Sascha Kokot
Rodung
falls dieser Eingang verschlossen ist benutzen Sie bitte den Eingang in der Passage
am Hang im angewehten Schnee halten sich meine Spuren in Deckung aus der Schonung über das Bracheeis enden sie auf ungewisse Dauer das Jungwild bleibt auf Abstand zieht sich schnell in die Bewaldung zurück die einzige Kontur die sich ausmachen lässt der Weg ist schon fort vor Minuten überblendet geblieben sind am Turm der Stundenschlag ein Hof in dessen Ferne eine Säge kreist kein Ort zum Unterkommen
der Winter webt fleißig ein frostiges Tuch zwischen meine Fensterflügel keine Handbreit für das Temperaturgefälle reicht der Lack schon seit dem Vormieter kaum noch aus der Straße sickert das Achsenrumpeln wenn da nicht die Kälte dieser Tage wäre ich lieber ein befelltes Tier auf der Fährte im Park dicht über der Decke zwischen all den Schneemännern den gelben Reviergrenzen junger Familien dem Geäst vorgelagerter Jahre falle ich noch immer deinem Pfeifen zum Opfer ganz fern bleibst du nur mir
vor dem Haus ist wieder ein Platz fĂźr den Wind die gleitenden VĂśgel wenn die Kinder heimgetrieben werden Stiefelspuren in alle Richtungen zeigen bleibt auf den Platten in Schnee und Salz die Grausamkeit liegen mit der sie lachend sich gegenseitig Frost an die roten KĂśpfe werfen
du siehst das Tauwetter in den unteren Lagen grasen niemand sonst demontiert die letzten Zäune frisst an den Wällen der Sturmseite der geborstene Schiefer bleibt liegen mit dichtem Fell stellen sich die Katzen auf kauen ihre Krallen scharf wittern die Kälte schon schlagen die ersten Hunde an wenn sie erwachen ihnen dein Geruch plötzlich fremd ist du erst am Jahresende wieder zu den Häusern hinabsteigen kannst
10
diesen Brand haben wir selbst gesetzt er zerrt an uns in immer gleichen Teilen verbrennt die Hände am Werkzeug Metall und Holm frisch beschlagen hängen daran die steifen Fäuste fest verkeilte Sehnen so können wir ewig nicht lassen vom Grubenbeil das wir einschlagen zerwühlt in unserer Kinderhaut mit dem sturen Wissen ein eisenhaltiges Herz rostet irgendwo vor sich hin
11
ALS LETZTE WÄRMEQUELLE am Hang im angewehten Schnee 7 der Winter webt fleißig ein frostiges Tuch 8 vor dem Haus ist wieder ein Platz 9 du siehst das Tauwetter in den unteren Lagen grasen 10 diesen Brand haben wir selbst gesetzt 11 die Maschinen werden dir zu klein 12 Schließer 13 du kennst dieses Gefühl 14 es liegt eine scharfe Kante über der Ansiedlung 15 du spürst seit Wochen wie du Abschied nimmst 16 dem Vater im Krankenhaus 17 deine Haut bleibt mir Parcours 18 ist das letzte Holz vom Hof geholt 19
KAPITALE BLOCKSTAATEN in diesem Land blieb ihnen kein Schlaf 23 das Abreißen des Schnees 24 der Himmel liegt in Fetzen 25 der gute Herr an der Autobahn 26 am Morgen wenn die Hände noch streiken 27 nach dem dritten Tag Regen 28 zwischen den Baracken fest verzäunt 29 ruhig werd ich nicht 30 hier ist Einer der davongekommen ist 31 dort fällen sie noch immer 32 die Landschaft einer Haut 33 was ist das was vom Tag bleibt 34 ein blaues Beet 35
IN SICHERER VERWAHRUNG etwas bricht aus den schwarzen Boxen 39 an meinem Fenster zogen heute tausend Autos vorüber 40 ohne Dächer steht ihr da 41 im ersten Lohen häutet sich der See 42 das Muster am Fenster 43 nach dem gescherbten Abend 44 der ausgerissene Finger ist verwachsen 45 in sicherer Verwahrung 46 dass die Wassermühle brannte 47 auch dieser See wird heute gedörrt 48 sprich aus den Raum und wirf einen Blick hinein 49 die Stadt steht nun kahl unter diesem Himmel 50 dass die Tiere nun fehlen lässt uns nicht ruhig im Wald 51
WESTWÄRTS WILDERN du irrst dich 55 in den ersten Tagen blieb der Schnee aus 56 vom Osttor fahr ich ein in diesen Ort 57 Flusslandschaft 58 am Boden frisst sich der Frost wund 59 ein Leben auf Besuch 60 seit Stunden ein Blick in dieses Land 61 plenty of land 62 no country for old men 63 land of plenty 64 alle reichen weiter 65 border patrol 66 dieses Dach trägt nicht mehr 67
DAS FALLEN DER TEMPERATUREN wie wir abends am Küchentisch sitzen 71 du in der Schwesterstadt 72 ein weißer Strich bist du 73 krachend geht der Sommer zu Bruch 74 ein paar schwarze Schuppen von dir 75 in der Kammer eine viel zu kurze Decke 76 Sperrgebiet 77 du legst kleine stille Feuer im Heuwald 78 sing mein stures Herz 79 man kann durch die stillen Räume gehen 80 brich eine Rinne in das Eis auf dem Kanal 81 im Schutz der Feuertüren 82 und an dich erinnert nicht mehr viel 83
Sascha Kokot 1982 in der Altmark geboren und aufgewachsen, lebt als freier Autor und Fotograf in Leipzig. Nach einer Lehre als Informa tiker in Hamburg und einem längeren Aufenthalt in Australien studierte er am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sascha Kokot wurde für seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem zweiten Feldkircher Lyrikpreis 2012.
Die Entstehung dieses Werkes wurde durch Stipendien der Kultur stiftung des Freistaates Sachsen, des Landes Sachsen-Anhalt und der Albert Koechlin Stiftung ermöglicht. Der Autor dankt diesen Institutionen für ihre Unterstützung.
Erstausgabe © edition AZUR, Dresden 2013 www.edition-azur.de Gestaltung: Kraft plus Wiechmann, Berlin Papiere: Stucco Tintoretto, 120 g/m2 (Bezug), Sirio Color Caffè, 115 g/m2 (Vorsatz), Arcoprint Milk, 100 g/m2 – alle von Fedrigoni Druck: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg ISBN: 978-3-942375-07-8