85 Fragen an Balduin Sulzer zum 85. Geburtstag

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Norbert Trawรถger

85 Fragen an Balduin Sulzer zum 85. Geburtstag

eNTerveNTion #2


eNTerveNTion - eine schriftenreihe mit akzeNTen, fragmeNTen, eNTdeckungen ... von eNTe / Norbert Trawรถger


Viele Gespräche habe ich nicht nur als Biograf - über die Jahre mit Balduin Sulzer geführt. Er kann mindestens genauso gut zuhören, wie mit einer zufällig scheinenden und lächelnden Randbemerkung eine Welt eröffnen. Ob man diese betritt, bleibt einem ganz selbst überlassen. Zum 85. Geburtstag stelle ich Balduin Sulzer erstmals gründlich vorbereitete Fragen. 85 Fragen mussten es sein und keine traf ihn unvorbereitet. Sie dürfen mitlachen, eintreten und auch beides gleichzeitig.


1. Alberto Giacomettis angeblich letzte Worte waren: »Bis morgen!«, Goethe soll »Mehr Licht!« gesagt haben, Thomas Bernhard meinte, es müsse »Mehr nicht« geheißen haben — Du hast mir vor sieben Jahren gesagt, Deine könnten »Consumatum est« sein. Hat sich an diesem Vorhaben etwas geändert? Überhaupt nicht, ich bin froh, wenn es einmal aufhört. 2. Ist der Genuss das Wichtigste im Leben? Nein, aber er soll teilweise vorhanden sein. 3. Schweinsbraten oder Sushi? Beides. 4. Most oder Champagner? Auch beides. 5. Zahlt sich für so manchen Genuss ein Kater aus?

Ja, wenn es unvermeidbar ist, ist mir der Kater lie-


ber als das Einsparen des Genusses. 6. Da sind wir bei Deinen geliebten Katzen. Hättest Du gerne mehr lebende um Dich gehabt? Katzen sind liebe Viecher und ich habe überall Kalender mit Katzen aufgehängt. Mit Katzen kann ich mich irgendwie verständigen, obwohl ich keine schönen Reden halte. Die Katzen brauchst du nur anzuschauen und sie verstehen dich. Aber lebende würden mich zuviel ablenken. 7. Was ist für Dich das vollkommene irdische Glück?

(Lacht)

8. Ist Vollkommenheit etwas Erstrebenswertes? Erstrebenswert schon, ob sie erreichbar ist, weiß ich nicht. 9. Heißt Vollkommenheit auch Perfektion? Diese gehört im weitesten Sinn dazu.


10. Welche Fehler entschuldigst Du am ehesten?

Ich weiß nicht, ob ein Fehler überhaupt etwas entschuldbares ist. Ich glaube nicht. Die Fehler gehören zum Leben, zur Existenz dazu. Das ist wie Thesis und Antithesis. Der liebe Gott wäre ohne Teufel nicht, was er eigentlich mit dem Teufel ist. Man muss das Gegenteil haben: forte und piano, Schnee und Regen, Licht und Dunkelheit … Es ist etwas gefährlich, das Gegenteil von etwas Akzeptiertem als Fehler zu bezeichnen. Die Antithese ist so wichtig wie die These, aber es kann sein, dass ich morgen was anderes glaube.

11. Geht es im Leben auch um Leidenschaft? Das ist eine Temperamentsangelegenheit, aber die Leidenschaft ist etwas, ohne die man meines Erachtens nicht ganz auskommt.


12. Muss es immer wieder auch weh tun? Wenn es nicht anders geht. Wenn man das »es tut weh« zur Kenntnis nimmt, macht man was richtiges. 13. Zwei Zitate: Glücklich ist wer vergisst. Die Zeit ist ein sonderbar Ding. Welches bevorzugst Du? Die Zeit ist ein sonderbar Ding. 14. Johann Strauss oder Richard Strauss? Natürlich muss ich in meiner Stellung den Richard Strauss bevorzugen, obwohl der Johann Strauss auch nicht schlecht war. 15. Jeder Klang verklingt. Wie ist Dein Verhältnis zur Vergänglichkeit? Ich bin froh, wenn die Vergänglichkeit eintritt. 16. Hast Du vor etwas Angst? Vor meiner endgültigen Verblödung.


17. Was ist die vorletzte Sache, die Du tun mรถchtest?


Ate m ho len fĂźr die letz te.


