bewegt! Nr. 1/2013 Ausgabe 4

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Drei Fragen an ...

▶ Claudia von Sehren Claudia von Sehren ist Sozialarbeiterin in Sachsen-Anhalt. Früher war sie im DKJS-Programm Schulerfolg sichern! tätig und arbeitet jetzt als Familienhelferin.

» Um den Jugendlichen die Welchen Einfluss hat Ihr Hintergrund bisher auf Ihre Persönlichkeit und Ihre Arbeit

richtigen Hilfsangebote zu machen, muss ich wissen, unter welchen Bedingungen sie aufgewachsen sind .

«

gehabt?

Sie arbeiten in Sachsen-Anhalt seit Jahren mit Jugendlichen und deren Familien, die oft sozial benachteiligt sind. Finden Sie den Begriff so-

In der Familiengeschichte meines Vaters

ziale Benachteiligung in Ihrer Arbeit hilfreich

spielte der Nachname, verbunden mit dem

oder hinderlich?

»von«, schon eine wichtige Rolle. Meinen

Wenn man den Begriff »soziale Benach-

Geschwistern und mir wurde viel über die

teiligung« so definiert, dass den Familien

Herkunft des Namens erzählt. Diese Erzie-

Zugänge in unserer Gesellschaft verwehrt

hung prägt meine Arbeit bis heute. Der da-

werden, sie ausgegrenzt werden, erscheint

malige Auslöser spielt natürlich heute keine

mir der Begriff zu negativ. Generell ist in

Rolle mehr. Den Kindern und Jugendlichen,

Deutschland erst einmal eine Teilhabe am

mit denen ich arbeite, mache ich aber immer

gesellschaftlichen Leben möglich. Es existiert

wieder klar, dass sie etwas Besonderes sind.

eine Schulpflicht, wir haben eine kostenlose

Während mir mein Nachname heute nicht

Krankenvorsorge, wenn nötig erhalten Kin-

mehr wichtig ist, bringt er mir doch hin und

der von klein an Frühförderung in speziellen

wieder Vorteile. Schon recht viele Familien

Frühförderzentren. Es gibt Sprachförderung

verbinden das »von« mit adelig und haben

losigkeit, können es aber nicht richtig benen-

und, wenn erforderlich, Ergotherapie. Die Le-

dadurch das Gefühl, eine besonders qualifi-

nen, da sie kaum Alternativen kennen.

benswirklichkeit sieht aber eher so aus, dass

zierte Unterstützung zu erhalten.

soziale Teilhaberechte nicht angenommen Diese Auseinandersetzung mit ihrer Familien-

werden. Die Eltern in den sog. »bildungsfer-

Wie greifen Sie die unterschiedlichen Hinter-

geschichte ist immer auch ein sehr heikles

nen Familien« sind leider oft gar nicht in der

gründe von Kindern und Jugendlichen in Ihrer

Thema. Die Jugendlichen müssen leider oft

Lage, diese Hilfsangebote wahrzunehmen,

Arbeit auf?

erkennen, dass ihre Familie und ihr direktes

weil sie aufgrund ihrer eigenen Geschichte

Es erscheint mir sehr wichtig, mit den Ju-

Umfeld versagt haben. An diesem Punkt ist

damit überfordert sind. Somit werden einer

gendlichen und älteren Kindern über ihren

dann das gemeinsame Gespräch mit Fami-

bestimmten Anzahl von Kindern und Jugend-

Hintergrund zu sprechen. Fast allen Jugend-

lienmitgliedern wichtig. Die Jugendlichen

lichen objektiv Zugänge zum gesellschaftli-

lichen, mit denen ich arbeite, mangelt es an

müssen im Austausch erkennen, dass z. B.

chen Leben verwehrt.

Selbstbewusstsein. Sie fühlen sich schuldig

auch die Eltern ihre »Geschichte« haben,

an ihrer Situation, an ihrem Versagen. Oft

wodurch sie in ihrem erzieherischen Handeln

erkennen sie gar nicht, wie schwierig ein Auf-

zum Teil sehr eingeschränkt waren.

wachsen in ihrer Familie und in ihrem Um-

Erst wenn wir die Vergangenheit aufgear-

feld war. Um den Jugendlichen die richtigen

beitet haben, kann ich die Jugendlichen auf-

Hilfsangebote zu machen, muss ich wissen,

fordern, Verantwortung für ihre Zukunft zu

unter welchen Bedingungen sie aufgewach-

übernehmen. Gemeinsam suchen wir nach

sen sind. Für die Jugendlichen ist diese Art

vorhandenem Potenzial und versuchen, in

»Hintergrundanalyse« sehr wichtig. Sie ha-

ganz kleinen Schritten zu einer Verhaltens-

ben zwar ein diffuses Gefühl der Chancen-

veränderung zu kommen.

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