zum Titelthema
Nichtwissen – Die Kraft der Gegenwart Die Liebe sagt, ich bin alles. Die Weisheit sagt, ich bin nichts. Die Ordnung sagt, nichts ist alles und in allem! (in Anlehnung an eine buddhistische Weisheit)
Wenn wir etwas von tiefer Weisheit lesen oder hören, sind wir sofort in der Tiefe unseres Seins berührt. Worte von Weisheit sind einfach, nicht simpel. Zwischen einfach und simpel liegen Welten. „Nichtwissen“ ist so ein Wort, das über die Verbindung von Nicht und Wissen ein Fingerzeig von großer Weisheit ist. Worauf weist uns das Nichtwissen hin? Es zeigt auf unsere Wirklichkeit in seiner universellen (Nicht) und seiner individuellen (Wissen) Dimension. Nichtwissen lädt uns ein in den Spiegel zu schauen. Was kann schon passieren, wenn wir dieser Einladung folgen? Das Schlimmste und zugleich Erhabenste, was passieren kann, ist, das sich unser kleines ICH vor unseren Augen auflöst und nichts bleibt, an dem wir uns festhalten könnten. Das ist wider unsere Überlebens-Instinkte. „Wissen“ verweist uns auf unser Mensch-Sein. Auf die Welt der Erscheinungen, die das Leben in mannigfaltigen Formen hervorbringt. Sie ist der Zeit und einem permanenten Wandel unterworfen. Hineingeboren in eine Welt der Veränderung, mühen wir uns mit dem Wandel Schritt zu halten. Dieser Wandel durchzieht alle Lebensbereiche, privat und beruflich. In manchen Berufsfeldern sind die Veränderungen so gravierend, dass wir ganz schnell den Anschluss verpassen, wenn wir nicht auf dem Laufenden bleiben. Wissen ist Macht in der Welt der Dinge. Doch irgendwann schwant uns, dass wir diesen Wettlauf mit der Zeit nicht gewinnen können, dass unser Wissen uns keineswegs vor den Wechselfällen des Lebens bewahren kann, und vor allem, dass uns Wissen nicht weiterbringt, wenn wir darauf aus sind, unsere tiefere Wirklichkeit zu erforschen. So wird das Leben selbst zum Lehrmeister für das Nichtwissen. Doch was lehrt es uns?
06
Zum einen lehrt uns das Leben, dass es sich nicht kontrollieren lässt. Wir haben es nicht in der Hand einfach JA 10-11/2018
und müssen früher oder später anerkennen, dass alles, was gehen kann, auch gehen wird. Mit jedem Verlust, den wir erleiden, mit jeder traumatisierenden Erfahrung, die wir durchmachen, werden wir in unserem mentalen Selbstgefühl zutiefst erschüttert. Doch in jedem Leid ist bereits der Samen für ein großes Glück enthalten. Denn über die Erschütterung des mentalen Selbstgefühls eröffnet sich eine unglaublich große Chance, die Vorstellung von „Ich und mein Leben“ als eine Illusion des Verstandes zu erkennen und so den Bewusstseinswandel vom Denken zum Sein zu vollziehen. Die Unendliche Geschichte von Michael Ende verdeutlicht anschaulich, dass es letztendlich bedeutet, aus den Kinderschuhen herauszuwachsen, wirklich erwachsen zu werden und sich der Angst vor der vollkommenen Auslöschung durch das übermächtige NICHTS zu stellen. Würden wir in unserem Mensch-Sein kein Leid erfahren, dann würden wir uns vermutlich auch keinen grundlegenden existenziellen Fragen stellen. Stellen wir uns existenzielle Fragen nach dem, was wir sind, erfahren wir hautnah, dass das Nichtwissen die Grenzen des Wissens markiert. Hier besteht eine große Versuchung, alte, brüchig gewordene Gewissheiten durch neue zu ersetzen. Dann halten wir weiter an der Vorstellung von „Ich und mein Leben“ fest, verbleiben im Gefühl des Abgetrenntseins, fühlen uns immer noch von der Welt bedroht und halten immer noch das, was wir über uns und die Welt denken, für die Wirklichkeit – nur mit anderem Vorzeichen. Egal welche Gedanken uns einfallen, wir verwechseln immer noch unsere Lebenssituation mit dem Leben. So tun wir uns schwer mit Veränderungen und verschwenden unsere Kraft damit, uns an Baustellen abzuarbeiten, die nur noch in unserer Vorstellung existieren. Das bindet uns wiederum an unsere Geschichte und Geschichten. Ein Kreislauf des Leidens, der nur durchbrochen werden kann, wenn wir es wagen, alles fallen zu lassen, was wir von uns und der Welt zu wissen glauben. „Sind die Fensterläden geschlossen, kann kein Licht durchdringen“ stellt Eckhart Tolle nüchtern fest. Doch wie viele Ehrenrunden sind nötig, bis erkannt