18. Was kommt dann? Ich muss ehrlich sagen, ich glaube, dass es noch weitergeht. Ich habe zwar angefangen, aber aufhören tue ich nie. Das gehört zu meinem Glaubensbereich dazu: »et vitam venturi saeculi« (das Leben der kommenden Welt) heißt es am Schluss des Credo. 19. Wie lange dauert die ewige Existenz? Die hört nicht auf. 20. Himmel oder Hölle? Es ist beides in Aussicht gestellt, der Himmel ist die These und die Hölle ist die Antithese. In einem Ideenbereich gibt es beide, mir ist natürlich der Himmel lieber, dort ist es angenehmer. 21. Ist Gott ein lachender Gott? Auch, gelegentlich schon. 22. Bist du ein Optimist oder ein Pragmatiker?

Ist das nicht dasselbe?


23. Wenn Du Dich entscheiden müsstest, Rhythmus oder Melodie? Zur Zeit ist es so, dass ich mich für den Rhythmus entscheiden würde. 24. Welche Eigenschaften schätzt Du an einer/m Musiker/in am meisten? Dass sie oder er das spielen kann, was am Notenblatt steht. 25. Welche Eigenschaften schätzt Du an einem Menschen am meisten? Dass er sich mit Vorkommnissen seiner Umwelt zurecht findet. 26. Hat jede, jeder Talent? Ich glaube schon. 27. Was braucht es für die Entwicklung von Talent? Training! 28. Brauchen Lehrer gute Nasen? Wenn man unter guter Nase versteht, dass er einen Blick für die Umstände hat, unter denen sein Schüler arbeitet. Wenn er den Blick hat, dann hat er eine gute Nase und die ist notwendig.


29. Welche Rolle ist Dir lieber, Dompteur oder Spieler? Je nach Notwendigkeit, die im Augenblick gegeben ist. 30. Akrobat oder Clown? Beides. 31. Was magst Du am Akrobaten? Dass er ordentlich hupfen kann. 32. Und am Clown? Dass er die Hupferei anerkennt. 33. Wie wichtig ist Spielen? Sehr wichtig, weil es Geist und Körper in Bewegung hält. 34. Kann ein Zirkusbesuch auch ein Gottesdienst sein? Wenn ich es jetzt nicht genau erklären muss, glaube ich schon. 35. Wie wichtig ist Frömmigkeit? Wichtig würde ich nicht sagen, aber wenn sie da ist, kann man sie lassen. 36. Thomas von Aquin oder Thomas Bernhard? Thomas von Aquin hat auf jeden


Fall genug zu Essen gehabt. Ich war schon bei seinem Esstisch und bei diesem ist die Tischplatte eingeschnitten, damit sein Bauch Platz hatte. Das gefällt mir am Thomas von Aquin, dass er sich nicht zurückhalten hat müssen, wenn er Hunger gehabt hat. 37. Deine gung?

Lieblingsbeschäfti-

Warten auf bessere Zeiten. 38. Wie schaut der schönste Urlaub aus? Da bin ich überfragt, ich bin schon lange nicht mehr auf Urlaub gewesen.


39. Magst Du das Wort Ruhestand? Stehen mag ich in der Ruhe nicht, da setze ich mich lieber nieder. 40. Was ist eine Grundvoraussetzung für Kreativität? Dass man hungrig nach Neuem ist. 41. Wie wichtig ist Unruhe für die Kreativität? Ich glaube, das ist die wichtigste Voraussetzung. 42. Braucht es dabei Rituale? Die sind nicht notwendig, aber wer es sich einbildet, der soll ruhig ein Ritual anwenden. 43. Braucht der Mensch Rituale? Es ist manchmal günstig, wenn man Rituale einhalten muss, diese wahren die Disziplin, die man für eine Weiterentwicklung pflegen muss. 44. Wie wichtig ist äußerer Druck im Leben? Es ist im Einzelfall unterschiedlich, aber wenn man hin und wieder einen Tritt in den Hintern kriegt, schadet das nicht.


45. Was ist Karriere? Wenn man sich bewusst auf ein Ziel zubewegt und dieses nahezu erreicht. 46. Wer ist der größte Held in der Geschichte für Dich? Caesar. 47. Warum? Weil er sich von seinem Sohn Brutus erschlagen hat lassen. »Auch du, mein Sohn Brutus?« 48. Wer sind die Helden der Gegenwart? Wenn ich bei uns in Linz schaue, die Leute im Brucknerhaus und im Theater sind eigentlich lauter Helden. 49. Bist Du ein Held? Ich bin weder im Brucknerhaus noch im Theater beschäftigt, aber wenn ich dort aufgeführt werde, fühle ich mich schon als Held. 50. Wärst Du gerne wieder jung? Nein, das war ich schon zu lange.




51. Beunruhigen Dich die Entwicklungen unserer Tage? Nein, aber nicht deswegen, weil sie nicht schlimm wären, sondern weil mir das Interesse fehlt. Ich selber bin nicht beteiligt, bin weder in der Politik noch sonst irgendwo. So ist mein Interesse nicht so heftig, wie es vielleicht sein sollte. 52. Was ist wichtiger, die Vergangenheit oder die Zukunft?

