kunstraumBERNSTEINER

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Komposition bedeutete letztlich auch den vorläufigen Endpunkt dieser Arbeiten. Dass in dieser Werkphase die Stelen auch als dreidimensionale Skulptur aus Krastaler Marmor entstanden, mag Zufall sein oder auch eine letzte, in dem Fall dann auch noch verstärkt raumgreifende und statische Manifestation. In den neuen Tafelbildern (die ersten entstanden Ende 2010, vor allem jedoch ab 2011) werden die Stelen von runden Formen abgelöst, die nicht zuletzt auch durch ihre Titel an Himmelskörper oder auch in manchen Arbeiten auf Papier an Lebewesen im Wasser erinnern. Der Duktus der Bilder wird malerischer und der Farbe wird ein freierer Verlauf ermöglicht. Dies kündigte sich schon in den Arbeiten auf Papier an, die bereits 2010 parallel zu den „Stelen-Serien“ entstanden und man den Eindruck hatte, dass Ulrich Plieschnig hier bereits mit neuem „Vokabular“ experimentierte. Auch in der räumlichen Verortung der Motive kam es zu Änderungen: die Stelen standen zumeist auf einem „Bodenterrain“ und ließen dadurch eine gewisse landschaftliche Verortung zu. Im Gegensatz dazu schweben die neuen Motive in einem unbestimmten, unendlichen Raum, der sowohl das Weltall als auch die Tiefe und Weite des Ozeans sein kann. Mit dem Thema Weltall haben die Bilder sowohl motivisch zu tun als auch inhaltlich. Das Weltall ist nicht nur eine physikalische Ausdehnung, sondern auch ein symbolischer Raum: seit Jahrhunderten drehen sich Träume und Visionen der Menschen darum, die „extraterrestrische Zone“ zu erobern, Welten jenseits der Erde kennenzulernen und vielleicht sogar andere Planeten zu kolonisieren. „Space is the Place“ erklärte der Musiker Sun Ra, und hunderte Science-Fictionromane und -filme legen Zeugnis ab von der Sehnsucht nach dem Anderen, dem Unbekannten, der ,High Frontier‘, der hohen Grenze, die im 20. Jahrhundert zum Schauplatz geostrategischer Positionskämpfe wurde. Doch wenngleich die Musik des afroamerikanischen Sängers Sun Ra eine Rolle für die Arbeiten von Ulrich Plieschnig spielt, unterscheiden sich seine Bilder dennoch von jenen Positionen, die eine politische oder filmische Dimension mit diesem Thema verbinden. Ulrich Plieschnig interessieren am Weltall vor allem die Aspekte der Zeitlosigkeit und Ungewissheit, die durch die Unendlichkeit, die räumlich für den Menschen nicht fassbar ist, evoziert wird. Beim Anblick der Weite, sowohl des Meeres als auch des Sternenhimmels, so Ulrich Plieschnig, wird einem das eigene Dasein erst 50

wieder bewusst. Die Dimension zwischen unserer Existenz und der Weite des Raumes fordert uns heraus, Grenzen auszuloten und sie gegebenenfalls zu überschreiten. Aus der persönlichen Auseinandersetzung wird eine allgemeine These, womit wir dann letztlich wieder vor der Frage stehen: kann Kunst die philosophischen Gedankenschleifen des Künstlers abbilden oder zumindest einen Teil? Arbeiten wie „Travelling the Spaceway“ oder „From Earth to Earth“ sind Titel, wo es auch darum geht, diese Grenzen zu überwinden und zu versuchen, mittels des Bildes in die Unendlichkeit des Raumes einzutauchen. Und hier sind wir wieder bei den Möglichkeiten der Malerei, die eben diese Zwischenbedeutung abseits einer realen Darstellung ausdrücken kann. Vor allem weil Ulrich Plieschnig stets dort, wo es scheinbar narrativ wird, durch klare Bildstrukturen letztlich wieder auf das abstrakte Terrain zurückführt und bewusst an der Grenze zwischen Bilderzählung und autonomer Malerei arbeitet. Der Bildraum selbst entsteht nur durch die Motive, die – wie auf einer Bühne – vor einem homogenen Hintergrund schweben und durch ihre Setzung auf der Leinwand einen sich in die Tiefe ausbreitenden Raum vortäuschen. Landschaftliche Assoziationen haben Ulrich Plieschnig noch nie etwas ausgemacht, evoziert er diese doch zum Teil auch selbst, wenn er seinen abstrakten Kompositionen Titel gibt, die den Betrachter in eine diesbezügliche Leserichtung führen. Ulrich Plieschnig, aufgewachsen im Kärntner Gurktal, sieht die Landschaft als wesentlichen Impuls seiner Kunst, auch wenn er diese nie illustrativ ins Bild übersetzt. Vielmehr erzählt er vom Dialog zwischen einer äußeren und inneren Wirklichkeit, der Suche nach einer adäquaten Form der Darstellung und der Bemühung, der gesehenen Wirklichkeit ihre Essenz abzuringen und das Wesen der Malerei an sich zu erforschen. Die Farben werden transparent, lasierend bis zu opak eingesetzt, doch nie dominiert ein schweres Farbimpasto. Vielmehr diffundieren die übereinander gelegten Schichten ineinander, sodass zuweilen unter einem weißen Farbbalken der schwarzblaue Untergrund durchscheint. Im Gegensatz zu den „Stelen-Bildern“ wird nun der Pinsel wieder als Werkzeug eingesetzt, um klare Setzungen in der Komposition zu formen. Zugleich greift Ulrich Plieschnig auf die Rinnspuren als bildkonstituierendes Sujet zurück. Den eigentlichen Dialog mit der Natur führt der Maler auf der Leinwand, dort wo Vorbild und reine Form aufeinandertreffen, dort wo das Empfundene und Erfahrene der Wahrnehmung umgesetzt wird. Der

Betrachter ist aufgefordert, bekanntes Terrain zu verlassen, um sich in das prekäre Verhältnis zwischen Wahrnehmung, Wirklichkeit und Interpretation derselben aufzumachen. Die Herausforderung, dieses in eine neue Realität – in jene des Bildes – zu übersetzen, ist dem Kunstschaffen immanent. So entwirft auch Ulrich Plieschnig eine abstrakte Partitur auf der Leinwand, die im besten Fall den BetrachterInnen bekannt vorkommt, indem sie in der Überlagerung von Farbe und Struktur räumliche Assoziationen evoziert. Den Bildern haftet etwas Rätselhaftes und Geheimnisvolles an. Man erwartet, dass etwas geschehen wird, etwas Seltsames, Wunderliches, Symbolisches. Ein bedeutungsvoller Fingerzeig, etwas in der Art einer Vision, etwas, das eine Wahrheit vermuten lässt, aber darüber im Unklaren lässt, welche. Der Zweck des Kunstwerks ist die Bestimmtheit des Unbestimmten, meinte Adorno in seiner Ästhetischen Theorie.2 Vielleicht ist es daher wirklich so, wie Nietzsche annahm, dass die Kunst dem Menschen hilft, sich das Ganze des Daseins bewusst zu machen. Ein Mittel zu einer sensiblen Annäherung an die kaum fassbaren Zwischenräume des Lebens ist sie allemal. SILVIE AIGNER 1 Patrick Werkner, Um 1980. „Rückkehr“ der Malerei und sogenannte Postmoderne, in: ders. Kunst seit 1940. Von Jackson Pollock bis Joseph Beuys, Wien 2007, 2. 278 2 Theodor Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt a. M. 1970, S.188/189


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