COR - The Local Magazine (DE Ausgabe 2/2019)

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geben wird. Streng sind die Auflagen, die ein Hausbesitzer beachten muss, wenn er sein Haus umbaut. Mittlerweile sind fast alle Altstadthäuser liebevoll renoviert worden, sodass sie ein schmuckes Gesamtbild bieten. Sie stehen sich so eng gegenüber, dass ein deutscher Reisereporter 1867 meinte, ein großer Bader mit „besonders langen Armen“ könne dem gegenüber wohnenden Nachbarn mühelos von Fenster zu Fenster den Bart scheren. Heute wird diese Enge genutzt, um Seile von einer Seite zur anderen zu spannen und die Gasse in luftiger Höhe mit bunten Tupfern wie Schirmen oder Fahnen zu beleben. Unten auf der Straße laden indessen kleine Geschäfte zum Einkaufen ein, zu persönlicher Beratung und zu einer herzhaften Plauderei mit dem Besitzer. Beeindruckend ist die schwarze Tür am herrschaftlich weißgetünchten Haus in der Mitte der Oberstadt; kohlschwarz ist sie von der Beize, die die Besitzer zum Schutz aufgetragen haben. Zwei Wappen an der Tür weisen darauf hin, dass das Haus einst im Besitz des Bischofs war und dieser es der Stadt als Rat- und Schulhaus schenkte. Der linksgeneigte Schlüssel im Klausner Wappen spricht für sich: Wer Zoll bezahlte, dem wurden die Stadttore geöffnet, wer kein Geld hatte, dem blieb sie verschlossen. Das andere Wappen verweist mit dem Lamm und dem Kreuz in der Fahne auf den Bischof von Brixen, dem Klausen bis zur Säkularisation 1803 direkt unterstand, wie auch die farbenfrohen Fresken mit den Bischofswappen auf dem Zollhaus nahe dem Brixner Tor eindrucksvoll unterstreichen.

T H E L O C A L M AG A Z I N E

Die Häuser in der Oberstadt sind geschichtsträchtig: das an die Apostelkirche angeschlossene Rathaus, das Schulhaus, das 1912 aus drei ehemaligen Häusern entstand, das Neustift’sche Haus, das um 1900 als Gasthof „zum Schlüssel“ fungierte, das Altlöwenhaus mit seinen Wappenmalereien und spitzbogenartigen Türen, das Frühmesnerhaus, das die Familie Rabensteiner kürzlich renoviert hat, das alte Gerichtsgebäude, das einst den Edelleuten von Villanders gehörte, das Brunnerhaus mit der kunstvollen hölzernen Eingangstür und viele mehr. Alle haben spannende Geschichten zu erzählen. Doch die Oberstadt lebt nicht nur von der Vergangenheit. Neben Kaufleuten und Gastwirten betreiben hier immer noch Handwerker ihr altes Gewerbe: die Mair Gretl als Goldschmiedin, die Delmonego Nora als junge Maßschusterin und der Plieger Hermann als Kunstschlosser. Mit offenen Augen durch die Klausner Altstadt zu bummeln bedeutet, sich auf die Spuren der Künstlerkolonie zu begeben, die dem liebenswerten Reiz der mittelalterlichen Baustruktur und dem Charme der geselligen Klausner von Anfang an erlag.

In der engen Klausner Stadtgasse, die jede Kutsche auf dem Weg durchs Tal passieren musste, waren Balkone verboten. Dafür hat jedes der pastellfarbenen Häuser Erker für den Lichteinfall und als Ausblick über die Gasse.

Die Autorin Maria Gall Prader, geboren 1955, studierte Bildungswissenschaften und Deutsch als Zweitsprache, anschließend absolvierte sie ein Forschungsdoktorat in Allgemeiner Pädagogik, Didaktik und Sozialpädagogik. Sie arbeitet als Dozentin, Forschungsbeauftragte, Touristenführerin und Autorin. Zuletzt erschien: „Klausen gestern und heit – 30 bsundere Leit“ im Athesia-Verlag.


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