck.

Johannes Patscheider hatte Wort gehalten. Mit seiner ganzen Persönlichkeit stand er für die Sache ein. Vertrat sie mit Macht und Energie und tat alles, um den großen Plan zur baldigen Ausführung zu bringen. Für den heutigen Abend hatte er alle jene Männer eingeladen, die Namen, Rang und Titel besaßen und die er für das Gelingen des Werkes zu gewinnen hoffte.

Es war eine stattliche Anzahl von Herren, die der Aufforderung des angesehenen Bürgers Folge geleistet hatten. Herren aus allen Ständen. Hohe Beamte, Honoratioren, Professoren und Künstler des Landes.

Felix Altwirth war ebenfalls anwesend. Zwischen ihm und dem Kaufmann Patscheider hatte eine förmliche Versöhnung stattgefunden. Felix Altwirth war einmal zu Patscheider gegangen und hatte dort seine Karte hinterlassen. Das war alles gewesen. Gesprochen hatten sich die beiden nicht bis zum heutigen Abend. Und auch jetzt war die Unterredung kühl und kurz gewesen.

Doktor Rapp hatte dieselbe herbeigeführt und war Zeuge, wie die beiden Männer einander die Hände schüttelten. Es war eine so frostige Begegnung, wie der Rechtsanwalt sie nur selten gesehen hatte. Felix Altwirth dankte dem Kaufmann für sein Entgegenkommen und rühmte seine Großmut, die er durch die Stiftung einer so hohen Summe bewiesen habe.

Johannes Patscheider wehrte mit kurzen, fast schroffen Worten ab. „Ihnen zulieb hab’ ich’s nit getan, Herr Altwirth!“ sagte er mit seiner lauten Stimme, so daß es alle, die es wollten, hören konnten. „Also brauchen’s mir auch nit zu danken!“ Dann wandte er sich unvermittelt von dem Maler ab und sprach mit einigen Herren, die hinzugekommen waren.

Simon Tiefenbrunner trippelte unruhig im Saale umher. Trippelte von einer Herrengruppe zur andern und hielt sich dann wieder in der Nähe von Felix auf, der abwechselnd mit Doktor Storf und Doktor Valentin Rapp sprach.

Ängstlich wartete der Apotheker auf einen günstigen Augenblick, um sich an Felix heranzumachen. Dabei rieb er sich unausgesetzt die Hände, verbeugte sich geschäftig vor diesen und jenen Bekannten und schielte dann wieder über seinen Zwicker hinweg zu Felix Altwirth hinüber.

Frau Therese Tiefenbrunner hatte dem Gatten den strengen Auftrag erteilt, noch heute abend eine Versöhnung mit Felix anzubahnen. „Weißt, Simon, jetzt wo der Felix, unser Neffe, so berühmt wird, jetzt geht das nicht mehr, daß wir in Feindschaft von ihm getrennt leben. Jetzt müssen wir uns schon mit ihm aussöhnen!“ hatte sie gesagt.

„Ja ... aber ...“ wandte der kleine Mann zaghaft ein, „eigentlich muß das doch vom Felix ausgehen. Er hat uns doch beleidigt!“

„Er hat uns nit beleidigt, Simon! Da tust du dich wieder einmal täuschen!“ hatte die Gattin ganz energisch erwidert. „Das war sie die Frau ... die Person ... die ...“

„Alsdann muß die kommen ...“

„Nein, Simon! Das tut die nit! Da kennst du sie schlecht. Wir müssen halt denken ... das G’scheitere gibt nach! Und du schaust heut’ auf den Abend, daß du den Felix allein erwischen tust, und sagst ihm, ich lass’ ihn schön grüßen, und er kann schon einmal auf ein’ Kaffee kommen, wenn er mag!“

„Und wenn er nit mag?“ fragte der Apotheker.

