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Corona und die Folgen: Voran mit Umsicht
Märkte und Allokation
Der Absturz an sämtlichen Aktienmärkten im ersten Quartal war in seiner Geschwindigkeit beispiellos. Auch wenn einige Indizes inzwischen deutliche Erholung zeigen, die Unsicherheit bleibt: Ist dieser Trend stabil und wann ist der richtige Zeitpunkt für den Einstieg bzw. Wiedereinstieg? Selektiv haben sich durchaus bereits Chancen aufgetan, z. B. in Bereichen, die unverhältnismäßig stark abgestraft wurden, oder solchen, die als Gewinner aus längerfristigen Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft hervorgehen könnten. Ein aktueller Ausblick zur Allokation.
Neuinfektions-, Reproduktions- und Verdopplungszahlen – das ist das, was die Medienlandschaft im Frühjahr des CoronaJahres 2020 im Bann hielt. Auch viele Anleger waren kaum für Einkaufsmanagerindizes, Auftragseingänge oder EZB-Sitzungsprotokolle zu interessieren. Der Blick auf die objektiven Zeichen des wirtschaftlichen Niedergangs schien Ökonomen und Analysten vorbehalten. Der ifo Geschäftsklimaindex auf historischem Tiefstand, der ZEW-Index mit stärkstem Rückgang seit Beginn der Umfrage 1991? 1 Das interessierte eine breitere Öffentlichkeit über etliche Wochen nur am Rande. Die wollte vor allem eins wissen: Wie entwickelt sich das Virus und wie lange halten die Beschränkungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaftstätigkeit noch an? Inzwischen wird den ökonomischen Folgen mehr Aufmerksamkeit geschenkt, die Expertenprognosen mehren sich täglich und werden lauter. Ebenso die Forderungen der Wirtschaft. Denn der Wirtschaftseinbruch ist längst da, voraussichtlich der schlimmste seit dem zweiten Weltkrieg. „Die Coronavirus-Pandemie und die zu ihrer Eindämmung getroffenen Maßnahmen stürzten die deutsche Wirtschaft in eine schwere Rezession“ 2 , hieß es bereits im April-Monatsbericht der eigentlich nüchternen und nicht zu Schwarzmalerei neigenden Bundesbank. Mut mit Blick auf die kurzfristigen Perspektiven machten die Bundesbanker nicht: Aufgrund der voraussichtlichen Beschränkungen, bis es eine medizinische Lösung gebe, sei eine rasche und starke wirtschaftliche Erholung „eher unwahrscheinlich“.
Trübe Aussichten, aber keine sich verstärkende Abwärtsspirale
Auch global sind die Aussichten innerhalb kurzer Zeit rabenschwarz geworden: Der IWF erwartet eine epochale Rezession, schwerer als während der Finanzkrise 2008/2009. 3 Die Weltwirtschaft werde in diesem Jahr um 3% schrumpfen, für Deutschland und die Eurozone prognostizieren die Volkswirte sogar einen Einbruch von 7 und 7,5%, für die USA 6,1%. Doch selbst da ist noch Luft nach unten: „Ich betone, dass es eine enorme Unsicherheit über die Aussichten gibt: Abhängig von vielen variablen Faktoren, einschließlich der Dauer der Pandemie, können sie sich auch verschlechtern“, erklärte IWF-Chefin Kristalina Georgieva. Eher unwahrscheinlich aus heutiger Sicht ist ein optimistisches Szenario, in dem das BIP in diesem Jahr mehr oder weniger konstant bleibt. Voraussetzung dafür wären schnellere weltweite Lockerungsmaßnahmen, gestützt durch weitreichende Tests und eine funktionierende Nachverfolgung der Infektionsketten.
