zum Titelthema
Die Suche nach Vision – warum Männer heute noch Initiation brauchen „Heilung bedeutet, dass der Mensch erfährt, was ihn trägt, wenn alles andere aufhört, ihn zu tragen.“ Wolfram von Eschenbach
Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts. Männer heute. Natürlich steht die Karriere ganz oben auf der Wunschliste – koste es, was es wolle, Ellbogen beweisen die erwünschte Durchsetzungskraft, und bleibt ein anderer auf der Strecke, bedauert man es ein bisschen und freut sich insgeheim. Die geforderte Anpassung im Job wird klaglos geleistet. Wenn die Partnerin zickt, wird sie verlassen, es gibt genügend Jüngere. Was hab ich damit zu tun, und sich verändern für eine Frau – soweit kommt`s noch. Für die Kinder hat man ja gelegentlich am Wochenende Zeit. Die werden von selber groß, und Krippen, Kitas, Horte und Schulen ersetzen längst die elterliche Erziehungsarbeit. Am Abend die Bierchen zur Entspannung vor dem Fernseher, und morgen kommt die Wäsche zu Mama. Gegen das Lebensrisiko gibt es Versicherungen, gegen die Langeweile konsumiert man Freizeitangebote, und überhaupt – wer Fragen stellt, fällt schnell aus der Komfortzone und gilt als Spielverderber ... Wie lange mag das gut gehen? 40, 50 Jahre meist, dann klopft der meistverdrängte Archetyp unserer westlichen Leistungs-Gesellschaft, Gevatter Tod, in Form der ersten körperlichen Beschwerden und der Midlife-Crisis leise an die Tür, und auch wenn mancher sich entsetzt die Ohren zuhält, stellen sich doch viele, vielleicht zum allerersten Mal, die Frage: war´s das mit dem Leben? Ist das alles? Wer bin ich überhaupt? Und beginnen eine Suche, die so uralt ist wie die Mythen der Menschheit und ihre Heldenreisen: die Suche nach Glück, Erfüllung und tieferem Lebens-Sinn. Schon bald auf dieser Reise taucht die Frage auf, was denn Mannsein eigentlich bedeuten kann
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einfach JA 12/2013 - 1/2014
außer der bisherigen beschränkten Erfahrung eines fremdbestimmten Erfüllungsgehilfen des industriell-patriarchalen Zeitalters, der auftragsgemäß alle urweiblichen Werte wie Erde, Umwelt, Miteinander, Gleichberechtigung, die Frau per se, Familie, soziale Gemeinschaft und Fürsorge mit Füßen tritt – wenn auch oft unbewusst. Wie findet ein Mann echte Freiheit im Denken und Wollen? Wie wird er zum Beschützer und Hüter des Lebens mit seiner vollen Kraft und Begeisterung, mit seinem Wagen, Werden und Wirken? Wie findet ein Mann seine innersten Träume, seine Heilige Lebensvision, und trägt sie ausdauernd in den oft schwerfälligen Körper der Welt hinein? Wie macht man aus 20 oder 50 die vollen 100 %? Antwort kann uns ein Blick auf traditionelle indigene Gesellschaften geben. Dort wird ein Jugendlicher durch eine gesellschaftlich anerkannte Prüfung, eine sogenannte Schwellen- oder Übergangszeremonie zum Mann initiiert. Die Jugendlichen verlassen dafür die Gemeinschaft, brechen auf und stellen sich einer einmaligen Prüfung, die nicht selten mit enormen körperlichen und seelischen Herausforderungen verbunden ist. Die Anerkennung und Aufnahme in den Kreis der Erwachsenen erfolgt im Kreis der Männer und Ältesten, und nach der Rückkehr in die Gemeinschaft werden sie dafür von jeder Frau geachtet. Im hoch zivilisierten Westen sind Initiationen für junge Männer (wie auch Frauen) lange verschwunden. Abitur, Führerschein, christlichen Festen fehlt der ganzheitlich erlebbare Charakter einer Schwellenzeremonie, und Mutproben wie Komasaufen, Drogen, Raufereien oder S-Bahn-Surfen die allgemeine Anerkennung außerhalb der Gruppengrenze. Im Wandel der Anforderungen und Werte gibt es auch keine allgemein formulierten Erwartungen an Mannsein mehr. Und ErsatzAngebote bedienen meist nur die Interessen von Wirtschaft, Industrie und Handel. Seit etlichen Jahren entstehen in diesem Vakuum aus der alternativen therapeutisch-spirituellen Ecke der Gesellschaft Angebote, die Initiationszeremonien der Indigenen in neuem, an unser westliches Kulturverständnis angepasstem Gewand für moderne Männer zugänglich zu machen. Eines davon ist die Visionssuche für Männer.