Drei Fragen an ...
▶ Claudia von Sehren Claudia von Sehren ist Sozialarbeiterin in Sachsen-Anhalt. Früher war sie im DKJS-Programm Schulerfolg sichern! tätig und arbeitet jetzt als Familienhelferin.
» Um den Jugendlichen die Welchen Einfluss hat Ihr Hintergrund bisher auf Ihre Persönlichkeit und Ihre Arbeit
richtigen Hilfsangebote zu machen, muss ich wissen, unter welchen Bedingungen sie aufgewachsen sind .
«
gehabt?
Sie arbeiten in Sachsen-Anhalt seit Jahren mit Jugendlichen und deren Familien, die oft sozial benachteiligt sind. Finden Sie den Begriff so-
In der Familiengeschichte meines Vaters
ziale Benachteiligung in Ihrer Arbeit hilfreich
spielte der Nachname, verbunden mit dem
oder hinderlich?
»von«, schon eine wichtige Rolle. Meinen
Wenn man den Begriff »soziale Benach-
Geschwistern und mir wurde viel über die
teiligung« so definiert, dass den Familien
Herkunft des Namens erzählt. Diese Erzie-
Zugänge in unserer Gesellschaft verwehrt
hung prägt meine Arbeit bis heute. Der da-
werden, sie ausgegrenzt werden, erscheint
malige Auslöser spielt natürlich heute keine
mir der Begriff zu negativ. Generell ist in
Rolle mehr. Den Kindern und Jugendlichen,
Deutschland erst einmal eine Teilhabe am
mit denen ich arbeite, mache ich aber immer
gesellschaftlichen Leben möglich. Es existiert
wieder klar, dass sie etwas Besonderes sind.
eine Schulpflicht, wir haben eine kostenlose
Während mir mein Nachname heute nicht
Krankenvorsorge, wenn nötig erhalten Kin-
mehr wichtig ist, bringt er mir doch hin und
der von klein an Frühförderung in speziellen
wieder Vorteile. Schon recht viele Familien
Frühförderzentren. Es gibt Sprachförderung
verbinden das »von« mit adelig und haben
losigkeit, können es aber nicht richtig benen-
und, wenn erforderlich, Ergotherapie. Die Le-
dadurch das Gefühl, eine besonders qualifi-
nen, da sie kaum Alternativen kennen.
benswirklichkeit sieht aber eher so aus, dass
zierte Unterstützung zu erhalten.
soziale Teilhaberechte nicht angenommen Diese Auseinandersetzung mit ihrer Familien-
werden. Die Eltern in den sog. »bildungsfer-
Wie greifen Sie die unterschiedlichen Hinter-
geschichte ist immer auch ein sehr heikles
nen Familien« sind leider oft gar nicht in der
gründe von Kindern und Jugendlichen in Ihrer
Thema. Die Jugendlichen müssen leider oft
Lage, diese Hilfsangebote wahrzunehmen,
Arbeit auf?
erkennen, dass ihre Familie und ihr direktes
weil sie aufgrund ihrer eigenen Geschichte
Es erscheint mir sehr wichtig, mit den Ju-
Umfeld versagt haben. An diesem Punkt ist
damit überfordert sind. Somit werden einer
gendlichen und älteren Kindern über ihren
dann das gemeinsame Gespräch mit Fami-
bestimmten Anzahl von Kindern und Jugend-
Hintergrund zu sprechen. Fast allen Jugend-
lienmitgliedern wichtig. Die Jugendlichen
lichen objektiv Zugänge zum gesellschaftli-
lichen, mit denen ich arbeite, mangelt es an
müssen im Austausch erkennen, dass z. B.
chen Leben verwehrt.
Selbstbewusstsein. Sie fühlen sich schuldig
auch die Eltern ihre »Geschichte« haben,
an ihrer Situation, an ihrem Versagen. Oft
wodurch sie in ihrem erzieherischen Handeln
erkennen sie gar nicht, wie schwierig ein Auf-
zum Teil sehr eingeschränkt waren.
wachsen in ihrer Familie und in ihrem Um-
Erst wenn wir die Vergangenheit aufgear-
feld war. Um den Jugendlichen die richtigen
beitet haben, kann ich die Jugendlichen auf-
Hilfsangebote zu machen, muss ich wissen,
fordern, Verantwortung für ihre Zukunft zu
unter welchen Bedingungen sie aufgewach-
übernehmen. Gemeinsam suchen wir nach
sen sind. Für die Jugendlichen ist diese Art
vorhandenem Potenzial und versuchen, in
»Hintergrundanalyse« sehr wichtig. Sie ha-
ganz kleinen Schritten zu einer Verhaltens-
ben zwar ein diffuses Gefühl der Chancen-
veränderung zu kommen.
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