Da wurde Frau Therese ungeduldig. „Ich weiß nit, Simon, wie du mir heut’ vorkommst!“ meinte sie vorwurfsvoll. „Red’ halt zuerst einmal mit ihm! Und wenn er nit kommt ... dann soll er’s bleiben lassen! Es ist mir ja nur wegen die Leut’, daß die Feindschaft ein Ende hat. Und daß man, wenn man dem Felix einmal am Weg begegnet, doch auch stehen bleiben kann bei ihm. Damit man sieht, daß man doch verwandt ist mit ihm.“

Das waren allerdings Argumente, die der Apotheker Tiefenbrunner einsehen mußte, ob er wollte oder nicht. Deshalb schlich er jetzt auch immer um die Gruppe herum, die sich nach und nach um Felix Altwirth gebildet hatte, und wartete eine Gelegenheit ab, um sich dem Doktor Storf zu nähern. Denn dieser sollte als ein alter Freund von Felix die Versöhnung zwischen Onkel und Neffen herbeiführen. So hatte es sich Simon Tiefenbrunner ausgedacht.

Der Saal füllte sich mit immer neuen Leuten. Es herrschte trotz der vorgerückten Jahreszeit eine Bruthitze in dem Raum. Ein Gewirr von Stimmen, ein Lachen und Plaudern von vielen Männern und mehr oder minder erwartungsvolle Gesichter. In der Mitte des Saales war eine kleine Tribüne errichtet. Von hier aus sollte Johannes Patscheider eine Ansprache halten, der dann die Gründung des Vereins zur Erbauung einer Tiroler Nationalgalerie folgen sollte.

Simon Tiefenbrunner glaubte jetzt den richtigen Moment gekommen, um sich mit seinem Anliegen an Doktor Storf zu wenden. „Einen Augenblick, Herr Doktor!“ Der Apotheker sagte es leise und zupfte den Arzt am Ärmel.

„Herr Tiefenbrunner?“ Doktor Storf sah erstaunt auf den Apotheker herab, der in einiger Verlegenheit vor ihm stand. Die beiden Herrn entfernten sich, um dann gleich darauf gemeinsam zu Felix zurückzukommen.

„Du, Felix!“ sagte Max Storf. „Schau, wen ich dir da bring’!“

„Ach, Onkel Tiefenbrunner!“ Ehrlich erfreut bot der Maler dem alten Herrn seine Hand. „Das ist schön, daß du auch gekommen bist. Willst du auch Mitglied werden, und trittst du als Gründer bei?“

Als wenn es zwischen ihnen nie eine Mißhelligkeit gegeben hätte, so unbefangen sprach Felix mit dem Apotheker.

„Ja, freilich! Natürlich!“ versicherte Simon Tiefenbrunner eifrig. Der kleine Mann freute sich innig darüber, daß Felix ihm die Versöhnung so leicht gemacht hatte. „Bei so was muß man schon mittun!“ sagte er mit wichtigem Gesicht. „Ein paar Tausender lassen wir da schon springen. Ich und die Tant’!“

„Das ist recht, Onkel! Es ist wirklich ein edler und vornehmer Zweck!“ sagte Felix mit leuchtenden Augen.

Da trat mit einem Male Ruhe ein im Saal. Das Stimmengewirr verflüchtigte sich. Die Gruppen lösten sich, gingen auseinander und nahmen in den Sesselreihen Platz.

Johannes Patscheider hatte jetzt die Rednerbühne betreten und stand droben, groß, wuchtig und knochig. Er machte einen schlichten Eindruck, und schlicht und einfach waren die Worte, die er sprach.

Der Kaufmann sprach von Kunst und Wissenschaft, sprach vom Aufblühen eines Landes und seinem Gedeihen, und wie es Ehrenpflicht eines jeden einzelnen sei, der sein Land wahrhaft liebe, die Kunst im Lande zu fördern ... „Darum, meine Herrn, habe ich Sie heute zu dieser Versammlung geladen, damit wir uns gemeinsam zusammentun und vereinigen zu einer großen Tat. Die Idee ist nicht meinem Gehirn entsprungen. Das wissen Sie alle, meine Herren. Dieses Verdienst gebührt einem Künstler, unserem lieben und verehrten Landsmann und Mitbürger Felix Altwirth. Und wir freuen uns, daß es ein Innsbrucker war, der mit diesem großen Gedanken, mit dieser ausdrücklichen Forderung an uns herangetreten ist. Denn es ist ein Bedürfnis im Land. Innsbruck, diese Perle der Städte, unsere liebe Heimatstadt, an der wir alle, ich möchte sagen, mit verehrungsvoller Liebe und Hingabe hängen, diese moderne, aufstrebende Stadt, die alles besitzt, was man in dem Rahmen einer solchen Stadt erwarten darf, diese Stadt hat noch nicht jenes erhabene Bauwerk aufzuweisen, in dem die bildende Kunst eine dauernde Heimstätte finden kann. Wir wollen uns das ehrlich eingestehen, meine Herren. Es i s t ein Mangel. In eine Stadt von