Aber bei allen düsteren Prognosen: Eine über mehrere Jahre anhaltende Rezession erwarten die meisten Ökonomen nicht. So geht der IWF in seinem Basisszenario davon aus, dass die Pandemie in der zweiten Hälfte dieses Jahres überwunden sein wird und die Be
–3% Einbruch der Weltwirtschaft 2020? Prognose des IWF
Vorsicht hilft, Panik nicht
Es wird noch über Monate immer wieder schlechte Nachrichten von Unternehmensseite geben, Analysten dürften die Gewinnschätzungen weiter reduzieren. An der Börse sind neue Rücksetzer nicht ausgeschlossen. Doch ist nicht alles „doom and gloom“. Die sehr
niedrigen Zinsen, die extrem niedrigen Energiepreise, die durch die Politik bereitgestellte üppige Liquidität und die umfangreichen Konjunkturprogramme schaffen eine Kombination, die nach der Normalisierung des Wirtschaftsgeschehens Umsätze und Gewinne von Unternehmen nach oben treiben
könnte. In dieser sehr ambivalenten Situation sollten Anleger aber besonnen bleiben:
Die Märkte sind bereits stark gefallen, so schnell wie noch nie. 5 In
Panik zu verkaufen, ist immer ein
Fehler. Es jetzt noch zu tun erst recht.
–Umgekehrt bietet eine Krise Chancen: Langfristig orientierte Inves
toren können die aktuellen
Bewertungsniveaus nutzen, um selektiv günstig in Aktien oder
Anleihen einzusteigen. Sie sollten dabei nicht einseitig auf Bewertungskennzahlen wie das KGV oder KGV auf Basis von Gewinnerwartungen schauen. Denn diese Kennzahlen können angesichts von schwindenden Gewinnerwartungen im Krisenjahr leicht ein übertrieben düsteres Bild zeichnen, das nicht viel mit der tatsächlichen Substanz zu tun hat. Oder umgekehrt bei noch nicht offiziell revidierten Gewinnerwartungen ein zu optimistisches. KGVs sind immer Momentaufnahmen – die Gewinne fast aller Unternehmen brechen in der Krise zwangsläufig mindestens temporär ein. Ihre Kurse dürften in vielen Fällen eine Wiederaufholung vorwegnehmen.
Chancen könnten sich vor allem im Bereich der Unternehmens
anleihen bieten, speziell aus den USA. Während des Crashs wurden Unternehmensanleihen ohne Unterschied verkauft, auch Anleihen von Unternehmen mit soliden Bilanzen und Cashflows. Positiv auswirken dürfte sich auch das Anleihenkaufprogramm der Fed für Investment Grade-Anleihen und auch US High Yield-Anleihen. Asiatische High Yield-Anleihen haben sich in der Krise vergleichsweise gut gehalten und sind dennoch recht niedrig bewertet. Bundesanleihen und
US Treasuries sind zwar schon
teuer, bleiben als sicherer Hafen aber wichtiger Bestandteil von Portfolios. Bei Staatsanleihen aus der Euro-Peripherie gilt es unterdessen, Vorsicht walten zu lassen, die Verschuldung vieler Länder, vor allem Italiens, steigt durch die Krise deutlich.
Es ist noch zu früh, von einer Rückkehr der Hausse zu träumen
und dem Einschwenken ganzer Märkte auf einen soliden Kurswachstumspfad. Das gilt vor allem für europäische und auch US-amerikanische Aktien. Europa leidet unter den massiven Folgen des großflächigen Shutdowns. Viele Banken schwächelten schon vor der CoronaKrise, nun müssen sie noch zusätzlich mit einem erwarteten Anstieg der Kreditausfälle zurechtkommen. In den USA sind gerade viele kleine Unternehmen schlecht gerüstet für die Bewältigung einer Krise. Etwas besser sieht es aus für Asiens Aktienmärkte. Viele Länder dort sind schon weiter bei der Virusbekämpfung oder bei Lockerungsmaßnahmen, die Aktienbewertungen sind attraktiv. Auch die extrem niedrigen Energiepreise kommen Ländern wie China zugute.
