eco.nova September 2019

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© LEOPOLD PRIVATSAMMLUNG

© ZEPPELIN MUSEUM FRIEDRICHSHAFEN, LEIHGABE DER KULTURSTIFTUNG DER ZF PASSAU GMBH / BILDRECHT WIEN, 2019

eco.kultur

Albin Egger-Lienz, Die Tochter des Künstlers Ila im Kinderbettchen, 1916; 86,5 x 133 cm, Öl auf Leinwand

Otto Dix, Vanitas, 1932; 100,4 x 70,3 x 2,9 cm, Mischtechnik auf Holz

Ikonen des Leids und der Verwüstung, die bei der Betrachtung besonders berühren. Die aufwändige Präsentation ihrer Werke ist das Ergebnis einer fünf Jahre langen Vorbereitung.

ZWIESPÄLTIGE FASZINATION

Im ersten Bereich der Ausstellung wird eine zwiespältige Faszination für Krieg und Gewalt thematisiert, die die Kunstwelt zu Beginn des Ersten Weltkrieges prägte. „Wer sich Dixʼ farbenprächtigen Gemälden nähert, die ob ihrer künstlerischen Vollkommenheit imponieren, wird mit dem Grauen schonungslos konfrontiert. Menschen, die unvorstellbare Qualen erleiden, im Sterben liegen oder bereits tot sind, bevölkern die brutalen Bilderwelten. Dix gelingt es, den Abschaum auf ästhetische Weise zu verarbeiten. Ein gutes Beispiel dafür sind auch die auf den ersten Blick schwer erkennbaren Motive der Schwarz-Weiß-Grafiken. Erkennt man, womit man es hier zu tun hat, ist ein Entkommen nicht mehr möglich“, so Dr. Helena Pereña, Hauptkuratorin der Tiroler Landesmuseen und Kuratorin der Sonderausstellung. Dix sorgte dadurch zu Lebzeiten für Unbehagen, seine Kunst wurde sogar als „zum Kotzen“ beschrieben.

FRAUENROLLE ZWISCHEN PROSTITUIERTER, WITWE UND MUTTER Im Obergeschoss der Ausstellung sind zwar keine Leichenfelder mehr zu sehen, dafür die Hinterbliebenen in der Nachkriegszeit: Witwen und Prostituierte sowie Kranke und Kriegsversehrte. Juliette Israëls Ausstellungsarchitektur ordnet die verschiedenen Bereiche nach dem Vorbild einer Stadt an, die sich über Straßen und Kreuzungen erkunden lässt. Als zentraler Knotenpunkt dient Dixʼ „Die Irrsinnige“ (1925), eine halb entblößte Witwe, über deren Kopf feuerrote Dämonen kreisen – übrigens zum ersten Mal in Österreich zu sehen. Generell stellen die Witwen einen Schwerpunkt der Ausstellung dar. Dix gestaltete sie oft ähnlich einer Prostituierten. Damit thematisierte er die zwiespältige Rolle der Frau in der Zwischenkriegszeit: Auf der einen Seite tritt sie als Witwe der im Krieg gefallenen Soldaten auf, deren prekäre Situation häufig in die Prostitution führte. Auf der anderen Seite blieb sie immer noch die Mutter, die für die Familie sorgte. Egger-Lienz indes stellte die Witwen als „Kriegsfrauen“ (1918–22) mit verzerrten, maskenhaften Mienen dar. Sie erinnern an Klageweiber, denen Mitsprache und Mitwirkung an ihrer misslichen Lage entzogen wurde. Die Trauer um verlorene Männer und Söhne manifestiert sich in resignierten Gesichtern. Eine noch schärfere Nuance verlieh er ihnen, als er für „Die Mütter“ (1922–23) ein Kruzifix in die Stube legte und damit jeden Hoffnungsschimmer aus den Gesichtern der Frauen und des abgebildeten Säuglings radierte.

PROLETARISCHE KUNST

Die ikonenhafte, universelle Wirkung, die sowohl Egger-Lienz als auch Dix erzielten,

zieht sich auch durch die Werke zu den Themen Arbeit und Industrie, denen ein eigener Ausstellungsbereich gewidmet ist. „Egger-Lienz reduzierte das Menschliche, von subjektiven Gesichtszügen bis hin zu auffälliger Kleidung, auf ein Minimum und verwendete zudem wenig Farbe. Damit bildete er Arbeiter und Bauern ab, ohne ihren individuellen Charakter zu offenbaren. Der Zweck steht klar im Vordergrund“, so PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen. Als Egger-Lienz 1924 den Auftrag annahm, Lünetten für den Sitzungssaal der Industriellen in der Tiroler Handelskammer in Innsbruck zu gestalten, musste er zwangsläufig etwas konkreter arbeiten. Er beugte sich jedoch nicht den Wünschen der Auftraggeber, auch für die Längsseite des Saals Figuren darzustellen, sondern wählte eine menschenleere Fabrik. Auch in Dixʼ Werken ist das Thema Arbeit präsent, bei ihm steht jedoch das Milieu im Mittelpunkt. Trotz seines sarkastisch distanzierten Zugangs scheute er den Blick in die menschlichen Abgründe dabei nicht.

EGGER- LIENZ UND OTTO DIX

Die Sonderausstellung ist noch bis 27. Oktober im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum zu sehen. Zur Ausstellung erscheint ein umfangreich bebilderter Katalog im Hirmer Verlag (360 Seiten, EUR 38,50) www.tiroler-landesmuseen.at

TIPPS:

• 5 . Oktober: Lange Nacht der Museen – Spezialprogramm von 18 bis 24 Uhr • 26. Oktober: Tag der offenen Tür – Spezialprogramm von 9 bis 17 Uhr, Eintritt frei

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