dem Range, in dem die Landeshauptstadt steht, gehört ein Gebäude, das nur dem Zweck der schönen Künste gewidmet ist. Daß das nicht schon besteht, ist ein Vorwurf. Ein Vorwurf für uns alle. Ich nehme mich davon nicht aus. Seit mir aber die Augen geöffnet worden sind, will ich meinen Fehler gutmachen nach Kräften. Die Landeshauptstadt soll allen Städten der Provinz als ein leuchtendes Beispiel vorangehen. Sie soll der Mittelpunkt werden eines geistigen Lebens. Der Mittelpunkt eines Kunstlebens, das in Wirklichkeit im Land existiert, dem aber nur die Führer gefehlt haben. Das, meine Herren, ist der Zweck, warum wir uns entschlossen haben, eine Tiroler Nationalgalerie zu gründen. Je größer in einem Volke die Kultur entwickelt ist, desto größer geht sein Streben und sein Sinn nach Kunst. Es ist eine heilige Pflicht für uns, daß wir dieses Streben fördern, nach Kräften fördern. Wir wollen der Welt zeigen, daß nicht nur die Großstädte dazu berechtigt sind, das Kunstleben als ihr Eigentum zu betrachten. Jede Stadt der Provinz hat ein Recht dazu, einen maßgebenden Einfluß auf diesem Gebiete auszuüben. Daß dieses oft nicht geschieht, ist eine Schuld und entspringt einem mangelnden Verständnis. Wir wollen keine solche Schuld auf uns laden. Als erste wollen wir dem Lande vorangehen, wollen zeigen, was wir können. Fördernd wollen wir eintreten in das Kunstleben unserer Stadt, und wir wollen unsern Nachkommen, unsern Kindern und Kindeskindern beweisen, daß wir nicht nur im politischen und nationalen Sinn verstanden haben zu wirken und zu handeln, daß wir nicht aufgegangen sind im kleinlichen Parteihader, sondern daß wir stets zusammengehalten haben wie ein Mann, wenn es galt, für unsere schöne, liebe Vaterstadt Großes zu schaffen, sie als erste einzureihen in das Kulturleben der Gegenwart. Und deshalb, meine Herren, weiß ich, daß ich keine Fehlbitte getan habe. Alle, wie wir da sind, werden wir beisteuern für den erhabenen Zweck, auf daß er gelinge zum Ruhme und zur Ehre der Stadt! Ich glaube aus aller Herzen zu sprechen, wenn ich Sie auffordere, mit mir einzustimmen in den begeisterten Ruf: Innsbruck, das berggekrönte Juwel des Landes ... lebe hoch ... hoch ... hoch!“

Ein brausender Jubel hallte durch den großen Saal. Von allen Seiten wurde Johannes Patscheider umringt und beglückwünscht.

Allen schüttelte er die Hand. Auch dem Maler Altwirth, der sich kaum fassen konnte vor Freude und Glück ...

Der alte Rat Leonhard war gleichfalls bei der Rede des Kaufmanns im Saale anwesend und hatte andächtig zugehört. Recht andächtig. Den Kopf auf die eine Seite geneigt, die Hände fest in der Tasche, als müsse er das Geld, das er da drinnen trug, vor einem unvorhergesehenen räuberischen Überfall beschützen, so stand der alte Herr da und sah mit stechenden, scharfen Blicken zu dem Redner hinüber.

Als der jubelnde Beifall verrauscht war und die näheren Beratungen begannen, da machte sich der alte Herr aus dem Staub, so schnell er konnte, und ging hinüber ins Herrenstübel, wo Frau Maria Buchmayr einsam und verlassen saß.

