Deutsche Oper Magazin

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Lothar Zagrosek

Was für eine Art des Hörens fordert Lachenmann von seinem Publikum? Das intelligente, offene Hören. Das Hören, das nicht nach spektakulär Neuem sucht. Die Bereitschaft, sich auf klangliche Ereignisse einzulassen, die nicht selbstverständlich sind. Seine Musik ist nicht aggressiv. Sie provoziert nicht durch Dissonanzenreichtum, sondern durch Stille. Heute, da wir uns nur noch im sieben-Sekunden-Takt konzentrieren können, fordert sie, dass man Ruhe braucht, dass man Zeit braucht. Seit wann kennen Sie Lachenmann? Seit Mitte der 70er Jahre. Damals war er der umstrittene Komponist schlechthin in Deutschland, angefeindet von allen Seiten. Diese Kontroversen hat er auch selbst immer wieder ausgelöst. Er ist ein sehr scharfer Denker, Argumentierer und Sezierer, das hat ihm natürlich nicht nur Freunde eingebracht. Aber das ist lange her. Heute ist er eine Instanz, eine Ikone. Sie haben die Uraufführung des „Mädchens“ 1997 an der Hamburger Staatsoper geleitet. Welche Widerstände gab es bei den Musikern? Das Hamburger Orchester war ein traditionelles, sehr gutes Opernorchester, das aber erstmal für Lachenmanns Musik gewonnen werden musste. Er selbst hat ihnen vieles erklärt, etwa den Unterschied zwischen reinem und schmutzigem Geräusch. Es ging ihm um eine ästhetische Qualität, um die Gestaltung der Druckverhältnisse beim Streichen des Bogens über die Saiten. Üben die Musiker zu viel Druck aus, pfeift es. Aber es soll fein rattern. Die Musiker beschwerten sich: „Sie verlangen von uns genau das, was wir jahrelang ausschließen wollten“. Aber dann reagierten sie, wie Musiker eben reagieren, wenn sie erkennen, dass etwas sinnvoll ist: Sie taten es.

Foto © Christian Nielinger / Konzerthaus Berlin

„Auch hier wird das Werk zum Objekt der Betrachtung. Die Oper als solche wird hinterfragt und neu dargestellt.“ Wie reagierte das Publikum? Es war ein großer Erfolg, in Hamburg waren alle Vorstellungen ausverkauft, die Leute mussten abgewiesen werden. Und die Stuttgarter waren ja durch Klaus Zehelein schon auf zeitgenössische Musik eingestimmt. Das Publikum hat eine Wegstrecke zurückgelegt, es ist offener geworden. Natürlich wird aus dem „Mädchen“ nie eine „Carmen“ oder „Zauberflöte“. Aber beim relevanten Teil des Publikums ist Lachenmann heute unwidersprochen. Wie unterscheidet sich seine Arbeit von der anderer zeitgenössischer Komponisten wie Aribert Reimann oder Wolfgang Rihm? Jeder geht seinen ganz eigenen Weg. Helmut Lachenmann hat sich sehr lange der Oper verweigert, oder besser: Er hat es nicht für möglich gehalten, mit den Mitteln, die er sich angeeignet hat, zur Oper zu kommen. Ich will nicht sagen, dass er sich Oper nicht zugetraut hat. Er hat einfach ein Leben lang überlegt, wie er sich ihr nähern kann. Dieses ungeheuer skrupulöse Verhältnis ist nicht im selben Maß zu finden bei Reimann oder Rihm. Deren Ergebnisse sind natürlich faszinierend, aber es gab nicht diese Auseinandersetzung mit ästhetischen Konven­ tionen wie bei Lachenmann. Dessen kompositorisches Denken bewegt sich in sehr abstrakten Bahnen. Das verträgt die Oper schlecht. Sie braucht konkrete Zuschreibungen. Lachenmann hat ein Leben danach gesucht, wie er seinen ästhetischen Kosmos mit der Narrativität verbinden kann, die die Oper erfordert. Und dann hat er sich für dieses Märchen von Hans Christian Andersen entschieden. Warum? Weil es sehr offen ist in der Form. Es hat keine stringente Handlung wie zum Beispiel die „Götterdämmerung“, keinen durchgehenden Faden. Es besteht aus Situationen und Bildern, aus Verhaltensweisen und Reaktionen der Akteure. Wie inszeniert man so etwas? Die beiden bisherigen Inszenierungen in Hamburg (1997) und Stuttgart (2002) haben Lachenmanns Vorstellungen nicht vollständig eingelöst. Aber ist das überhaupt möglich? Und wenn nein, warum nicht? Weil das „Mädchen“ keine Oper im konventionellen Sinn ist. Es gibt zwar eine Story, aber keine Dialoge, keine dramatischen Zuspitzungen. Eben nur Bilder, und das ist schwierig umzusetzen. Achim Freyer hat in Hamburg mit eigenen Schauspielern ein bildnerisches


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