piz Magazin No. 51

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Nicole Lehner und Luzia Kälin von «Designasyl» haben die Decken in der Tessanda herstellen lassen. Der Farbverlauf bringt eine frische Leichtigkeit und ungewohnte Grosszügigkeit.

Doch nicht nur das Handweben ist heute ein Ni-

dem lernen sie so auch gleich die Vielfalt der Farben,

schengeschäft, auch die Maschinen werden kaum

Muster und Materialien kennen, mit denen wir ar-

mehr hergestellt. Wie steht es um Ersatzteile? Die

beiten», meint die Produktionsleiterin.

Firma Arm aus Biglen, die als letzte in der Schweiz Handwebstühle hergestellt hatte – sie galten als

Muster schafft es in Wohnzeitschriften

Rolls-Royce der Branche – hat die Produktion vor

Welche Farben, Muster und Materialien das sind, be-

fünf Jahren eingestellt. Zwar stehen auch in Müstair

stimmen die Weberinnen in ihrem alljährlichen

ein paar Modelle dieser Marke, die meisten sind aber

Workshop: Jede bringt Ideen und dann wird geplant,

Eigenfabrikate von Schreinern aus dem Tal: «Noch

was umgesetzt werden soll. Oft sind es traditionelle

aus der Gründerzeit – schon fast antike Stücke»,

Muster, die sie in neue Kontexte setzen. Wie etwa der

lacht die Leiterin. «Die laufen noch tadellos.» Gäbe

«Tessanda-Teppich» mit einem historischen Bünd-

es trotzdem mal ein Problem, gibt es im Münstertal

ner Flammenmuster in Schwarz und Weiss, mit ei-

einen Schreiner, der sich mit den Geräten auskennt.

nem doppelten Zick zack das früher für Wandbe-

Schwieriger könne es werden, sollte eines der Metall-

hänge oder Bettüberwürfe gewebt wurde – ein

elemente kaputtgehe – der Nachschub an Schiff-

Muster, das unterdessen auch in vielen Wohnzeit-

chen und Blättern ist beschränkt.

schriften abgebildet ist. Und auch bezüglich der ver-

Produktion auf Bestellung und Kurse Ein Stock tiefer, im Laden im Erdgeschoss, verkauft

Seit drei Jahren pflanzt die «SwissFlax» erstmals wieder Flachs in grösserem Stil in der Schweiz und

die Tessanda die handgemachten Artikel: eine far-

hat ein Garn aus hundert Prozent Emmentaler

big karierte Tischdecke «Higa», Tischläufer mit tra-

Flachs entwickelt, womit seit kurzem auch die

ditionellen Bündner-Mustern, aber auch ein Tep-

Bündner Handweberinnen arbeiten.

pich nach Kelim-Machart. Generell werde weniger

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arbeiteten Materialien setzt Salvett auf altes Neues:

Ware angeboten als früher, sagt die Produktionslei-

Poschiavo: Neue Einkünfte finden

terin: «Der Bestand war lange Zeit zu hoch und die

Von Müstair weiter nach Poschiavo. Auch hier wird

Regale übervoll – heute arbeiten wir vor allem auf

noch von Hand gewebt. Die Tessitura Valposchiavo

Bestellung.» Eine Neuheit war vor sieben Jahren zu-

entstand 1955, mit ähnlicher Absicht: Damals ver-

dem der Online-Shop, seither verkaufen sie die eine

liessen bis zu 70 Prozent der jungen Leute das Pusch-

Hälfte der Waren vor Ort, die andere Hälfte über das

lav, woraufhin die Tessitura Valposchiavo gegrün-

Internet in die ganze Schweiz.

det wurde, um auch hier das Handwerk zu retten.

Im Keller befindet sich ein Kurs- und Ausstellungs-

Im Palazzo Mengotti, einem Herrschaftshaus aus

raum: «Wir bieten einen eintägigen Webkurs sowie

dem 17. Jahrhundert, das auch das Ortsmuseum be-

Wochenkurse», schildert Alexandra Salvett. Die

herbergt, arbeiten aktuell noch drei Weberinnen,

Teilnehmer – in der Mehrheit sind es Touristinnen –

zwei Näherinnen und eine Lehrtochter. Brigitte

versuchen sich dabei auf einem bereits eingerichte-

Heiz betreut den Laden und das Sortiment, sie arbei-

ten Webstuhl, sie fertigen einen Schal oder einen

tet ehrenamtlich. Sie sagt, wie es ist: «Das Geld aus

Tischläufer, den sie dann als selbst produziertes Sou-

dem Fonds von damals wurde über die Jahre aufge-

venir aus dem Tal mit nach Hause bringen. «Ausser-

braucht – um zu überleben, brauchen wir neue Auf-

piz 51 : Sommer | Stà 2016


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