„Schon da, Herr Rat?“ fragte die Wirtin etwas erstaunt. „Hat’s Ihnen nit g’fallen drüben?“

„Naa!“ sagte der alte Herr energisch. „Gar nit!“

„Hat denn der Patscheider nit schön g’redet?“ forschte die Wirtin neugierig.

„Der hat mir zu schön g’red’t, Frau Buchmayr. Zu schön, sag’ ich Ihnen!“ Der alte Herr hob warnend seinen knochigen Zeigefinger. „Das ist nit alles echt ... wenn einer so schön red’t. Sagen’s ... ich hab’s g’sagt, Frau Buchmayr! Nit alles echt ... nit alles echt!“ nickte er dann noch ein paarmal bekräftigend vor sich hin ...

Als die Herren später in der Nacht auseinandergingen, drückte der Doktor Rapp dem Patscheider warm die Hand. „Sie sind doch a ganzer Kerl, Patscheider!“ lobte der Rechtsanwalt. „Das muß Ihnen der Neid lassen. Ich sag’s nit gern. Das wissen’s ja!“ setzte er scherzend hinzu.

Johannes Patscheider brach in ein dröhnendes Gelächter aus und klopfte dem Rechtsanwalt gönnerhaft auf die Schulter. „Ha! Ha! Ha! Ha! Herr Doktor, das geben’s gut! Ausgezeichnet! Und weil’s von Ihnen kommt, das Lob, drum freut’s mich um so mehr. Übrigens ...“ der Patscheider sah den Rechtsanwalt einen Augenblick von der Seite her lauernd an, „das Hauptlob verdient Ihre Frau. Nit ich!“

Es war etwas in dem Blick Johannes Patscheiders, das dem Rechtsanwalt mißfiel.

„Ja, meine Frau! Da haben’s recht!“ stimmte er bei. „Wenn die sich was in den Kopf setzt, dann muß sie’s auch erreichen.“

„Um jeden Preis!“ sagte der Kaufmann wie für sich.

Die beiden Herren waren ein Stück des Weges miteinander gegangen. Durch die Lauben bis zum Burggraben, da, wo die breite Museumsstraße in den Burggraben mündet. Der Mond stand im vollen Zeichen und sandte sein mildes Licht über die Innsbrucker Altstadt. Lachte freundlich herunter vom sternenbesäten, glitzernden und funkelnden Nachthimmel auf die düstere, alte Franziskanerkirche mit ihrem zum adeligen Damenstift und zur Hofburg führenden angebauten Torbogen und erhellte mit kaltem, frostigem Glanz die leicht beschneiten Bergspitzen der Nordkette.

Valentin Rapp fühlte ein inneres Unbehagen, als er neben Johannes Patscheider in erzwungen gemächlichem Gang einherschritt. Er war froh, daß sich ihre Wege nun trennten.

„Grüßen’s mir die Frau recht schön, Herr Doktor!“ sagte der Patscheider, da sie voneinander Abschied nahmen.

„Danke, Herr Patscheider!“ erwiderte Doktor Rapp trocken. Es störte ihn abermals etwas im Tonfall des andern. Was war es nur? War er schon so nervös geworden in den letzten Monaten, daß er überall Arges witterte?

„Sie, Herr Doktor ...“ Johannes Patscheider hielt die Hand des Rechtsanwaltes einen Augenblick in der seinen.

„Ja?“

„Wir sind, solang’ wir’s denken, doch immer Gegner gewesen. Nit wahr?“ sagte der Kaufmann.

„Freilich!“ gab der Advokat zu. „Und wollen’s auch bleiben! Hoffentlich noch recht lange!“ sprach er mit etwas erkünstelter Heiterkeit.

„Das hab’ ich aber nit sagen wollen!“ erwiderte der Patscheider „Ich hab’ g’meint ... wir könnten uns versöhnen ... ausgleichen ...“

„Ich mich mit Ihnen?“ Jetzt lachte Doktor Rapp wirklich herzlich heraus. „Solang’ ich leb’, nit! Das ist g’wiß!“ sagte er lustig. „Wenn Sie mich in den letzten Jahren auch heruntergedrückt haben ... es dauert nimmer lang ... dann spiel’ ich wieder die erste Geig’n!“ drohte er übermütig.