Die Zukunft!

53. Bist Du ein Mensch, der im Augenblick lebt?

Im Augenblick lebe ich.

Ich lebe nicht in der Vergangenheit, bin zwar ein gelernter Historiker, aber nur so nebenher. 54. Wie wichtig ist Beten? Manchmal ist es zur eigenen Beruhigung wichtig. Es heiĂ&#x;t nicht, dass dies immer was nutzt. Jetzt schneit es gerade und wenn ich jetzt dafĂźr bete, dass es regnet. Regnen tut es sowieso in


zwei, drei Tagen, aber dies ist nicht eine Folge des Betens. 55. Welche natürliche Gabe möchtest Du besitzen? Gescheit sein. 56. Sind Ratschläge gut? Manchmal schon. (Lacht) 57. Hast Du ein Lebensmotto? Als ich klein war, habe ich nicht gewusst, was ein Motto ist. Als ich dann größer war, hat sich eh alles von selbst ergeben, ich bin in verschiedene Schulen gekommen, habe Aufnahmeprüfungen gemacht und habe dann später meine Berufssachen erledigt. Wie hat die Frage geheißen? Hast Du ein Lebensmotto?

ich tue das, was sein soll. Nein,

58. Zu welcher Tages- oder Nachtzeit schläfst Du am liebsten? Schlafen tue ich eigentlich immer. Ich habe es sogar schon im fahrenden Auto probiert. Es ist aber nicht weiterzuempfehlen.


59. Wann bist Du am produktivsten? Ich versuche immer dann, wenn ich Notenpapier, Bleistift und Radiergummi in der Hand habe, produktiv zu sein. Ob das dann wirklich immer eine Produktivität ist, weiß ich nicht genau. Wenn man die Sachen in 500 Jahren aufführt, sieht man, ob es sich ausgezahlt hat. 60. Ist ein gespitzter Bleistift eine Voraussetzung für Dein Komponieren? Gespitzt muss er sein, sonst werden die Notenköpfe nicht ganz klar. 61. Beunruhigt Dich, wenn der Radiergummi fehlt?

Wenn der fehlt, fange ich gar nicht an. 62. Bereust Du etwas? Man macht manchmal einen Blöd-


sinn, aber im Nachhinein stellt sich heraus, dass der Blödsinn eh nicht so arg war. Darum bereue ich es lieber nicht. 63. Was willst Du unbedingt noch machen? Einen gescheiten Sarg kriegen, wenn es soweit ist. 64. Welche Reform bewunderst Du am meisten? Was ich mir unter Reform vorstelle, sind lauter historische Vorgänge, die vorbei sind und mich unmittelbar nicht mehr berühren, daher bewundere ich keine. 65. Ist die Aufklärung längst abgeschlossen? Aufklären ist jeden Tag anders. 66. Ist Lachenkönnen eine Gabe oder Disziplin? Lachen ist an sich eine Gabe, aber »lachen« wird unter Umständen disziplinär einzuschätzen sein.


67. Was ist Dein Lieblingsstück? Ich will nicht mit Bach anfangen, weil da fangen alle an. Da passe ich lieber. 68. Hast Du ein Lieblingsstück unter Deinen Kompositionen? Ich habe nur Lieblingsstücke gemacht. 69. Thomas von Aquin oder Karl May? Karl May. Ich habe mehr Karl May gelesen als Thomas von Aquin. 70. Ist es schwer für Dich, Entscheidungen zu treffen? Kommt darauf an. Die Entscheidung, ob ich Hasenfutter oder einen Schweinsbraten esse, ist einfach. Im Zweifel für das

Unbekannte.

71. Was treibt Dich fast täglich ins Konzert, in die Oper? Eine gewisse Neugierde, weniger der Inhalt der Oper, der ist immer der gleiche. Es verlieben sich falsche ineinander und dies geht eine halbe oder fünfeinhalb Stunden durcheinander und


am Ende stehen die echten Paare an der Rampe und lassen sich beklatschen. Wie war die Frage? Was treibt Dich fast täglich ins Konzert, in die Oper? Eher die musikalischen Leistungen. 72. Wenn Du Dich entscheiden müsstest: Konzert oder Oper? Bisher habe ich die Oper sehr bevorzugt. 73. Braucht das Konzert neue Räume? Ich weiß nicht, ob die Stücke durch neue Räume besser werden. Rein theatermässig ist es sicher gut, wenn das Theater eine Auslaufmöglichkeit hat. 74. Was vermisst Du im heutigen Konzertbetrieb?

