Nicole Lehner und Luzia Kälin von «Designasyl» haben die Decken in der Tessanda herstellen lassen. Der Farbverlauf bringt eine frische Leichtigkeit und ungewohnte Grosszügigkeit.
Doch nicht nur das Handweben ist heute ein Ni-
dem lernen sie so auch gleich die Vielfalt der Farben,
schengeschäft, auch die Maschinen werden kaum
Muster und Materialien kennen, mit denen wir ar-
mehr hergestellt. Wie steht es um Ersatzteile? Die
beiten», meint die Produktionsleiterin.
Firma Arm aus Biglen, die als letzte in der Schweiz Handwebstühle hergestellt hatte – sie galten als
Muster schafft es in Wohnzeitschriften
Rolls-Royce der Branche – hat die Produktion vor
Welche Farben, Muster und Materialien das sind, be-
fünf Jahren eingestellt. Zwar stehen auch in Müstair
stimmen die Weberinnen in ihrem alljährlichen
ein paar Modelle dieser Marke, die meisten sind aber
Workshop: Jede bringt Ideen und dann wird geplant,
Eigenfabrikate von Schreinern aus dem Tal: «Noch
was umgesetzt werden soll. Oft sind es traditionelle
aus der Gründerzeit – schon fast antike Stücke»,
Muster, die sie in neue Kontexte setzen. Wie etwa der
lacht die Leiterin. «Die laufen noch tadellos.» Gäbe
«Tessanda-Teppich» mit einem historischen Bünd-
es trotzdem mal ein Problem, gibt es im Münstertal
ner Flammenmuster in Schwarz und Weiss, mit ei-
einen Schreiner, der sich mit den Geräten auskennt.
nem doppelten Zick zack das früher für Wandbe-
Schwieriger könne es werden, sollte eines der Metall-
hänge oder Bettüberwürfe gewebt wurde – ein
elemente kaputtgehe – der Nachschub an Schiff-
Muster, das unterdessen auch in vielen Wohnzeit-
chen und Blättern ist beschränkt.
schriften abgebildet ist. Und auch bezüglich der ver-
Produktion auf Bestellung und Kurse Ein Stock tiefer, im Laden im Erdgeschoss, verkauft
Seit drei Jahren pflanzt die «SwissFlax» erstmals wieder Flachs in grösserem Stil in der Schweiz und
die Tessanda die handgemachten Artikel: eine far-
hat ein Garn aus hundert Prozent Emmentaler
big karierte Tischdecke «Higa», Tischläufer mit tra-
Flachs entwickelt, womit seit kurzem auch die
ditionellen Bündner-Mustern, aber auch ein Tep-
Bündner Handweberinnen arbeiten.
pich nach Kelim-Machart. Generell werde weniger
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arbeiteten Materialien setzt Salvett auf altes Neues:
Ware angeboten als früher, sagt die Produktionslei-
Poschiavo: Neue Einkünfte finden
terin: «Der Bestand war lange Zeit zu hoch und die
Von Müstair weiter nach Poschiavo. Auch hier wird
Regale übervoll – heute arbeiten wir vor allem auf
noch von Hand gewebt. Die Tessitura Valposchiavo
Bestellung.» Eine Neuheit war vor sieben Jahren zu-
entstand 1955, mit ähnlicher Absicht: Damals ver-
dem der Online-Shop, seither verkaufen sie die eine
liessen bis zu 70 Prozent der jungen Leute das Pusch-
Hälfte der Waren vor Ort, die andere Hälfte über das
lav, woraufhin die Tessitura Valposchiavo gegrün-
Internet in die ganze Schweiz.
det wurde, um auch hier das Handwerk zu retten.
Im Keller befindet sich ein Kurs- und Ausstellungs-
Im Palazzo Mengotti, einem Herrschaftshaus aus
raum: «Wir bieten einen eintägigen Webkurs sowie
dem 17. Jahrhundert, das auch das Ortsmuseum be-
Wochenkurse», schildert Alexandra Salvett. Die
herbergt, arbeiten aktuell noch drei Weberinnen,
Teilnehmer – in der Mehrheit sind es Touristinnen –
zwei Näherinnen und eine Lehrtochter. Brigitte
versuchen sich dabei auf einem bereits eingerichte-
Heiz betreut den Laden und das Sortiment, sie arbei-
ten Webstuhl, sie fertigen einen Schal oder einen
tet ehrenamtlich. Sie sagt, wie es ist: «Das Geld aus
Tischläufer, den sie dann als selbst produziertes Sou-
dem Fonds von damals wurde über die Jahre aufge-
venir aus dem Tal mit nach Hause bringen. «Ausser-
braucht – um zu überleben, brauchen wir neue Auf-
piz 51 : Sommer | Stà 2016