„So?“ Der Patscheider warf einen derart stechenden Blick auf seinen Gegner, dem er an Körpergröße um Kopfeslänge überlegen war, daß es dem Rechtsanwalt fast wehe tat. „Meinen’s, daß Sie das je erreichen, Herr Doktor?“ fragte der Kaufmann herausfordernd.

„Natürlich! Das werden wir schon sehen! Ich hab’ ja nix gegen Ihnen persönlich einzuwenden, Herr Patscheider ... aber wenn Sie noch weiter da regieren wie bisher ...“

„Aber Sie regieren nit! Das weiß ich!“ sagte Johannes Patscheider brutal.

„Lassen wir’s drauf ankommen, Herr Patscheider!“ forderte ihn der Rechtsanwalt kampfeslustig heraus.

„Ich rat’s Ihnen nit!“ sprach der Kaufmann drohend. „Bleiben’s lieber der ... der Sie sind ... und grüßen’s mir Ihre Frau!“

„Zum Donnerwetter noch amal!“ entfuhr es dem Rechtsanwalt jetzt zornig. „Was haben’s denn immer mit meiner Frau?“

„Was soll ich denn haben?“ tat der Patscheider unschuldig. „Einen Gruß schick’ ich ihr. Ist das vielleicht dem Herrn Gemahl nit recht?“

„Recht oder nit recht!“ erklärte Doktor Rapp mit Bestimmtheit. „Jedenfalls verbiet’ ich mir den Ton, den Sie da anschlagen, Herr Patscheider!“

„So sind’s doch nit so aufgeregt, Herr Doktor!“ beruhigte ihn der Patscheider in seinen sanftesten Tönen. „Man möcht’ schon meinen Sie wären auf mich eifersüchtig?“

„Ich auf Ihnen!“ Der Rechtsanwalt lachte ein lautes, hartes, gezwungenes Lachen, das durch die öde, menschenleere Straße unangenehm widerhallte.

„Haben auch keine Ursache, Herr Doktor! Nicht im mindesten Ursache ... versichere ich Ihnen!“ beruhigte ihn der Patscheider, und seine Stimme hatte für das gereizte Ohr des Advokaten einen widerlich speckigen Klang. Es war ihm, als entspränge dieser Ton einem Gefühl gesättigten Genusses ...

Den Rechtsanwalt Valentin Rapp trieb die Unruhe der Eifersucht durch die mondhelle, klare Oktobernacht. Mit heißem, blutüberfülltem Kopf ging er, so rasch er konnte, dem Rennweg zu. Ein kalter Wind fächelte erquickende Kühle um seine glühende Stirn.

Was hatte der Patscheider nur? Hatte er ...? Sollte Sophie ...?

Doktor Rapp wagte diesen Gedanken nicht zu Ende zu denken. Er ging immer hastiger und aufgeregter den breiten Weg entlang, der zum Inn hinüberführte. Dann folgte er dem Lauf des Flusses bis hinunter zur Kettenbrücke.

Welkes Laub raschelte müde unter seinen festen Tritten ... stöhnte auf wie im letzten Todeskampf ... und leise plätscherten die Wellen des Flusses. Silbern und hell und gleißend sah das Wasser aus in dem Mondlicht ... so gleißend und lockend ... wie das Weib des Rechtsanwalts.

Immer wieder mußte Valentin Rapp an Sophie denken. Mußte an sie denken ... wie sie ihn geliebt und umschmeichelt hatte all die Jahre seiner Ehe. Wenn sie gelogen hätte ... Wenn es wahr wäre, daß Sophie ihn betrog ... wenn ...

Und wieder konnte Doktor Rapp den Gedanken nicht fassen. Eine fürchterliche Wut war über den Mann gekommen. Ein Zorn und eine Empörung, die ihn zu allem fähig machten.

Doktor Rapp wußte jetzt nur das eine ... er durfte nicht nach Hause gehen ... jetzt nicht. Erst mußte er ruhig werden und wieder klar denken können.

Es dauerte ein paar Stunden, bis der Rechtsanwalt sein Heim am Saggen betreten konnte.