Manchmal das Publikum. 75. Braucht der Mensch der Gegenwart andere Erlebnisräume und -formen? Das sind ästhetische Dinge, die sehr subjektiv sind.


76. Was ist Dein größter Fehler?

Ich habe nur Fehler, bin aber glücklich, dass ich trotz meiner Fehler 85 Jahre alt geworden bin.

77. Soll man seine Stärken oder Schwächen fördern? Die Stärken fördern und die Schwächen zur Kenntnis nehmen. 78. Ist Improvisation eine Gabe? Ja, aber eine notwendige Gabe, die jede, jeder haben muss, wenn auch nicht auf der Orgel oder dem Klavier. Mit dem fertig werden, was sich einstellt, auch mit Überraschungen, verlangt Im-


provisation. 79. Wäre ein Klonen möglich, wie oft soll es Dich geben? Ich bin mir allein schon genug. 80. Braucht jeder Mensch die Kunst? Brauchen ist übertrieben, aber es soll jeder Mensch mit der Kunst etwas anfangen können, weil er das Hirn und die Gefühle intensiver einsetzen muss und sich mit der eigenen Psychologie beschäftigen kann. Das sollte keiner auslassen. 81. Brauchen wir Religion? Brauchen ist auch wieder zu viel gesagt. Ein nachdenkender Mensch wird nicht daran vorbeikommen, dass er über seinen Anfang und sein Ende und was dazwischen liegt spekuliert, sagen wir lieber spintisiert. Obwohl ich, wie ich vorher gesagt habe, an kein Ende glaube. Insofern ist Religion ein Begriff, der sehr richtungsweisend ist. Am Begriff liegt mir nicht so viel, eher an dem, was dahinter steckt.


82. Kann man Gott beweisen? Was ist ein Beweis? Ich kann natürlich sagen, dass die Existenzplanung alles Zufall ist. Aber was ist dann Zufall. Für mich persönlich, dies ist aber rein subjektiv gemeint, geht das Früher und das Später auf eine Existenzplanung zurück, hinter der ich einen Gott vermute, ich brauche gar nicht zu sagen, ich glaube, ich vermute. 83. Neugierige Leute sterben bald! Stimmt das Sprichwort? Ich habe noch keine Beispiele dafür kennengelernt. 84. Wie würdest Du Deine gegenwärtige Geistesverfassung beschreiben? Schrecklich! (Lacht) 85. Worauf kommt es an? Dass man mit den Dingen, mit denen man im Alltag zu tun hat, in einer positiven Art fertig wird, dass weder ich selbst noch die Umgebung drunter leidet oder blaue Flecken davonträgt.


Wilhering, am 4. Jänner 2017



Als Komponist hat Balduin Sulzer eine Fangemeinde, die bis Japan reicht. Sein Schüler Franz Welser-Möst spricht von einem Phänomen. Auch für viele andere war »der Herr Lehrer« am Linzer Musikgymnasium eine prägende, begeisternde und oft wegweisende Leitfigur. Ehemaliger Domkapellmeister, Organist, für den »Grammy« nominierter Chorleiter, Zisterzienser-Chorherr oder Musikrezensent: Ohne sein vielfältiges Wirken wäre nicht nur die oberösterreichische Landschaft um viele Klangfarben ärmer. Unverwechselbar sind auch seine Physiognomie und sein Humor. Am 15. März 2017 feiert Sulzer seinen 85. Geburtstag. www.balduinsulzer.at


„You don‘t look like a classical musician!“ meinte der belgische Journalist Philippe Manche über Norbert Trawöger (*1971), der aus einer Familie stammt, bei der schon Franz Schubert „höchst ungeniert“ zu Gast war. Der spielende, lehrende, schreibende und gestaltende Musiker studierte (meistens) Flöte in Wien, Graz, Göteborg, Amsterdam und Zürich (EMAA). 2010 erschien sein Buch über den Komponisten Balduin Sulzer, das mit dem Ö1 Pasticcio-Preis ausgezeichnet wurde. Seit Mai 2013 ist er Salonintendant des Linzer Kepler Salon und war auch schon einmal Zirkusdirektor (Kinderklangwolke). Seit heuer ist er Leiter der Kommunikation & Entwicklung des Bruckner Orchester Linz und Sprecher des designierten Chefdirigenten Markus Poschner. www.ente.me


Ein Projekt von Norbert Trawöger (Idee, Text) und Andrea Bauer (Gestaltung) www.andreabauer.net Bildnachweise: 16-17, Reinhard Winkler 32 „Für Norbert“, Wolfgang Maria Reiter, 2013 Impressum Für den Inhalt verantwortlich: Norbert Trawöger, 4600 Wels, 2017.