schränkungen schrittweise zurückgenommen werden. Dann könne die Weltwirtschaft, unterstützt von der Politik, schon 2021 wieder um 5,8% wachsen. Für Deutschland erwartet der IWF 5,2%, für die Eurozone immerhin 4,7% 3 (siehe Grafik „Corona als Aufzugphänomen“). Auch die Bundesbank rechnet mit keiner sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale für die deutsche Wirtschaft. „Das ausgebaute System der sozialen Sicherung, die umfangreichen geldpolitischen Maßnahmen des Eurosystems sowie die massiven fiskalischen Stützungsmaßnahmen der Bundesregierung stehen einem solchen Szenario entgegen.“ 4
Hoffnung könnte auch der Rückblick auf Krisen der Vergangenheit geben. Danach
hielten Krisen, die durch exogene Ereignisse wie eine Epidemie ausgelöst wurden, im Durchschnitt kürzer an als zyklische oder strukturelle Krisen (siehe Grafik „Krisen als Folge unerwarteter Ereignisse“). Wenn man davon ausgeht, dass die immer wieder aufscheinenden strukturellen Probleme der Weltwirtschaft nicht weitere Phasen der durch ein singuläres Pandemie-Ereignis ausgelösten Krise heraufbeschwören, könnte die Hoffnung auf ein zumindest absehbares Ende des Leidens der Realwirtschaft begründet sein.
Chinas Sonderstellung
Global betrachtet markiert China bereits heute einen Lichtblick. Obwohl Ursprungsland der Pandemie, gilt das Virus inzwischen dort zumindest offiziell als eingedämmt. Die im Vergleich zum Rest der Welt radikal restriktiven Maßnahmen haben gewirkt. Und ungeachtet des Vorwurfs, China habe geschönte Zahlen kommuniziert – das Land konnte die Produktion bereits in größeren Teilen wieder hochfahren. Das zeigt zum einen Wirkung an den dortigen nationalökonomischen Kennzahlen. China könnte nach den Prognosen des IWF wohl die einzige wichtige Wirtschaftsnation sein, die 2020 letztlich doch mit einer positiven Entwicklung des BIP abschließt. Zum anderen macht es Hoffnung, dass die weltweit vielfach unterbrochenen Lieferketten wiederhergestellt werden. Dass China für viele Produkte am Anfang dieser Lieferketten steht, wurde in der Krise immer wieder schmerzlich bewusst gemacht (so z.B. bei Schutzmasken, medizinischen Hilfsmitteln und Wirkstoffen, aber auch Teilezulieferungen für Schlüsselindustrien der westlichen Welt). Dass die Produktion wieder angelaufen ist, stärkt also nicht nur die Aussichten für den wirtschaftlich eng verwobenen asiatischen Raum, sondern ist eine entscheidende Voraussetzung für die weltweite Rückkehr auf den Wachstumspfad.
Krisen als Folge unerwarteter Ereignisse waren bisher die kürzesten
Ereignisgetriebene Wirtschaftskrisen dauerten in der Vergangenheit durchschnittlich nur 9,2 Monate.
• Durchschnittliche Dauer (in Monaten) • Durchschnittliche Dauer bis zur Erholung (in Monaten)
Durchschnitt versch. Krisen
Strukturelle Krise 27,6
42,4 59,2
Zyklische Krise 26,8
Ereignisgetriebene Krise
0 9,2
14,6
25
Quelle: Goldman Sachs, März 2020
50,4
50
Monate 75 111,3
100
Gesundheits- und Tech-Branche als längerfristige Gewinner
Wer sich unter den mit vielen Fragezeichen versehenen Aussichten wieder an den Aktienmärkten engagieren will, kann mutig und marktbreit auf eine weitere Erholung hoffen oder vorsichtig selektiv vorgehen. Dann stellen sich Fragen wie diese: Wie wird sich die Wirtschaft im Weiteren entwickeln und welche Branchen können von den aktuellen Entwicklungen profitieren? Hier einige Schlaglichter:
Es dürfte mehr Geld in die Gesundheitsbranche fließen, die sich in vielen Ländern als zu schlecht ausgestattet erwiesen hat. Viele Produkte aus dem medizinischen Bereich – über Medikamente und Impfstoffe bis hin zu Schutzausrüstungen – dürften wieder verstärkt im eigenen Land oder in der Eurozone produziert werden, um die Abhängigkeit von Ländern wie China und Indien zu verringern. Unternehmen aus dem Gesundheitssektor dürften profitieren.