Lautlos und sachte gab er den Schlüssel ins Schloß, und leise wie ein Verbrecher schlich er sich in seine Wohnung.

Ganz sachte ... unhörbar ... ohne Laut ... Sie durfte ihn nicht entdecken ... die Ehebrecherin.

Wie eine fixe Idee hatte es den Mann befallen. In seiner erregten Phantasie stellte er sich vor, daß er sein Weib noch in dieser Nacht mit einem Buhlen überraschen müsse.

Und wenn? ...

Dann würde er sie erwürgen ... mit seinen beiden Händen. Das wußte er.

Vorsichtig, Fuß an Fuß setzend, schlich er sich von Zimmer zu Zimmer, überall hin ... ohne Licht. Bis er vor ihrem Bett stand ... ganz nahe ... dann lauschte er. Lauschte mit eingezogenem Atem. Und konnte nichts hören ... gar nichts.

Vielleicht war sie gar nicht da ... war fort ... fort ... bei ...

Der Rechtsanwalt mußte sich bei diesem Gedanken den Kopf halten und stöhnte laut auf vor innerer Qual ...

Dieses Stöhnen beunruhigte die Träume des schlafenden Weibes. Sie reckte sich und seufzte tief ... wie von einem Alp bedrückt.

Nun wußte Valentin Rapp, daß sie da war. Dies brachte ihn wieder zu ruhiger Überlegung. Mechanisch tastete er sich zum Schalter der elektrischen Lampe und drehte auf.

Der plötzliche Lichtschein weckte die Frau aus ihrem Schlaf. Verwundert schlug sie die Augen auf.

„Du ... Valentin!“ Sie lachte müde und schlaftrunken. „Bist jetzt erst kommen?“ frug sie leise.

Valentin Rapp gab keine Antwort. Er starrte wie hypnotisiert auf das in weißen Kissen ruhende Weib, das schon wieder sachte

eingeschlafen war

Eine große, mit gelbem Seidenschirm verhängte Ampel warf einen feinen Schein auf die schlafende Frau. Sophie Rapp lag da mit geschlossenen Augen und hatte den einen Arm über ihren Kopf geschlungen. Der Arm war entblößt, und mit ihm war ein Teil ihres Nackens sichtbar. Das Licht der Ampel vertiefte die Farbe ihrer bräunlichen Haut und ließ sie glatt und glänzend erscheinen wie Atlas. Das dunkle, aufgelöste Haar fiel ihr auf die halbentblößten Schultern, und ein weicher, friedsam ruhiger Zug lag auf dem sonst so lebhaften Gesicht. Die vollen üppigen Lippen waren leicht geöffnet, als sehnten sie sich nach Küssen, die sie der Müdigkeit und dem Schlaf entreißen sollten.

Als ob er sein Weib noch nie im sanften Schlummer gesehen hätte, so fest und eindringlich betrachtete Valentin Rapp jetzt die Schlafende.

Es war ein kleiner, intimer Raum, in dem das Ehepaar schlief. Geschnitzte Zirmholzmöbel in gotischem Stil waren in dem Zimmer. Ein großer, hellgelber Baldachin breitete sich an der Zimmerdecke über den beiden, knapp aneinandergestellten Betten. Dünn und zart rieselten feine weiße Spitzenvorhänge zu beiden Seiten der Betten herab, die in der Mitte des Zimmers standen. Ihnen gegenüber führten zwei hohe, breite Fenster ins Freie. Jetzt waren sie mit weißen Spitzenvorhängen auf gelbem Grund verhüllt.

Bei Tag hatte man von diesen Fenstern eine herrliche Aussicht auf das Vorgebirge der Nordkette. Sah den breiten Innfluß und die sacht ansteigenden Wiesen und Wälder. Sah aus dunklem Baumgrün den spitzen, zierlichen Turm der Weiherburg und sah die großen und kleinen Villen, die verstreut an dem Bergabhang lagerten. Und weiter wanderte der Blick bis zu dem stattlichen Dorfe Mühlau ...

Noch immer stand Valentin Rapp regungslos am Bett seines Weibes und versuchte, in ihren Zügen zu lesen.

