junge gemeinde 205 - frühjahr 2013

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jg#205 : 2013

„Eine üppige Schambehaarung steht dort für Fruchtbarkeit und damit für Attraktivität“, sagt er. Das in der westlichen Gesellschaft gängige Schönheitsideal verlangt das Gegenteil: Hier wird gestutzt, rasiert, gewachst. Da die Haare der Koreaner generell eher fein und dünn sind, gilt der Gedanke: je mehr, desto besser – egal wo. Die so unterschiedlichen Vorlieben erklärt Fatemi einmal mehr mit dem Wunsch nach dem, was man gerade nicht hat. „Ein kulturell gewachsener Trend“ sei dieses Phänomen, meint Fatemi, auch wenn uns das seltsam vorkomme. Seltsam erscheint es auch, dass gerade im Mittleren Osten, wo immer noch häufig der Zwang zur Verschleierung herrscht, die Zahl der Schönheitsoperationen in den letzten Jahren rapide ansteigt. Das Phänomen, dass auch die Körperteile, die nicht der Öffentlichkeit preisgegeben werden, verschönert werden sollen, Deshalb verwenden viele Asiaten Hautcremes mit Bleichmitteln, die die Pigmentierung zerstören – und leider häufig Krebs erzeu-

liebe für Schönheitsoperationen scheint äußerlich betrachtet im

gen. Auch der Sonnenschirm ist immer dabei. Ganz anders in

Widerspruch zur Kultur dieser Länder zu stehen“, meint er. „Der

den westlichen Kulturen: Bräune ist sexy, weil sie für die Welt au-

Grund dafür ist vielleicht ihr ausgeprägter Sinn für Ästhetik.“

ßerhalb des verstaubten Büros steht, für Sonne, Strand und Meer, für Lebensfreude, Unabhängigkeit und Freiheit. Dass das Bild von Schönheit immer mit den gesellschaftli-

Schönheitsoperationen – beliebt, aber verachtet In Deutschland sind Eingriffe wie Faltenbehandlung, Laserbe-

chen Verhältnissen der jeweiligen Kultur zusammenhängt, zeigt

handlungen des Gesichts, Brustverkleinerung, Brustvergröße-

sich auch in Amerika. „Bei den brasilianischen Frauen“, erklärt

rung, Korrekturen von Nase, Augenlid und Ohren immer noch

Fatemi, „galt es lange Zeit als schick, kleine Brüste zu haben.“

verpönt. Im europäischen Vergleich gehen insbesondere die

Große Brüste waren ein Hinweis auf die ethnische Herkunft

Italiener und die Spanier dagegen recht locker mit dieser The-

und damit „Ausdruck der ärmeren Gesellschaft“. Die weiße, die

matik um.

reiche Bevölkerungsschicht brüstete sich mit einer geringeren

Ein einheitliches Schönheitsideal existiert also nicht – ob-

Oberweite. In den USA war und ist es genau umgekehrt – denn

wohl die Welt immer dichter zusammenrückt. Dennoch gibt es

mit Geld kann man sich bekanntlich vieles kaufen, unter ande-

eine Art Basis der Schönheit, Grundprinzipien, die über die Kul-

rem die gewünschte Körbchengröße.

turen und Individuen hinweg stets als schön galten und gelten.

Doch auch im Wandel einer Kultur definieren sich Schön-

So wünschen sich beispielsweise Europäer ebenso wie Asiaten

heitstrends: „Heute lassen sich die Brasilianerinnen die Ober-

eine gerade und schmale Nase. Nur, dass sich die Maßnahmen,

weite eher vergrößern als verkleinern – und passen sich den

die für diesen Wunsch erforderlich sind, unterscheiden. Das Er-

Maßstäben Europas und Nordamerikas an“, sagt Fatemi. Solche

gebnis: Asiaten und Europäer haben dieselben Nasen – Globali-

Maßstäbe funktionieren aber nicht nur innerhalb einzelner Kul-

sierung deluxe.

turen. Immer noch gilt die westliche Gesellschaft weltweit als

Abgesehen von kulturellen Unterschieden: Auch die Zeit be-

Symbol für Wohlstand und hat eine Vorbildsfunktion, die sich

einflusst den Geschmack und die Schönheitsideale der Gesell-

auf das Schönheitsbild vieler anderen Kulturen auswirkt.

schaft: Jahrelang galt das Muttermal im Gesicht von Brigit Bardot

„Asien schielt nach den westlichen Standards“, erläutert Fa-

und Cindy Crawford als erotisches Markenzeichen. Sarah Jessica

temi. Eine der bei Männern wie auch Frauen beliebtesten Ope-

Parker hat auch so eines – und hat es sich kürzlich entfernen lassen.

rationen ist die plastische Lidkorrektur: Die Augen werden run-

Doch ästhetische Korrekturen erhöhen die Zufriedenheit mit

der, größer – westlicher. Viele Asiaten würden ihr Aussehen der

dem eigenen Aussehen nicht automatisch. So belegen Umfragen,

Europäern angleichen. Und so lassen sich auch Afroamerikaner

dass jede(r) mit dem Ergebnis unzufrieden ist. In den meisten

ihre Haarpracht entkräuseln, im Iran steigt die Zahl der Nasen-

Fällen hatten die Patienten wohl einfach zu hohe Erwartungen.

operationen: Die Welt orientiert sich gen Westen.

Sich selbst anzunehmen, wie man ist, wäre in diesem Fall die

Die eigenen, kulturbedingten Schönheitsideale bleiben dennoch erhalten – und verblüffen bisweilen durch Gegensätzlichkeit. In Korea beispielsweise, weiß Fatemi, lassen sich Frauen einen Teil der Kopfbehaarung in die Intimzone transplantieren.

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beobachtete Fatemi vor allem in Iran und im Libanon. „Die Vor-

i-motion

bessere Option gewesen. Ines Schipperges und Violetta Simon / Süddeutsche Zeitung (17. Mai 2010) http://www.sueddeutsche.de/leben/ schoenheitsideale-der-kulturen-bin-ich-nicht-schoen-1.204145


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