Die Digitalisierung wird wohl noch schneller voranschreiten. Die Erfahrungen
in der Krise zeigen, dass vieles online gut erledigt werden kann: Einkauf, Arbeit, Team-Meetings. Viele Technologie- und Telekommunikationsunternehmen dürften daher als Gewinner aus der Krise hervorgehen. Damit einhergehen wird wohl ein Schub für die künstliche Intelligenz (KI), die die Auswertung aller weltweiten Daten und damit die Fortschritte der Wissenschaft beschleunigen dürfte. Große und forschungsintensive Unternehmen werden die Gewinner sein, aber auch Hersteller von KI-Lösungen im medizinischen Bereich.
Die Zinsen dürften dauerhaft niedrig bleiben. Die umfangreichen Programme der internationalen Notenbanken – von der EZB über die Fed bis hin zu Schwellenländernotenbanken – haben höhere Zinsen in noch weitere Ferne gerückt. Vor allem Staatsanleihen dürften als Renditebringer und Stabi
Corona als Aufzugphänomen: erst abwärts, dann wieder nach oben
BIP-Prognosen IWF für 2020 und 2021
2021
5,8 % 4,7 % 4,7 % 5,2 % 9,2 %
2020
–3,0 % –5,9% –7,5 % –7,0 % 1,2 %
2019
2,9% 2,3 %
Welt USA
Quelle: World Economic Outlook, April 2020 1,2 % 0,6% 6,1 %
Eurozone Deutschland China
litätsfaktoren in Portfolios auf absehbare Zeit ausfallen.
Die Rezession mit höheren Kreditausfällen sowie die nochmals länger anhaltende Niedrigzinsphase dürften einige Kreditinstitute massiv unter Druck setzen. Dies gilt insbesondere für europäische Institute und speziell auch solche in besonders betroffenen Ländern wie Italien.
Die Corona-Pandemie dürfte auch den Trend zur nachhaltigen Geldanlage beschleunigen. Ein abschließendes Urteil über die Entwicklung von ESG-Anlagen in der Krise ist noch nicht möglich, es deutet aber einiges darauf hin, dass sich Unternehmen mit vorteilhaftem Nachhaltigkeitsprofil aufgrund ihres umsichtigeren und konservativeren Managements widerstandsfähiger gezeigt haben. Zudem könnten staatliche Stimuli zur Bewältigung der Krise verstärkt in Wirtschaftsbereiche fließen, die einen aktiven Beitrag zur geforderten Klimawende leisten.
Nur wer aktiv wird, kann Chancen nutzen
Niemand kann vorhersagen, wann die Wirtschaft zu verlässlichem Wachstum zurückkehrt und die Kapitalmärkte wieder in eine dauerhafte Hausse eintreten. Doch Berater können gerade für langfristig orientierte Anleger valide Chancen aufzeigen: Wenn diese mögliche temporäre Rücksetzer aushalten, könnten sie die gegenwärtige Situation durchaus als Einstiegsszenario sehen. Kurzfristig bleibt allerdings noch Ungewissheit. Ein selektiver Fokus auf Unternehmen und Wirtschaftsbereiche, die mit großer Wahrscheinlichkeit gestärkt aus der Krise hervorgehen werden, dürfte mittel- bis langfristig bessere Chancen bieten als ein marktbreites Engagement.
1 ifo Institut: ifo Geschäftsklimaindex April 2020, ZEW: ZEW-Konjunkturerwartungen März 2020. 2 www.bundesbank.de, 20. 04. 2020. 3 World Economic Outlook, April 2020. 4 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2020. 5 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 03. 05. 2020.
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