Und wieder schlug Sophie ihre dunklen Augen auf und sah jetzt mit schelmischem Lächeln zu dem Gatten empor.

„Gehst heut’ nimmer schlafen?“ frug sie ihn dann. Es lag ein wohlig müder Ton in ihrer Stimme.

„Ja!“ Valentin Rapp sagte es kurz und rauh. Dann trat er ganz nahe an sie heran und fragte barsch: „Sophie ... was ist’s mit dir und dem Patscheider?“

Als wenn eine Viper sie gestochen hätte, so jäh schnellte das Weib bei der Nennung dieses Namens aus ihrer ruhigen Lage empor.

„W—w—a—a—s hast g’sagt?“ Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen, entsetzten Augen an.

Valentin Rapp biß die Zähne aufeinander, um seine Frau nicht anzufallen. Aber er ballte seine Fäuste krampfhaft ... bereit, sie wie die Krallen eines wilden Tieres dem Weib ins Fleisch zu setzen.

„Was hast du mit dem Patscheider g’habt?“ frug er mit fester, gebieterischer Stimme.

„Der Patscheider ...“ Sophie hielt sich den Arm vor die Stirn wie ein Kind, das Züchtigung fürchtet, und sah flehend zu dem Gatten auf.

„Red’ ... Weib? Was ist?“ fuhr sie der Rechtsanwalt an. Nur mit dem Aufgebot seiner ganzen Kraft konnte er noch an sich halten.

„Ich ... ich versteh’ ... dich nit!“ stotterte Sophie angsterfüllt. „Ich ... ich ...“

„Also war’s etwas ... red’?“

Der Zweifel, der in dieser Frage lag, gab Sophie einen Schimmer von Hoffnung. Er wußte es also nicht bestimmt. Da konnte sie leugnen. Mußte lügen ... um seinetwillen und um ihretwillen.

„Wie du mich erschreckt hast ... Valentin ...“ sagte sie jetzt leise. Es lag ein fast kindlich weicher, rührender Ton in ihrer Stimme. „So mitten in der Nacht ... und aus dem Schlaf heraus ... Und so grob bist mit mir, Valentin!“ klagte sie leise und legte sich wieder in ihre Kissen zurück. Ein krampfhaftes Zucken bebte um ihre Lippen.

„Du sollst mir antworten!“ sagte Valentin Rapp fest. Er war jetzt doch unwillkürlich milder geworden in seinem Ton.

„Manndi ...“ Sophie tastete mit leicht zitternden Händen nach der Hand des Gatten. „Wie kannst du mich nur so etwas Dummes fragen!“ sprach sie mit sanftem Vorwurf.

„Der Patscheider ...“

„Komm Mannderl laß den Patscheider! I will nix mehr hören von ihm! Es tut mir weh!“ sagte Sophie weinerlich. Und sie heuchelte nicht. Es tat ihr weh, diesen Namen zu hören.

„Er hat von dir geredet ...“ stieß Valentin Rapp hervor.

„Der Schuft!“ schimpfte sie und krümmte sich wie im Ekel zusammen.

Mit unsicherem Blick sah Valentin Rapp auf sein Weib. Daß sie mit so ehrlichem Abscheu von dem Patscheider sprach, beruhigte ihn.

„Also ... war nix ...?“ frug er nach einer kleinen Pause.

Sophie schüttelte den Kopf. „Nein!“ sagte sie gepreßt.

„Ist’s wahr?“ Mit festem Blick sah er der Frau in die Augen. Sie hielt den Blick aus.

„Ja!“ sagte sie laut und bestimmt.

„Dann hat er mich bloß ärgern wollen ... der Schuft!“ machte der Rechtsanwalt erleichtert.

„Freilich, das wird’s sein!“ gab Sophie mit tonloser Stimme zu. „Nur ärgern!“

„Das will ich ihm aber ankreiden ... dem ...“ drohte Valentin Rapp empört.

Frau Sophie Rapp hatte noch lange zu tun, um das Klopfen ihres Herzens zu beruhigen. Sie mußte ruhig werden ... so ruhig, daß sie mit Leichtigkeit auch die letzten Zweifel aus der Seele des Gatten verscheuchen konnte.

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