eco.nova Wirtschaftsmagazin September 2011

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eco.titel Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Bodenseer Wie lautet die Position der Wirtschaftskammer zum Thema Sonntagsöff nung im Handel? Ich finde, dass wir in Tirol mit der Saisonorte-Regelung im Prinzip das Auslangen finden. Eine Änderung ist weder notwendig noch sinnvoll. Sonderregelungen bei Großereignissen sind im Ausnahmefall (max. 3x/Jahr) durch Verordnung möglich und sinnvoll, wenn es tatsächlich ein Großereignis ist und bei offenen Handelsgeschäften mit Nachfrage und Umsatz zu rechnen ist. Wie steht der Handel Ihrer Meinung nach zu dieser Frage? Der Handel scheint mir mit den bestehenden Regelungen zufrieden. Die Konsumenten nutzen z.B. den am Sonntag offenen MPREIS am Bahnhof so sehr, dass es zu langen Warteschlangen kommt. Vielleicht wäre es sinnvoll, in den Bezirkshauptstädten zumindest am Sonntagvormittag mit einem Turnusdienst des ortsansässigen Lebensmittelhandels unseren Konsumenten diesen Service zu bieten, bevor die Tankstellen, die ja „Proviant“ verkaufen dürfen (ein weitläufiger Begriff, der weidlich ausgenützt wird ...) dem Einzelhandel diese Umsätze „wegnehmen“. Spar z.B. plant an Tankstellen bereits solche „Express-Shops“ einzurichten.

AK-Präsident Erwin Zangerl Wie stehen Sie zum Thema Sonntagsöff nung? Eine Sonntagsöff nung geht voll zu Lasten der Frauen, der Familien und der so wertvollen Freiwilligenarbeit in sozialen und karitativen Einrichtungen. Familienfreundlichkeit schaut anders aus! Kirche, ÖGB und AK sind gegen jede Ausweitung der Sonntagsarbeit. Diesbezüglich verweise ich auf die gemeinsame Erklärung von Bischof Manfred Scheuer, ÖGB, KAB und AK anlässlich des heurigen Josefstages. Außerdem hat sich auch Landeshauptmann Platter deutlich gegen die Sonntagsöff nung ausgesprochen. Einkaufen von Montag bis Samstag muss reichen. Was halten Sie von einer Ladenöff nung zu lokalen Großereignissen – wie EM oder Jugendolympiade im Winter? Es gibt und gab gerade für derartige Großereignisse großzügige Ausnahmeregelungen. Eine weitere Ausweitung würde aber auch zu einem weiteren Verdrängungswettbewerb innerhalb des Handels führen, weil davon nur die großen Einkaufszentren profitieren würden. Außerdem gibt es in Tirol bereits jetzt schon die liberalsten Regelungen (siehe Tourismusregelung in den meisten Tiroler Gemeinden).

Josef Margreiter, Geschäftsführer der Tirol Werbung Wie stehen Sie aus der Sicht des Tiroler Tourismus zu Sonntagsöff nungszeiten? Warum? Grundsätzlich positiv, denn Tourismus findet nicht nur von Montag bis Freitag 8.00 bis 18.00 Uhr statt, sondern Beherbergung, Gastronomie und Freizeitwirtschaft machen ihre Umsätze 7 Tage die Woche rund um die Uhr und ganz besonders in den Abend- und Wochenendzeiten. Ich bin auch für jede weitere Flexibilisierung, die dem heutigen Kundenbedürfnis und einer betrieblichen Rentabilität entspricht. Die bekannten Diskussionen um Ruhezeiten usw. halte ich für wenig nachvollziehbar. Wenn Herr und Frau Österreicher selber auf Urlaub gehen, freut’s doch ungemein, wenn von Palma bis New York auch am Wochenende ein schöner Einkaufsbummel geboten wird. Übrigens bietet der Tiroler Handel mittlerweile ein hochklassiges Einkaufserlebnis, das sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen kann. Dank unserer Sonderregelungen in den Tourismusorten gibt es dort auch kaum Bedarf zur verstärkten Ladenöff nung, sondern die Unternehmen sind gut auf die Wünsche ihrer Gäste eingestellt. Für die Touristen wäre eine generelle Sonntagsöff nung natürlich ein Gewinn. Glauben Sie, dass es auch für den Handel von Vorteil wäre? Ja, aber gewiss nicht für alle! Mit Blick auf unsere Landeshaupt- und Bezirksstädte hält sich die Nachfrage einmal vom täglichen (Lebensmittel-) Bedarf abgesehen doch eher in Grenzen! Auch sind Aufwand und Mehrkosten, sowie die lebenskulturelle Fremde einer sonntäglichen Öff nung gerade bei uns eine enorme Barriere und jeder Vergleich mit Bella Italia usw. hinkt doch ziemlich. Im richtigen Maß und Segment – bleibe ich dennoch überzeugt – kann auch der Handel entlang touristischer Ströme vom weiterhin kräftig wachsenden „Shoppingtourismus“ profitieren. Die Frage lautet: „Was ist eine Reise bzw. einen Einkaufsausflug wert bzw. wer liegt mit besonders gefragtem Zusatzangebot direkt am Weg zu solchen Attraktionen?“ Hier sollte die unternehmerische Entscheidung frei sein und der Markt sich selbst regulieren können. Wo allerdings nicht über einen gewissen Mindestzeitraum und in einer ausreichenden Dichte das Angebot geschaffen wird, kann auch selten genug Nachfrage realisiert werden. Es gilt also attraktive Zentren zu schaffen, denn aufgrund von drei geöff neten Läden in der sonntäglichen Maria-Theresien-Straße würde wohl trotz ihrer neuen Pracht kein Magnet aus ihr werden. Der Reiz von geschlossenen Ladentüren hält sich, jedenfalls touristisch gesehen, prinzipiell ziemlich konstant am Nullpunkt. Was halten Sie von einer Ladenöff nung zu lokalen Großereignissen – wie z.B. die EM oder die Jugendolympiade im Winter? Ich denke, wir sollten uns weiterhin am tatsächlichen Kundenpotential orientieren und keine Luftschlösser bauen. Freuen wir uns also über die mittlerweile gewohnte Shoppingmöglichkeit auch zu Mittagszeiten (im Süden – auch hitzebedingt – ist das teils anders!) und konzentrieren wir uns auf qualitätsbewusste Rahmenprogramme und Erweiterungen von Öff nungszeiten an Samstagen, welche wirklich zu umsatzträchtigen Frequenzsteigerungen führen und dabei helfen, uns von anderen schönen „Shoppingstädten“ in Mitteleuropa klar zu differenzieren.

Wie stehen die Angestellten Ihrer Meinung nach zu dieser Frage? Die Mitarbeiter sind wie immer das schwächste Glied in der Kette, die sich dem Diktat des Arbeitsplatzes beugen müssen. Da Handelsangestellte zu mehr als 80 Prozent weiblich sind, und davon der überwiegende Teil Teilzeit arbeitet, wäre eine Sonntagsöff nung eine zusätzliche Belastung für die jetzt schon problematische Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

TOURISMUS

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