Magazynu Polonia 15_16

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GESCHICHTE

Lotna und Orzeł. Różewicz wählte als sein Filmthema die Geschichte von völlig isolierten Verteidigern der polnischen Post in Danzig, die vom ersten Moment ihres heldenhaften Kampfes an, zur Niederlage und zum Tod verurteilt sind. Die Erzählung beschränkt sich auf die Beschreibung von Tatsachen, die in direktem Zusammenhang mit dem Schicksal der polnischen Postbeamten aus Danzig in den letzten Tagen vor 1. September 1939, während ihrer Kampf und nach der Kapitulation, als sie gefangen genommen, gedemütigt und schließlich hingerichtet wurden. Wolne miasto erzählt eine höchst symbolische und schmerzhafte Episode aus den Anfangsstunden des Krieges, enthält jedoch nichts, was als Kommentar politischer Natur angesehen werden könnte. Die Polen repräsentierten die edlen Kräfte des Guten, die gegen die Deutschen verlieren mussten, die die Kräfte des Bösen repräsentierten. Obwohl sie auf dem Schlachtfeld besiegt wurden, gelten sie gleichzeitig als moralische Sieger auf. Paradoxerweise ergab sich die einzige Schlussfolgerung, die möglicherweise als politisch verstanden werden könnte, aus Überlegungen im Zusammenhang mit dem Problem des hoffnungslosen bewaffneten Widerstands einer Gruppe von Menschen, denen die Möglichkeit einer Unterstützung von außen vorenthalten wurde. Wolne miasto macht auf die Frage der Verantwortung der zivilen Militärbehörden in Polen aufmerksam — sie versorgten die polnischen Postbeamten in Danzig mit Waffen, befahlen ihnen zu kämpfen und verurteilten sie damit zum Tode (obwohl ihr Opfer militärisch sinnlos ist). Dieses Szenario im Film provozierte einige Kritik an der Führung Polens in der Vorkriegszeit, ohne die Kommunisten herauszufordern. Diese Kritik erinnerte die Zuschauer daran, dass Polen vor 1939 kein Paradies war und seine Idealisierung nach dem Zweiten Weltkrieg war ein Zeichen der Opposition gegen den Kommunismus. In diesem Sinne könnte der Film, wenn auch nur teilweise, zu einer Umgestaltung des kollektiven Gedächtnisses einer Gesellschaft führe, die durch den Kreig ihre Unabhängigkeit verloren hat. Das Drehbuch von Lotna ist in der Realität des deutsch-polnischen Krieges von 1939 verwurzelt, aber auch Wajdas Film vermeidet jedwede politische Problematik. Vor allem zeigt es das Ende der großartigen, romantischen und edlen Tradition der polnischen Kavallerie, die als eines der Hauptmerkmale der alten Zeiten dargestellt wird, aber in Konfrontation mit der technisch überwaltigenden Deutschen Aoldaten, schlicht überholt ist. In Wajdas Film scheint diese Tradition mit dem stark mechanisierten, rücksichtslos brutalen Krieg, der 1939 begann, unvereinbar zu sein. Obwohl sein Film politisch nicht umstritten war, geriet Wajda in eine historischsymbolische Falle. Um seine Vision zu fördern, erschuf er eine symbolische Szene: Ein Schwadron polnischer Kavallerie greift deutsche Panzer an, wobei die Ulanen versuchen, die Panzer mit ihren Säbeln anzuschlagen.

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Diese Szene erinnerte an einen ähnlichen Ausschnitt aus einem deutschen Propagandafilm von 1940, Kampfgeschwader Lützow von Hans Bertram. Der Film entzündete somit eine heftige, politische Debatte über das Recht eines Künstlers, Symbole zu schaffen und zu verwenden, die Wurzeln schlagen, und anschließend falsche antipolnische Stereotype entwickeln und verstärken. Viele Zuschauer interpretierten diesen Teil von Wajdas Film wörtlich und nicht als Allegorie einer vergänglichen Welt. Infolgedessen wurde er oft beschuldigt, die Erinnerung an polnische Soldaten verleumdet zu haben, indem er sie genauso wie die Nazi-Propaganda als verantwortungslose, „romantische“ Verrückte zeigte. Zahlreiche Filmkritiker und Publizisten bezeichneten Lotna gar als unpatriotisch. Viele Jahre später fasste Wajda seine eigenen Lebensleistungen zusammen und vertrat die Ansicht, dass dies wahrscheinlich sein schlechtester Film gewesen sei und dass er bereit wäre, ihn erneut aufzunehmen. Trotz der Kontroversen ist es von Bedeutung, dass nach einer langen Zeit der Abwesenheit, die Soldaten, die 1939 die Unabhängigkeit Polens verteidigten, wieder auf der Kinoleinwand erscheinen könnten. Die Debatte über Wajdas Film zeigte, dass nach dem begrenzten politischen Durchbruch von 1956 der Beginn des Zweiten Weltkriegs als Thema der öffentlichen Diskussion akzeptiert wurde, obwohl die kommunistischen Behörden Polens weitere Einschränkungen beibehielten. Es war ebenfalls wichtig, dass die Obrigkeiten die Wichtigkeit des Themas Kriegsbeginn im polnischen kollektiven Bewusstsein als unbestreitbare Tatsache anerkennen müssten. Buczkowskis Film Orzeł erzählte weder eine ausschließlich wahre Geschichte, noch war er eine reine Erfindung. Zwar basierte der Plot teilweise auf tatsächlichen Erlebnissen der polnischen Marinensoldaten, man dürfte aber die Film-Charaktere auf keinen Fall als historische Figuren betrachten. Der Film sollte ein kleines Stück Menschenleben unter den Bedingungen eines schweren Einsatzes auf See während eines großen Krieges darstellen. Dieser Ansatz ermöglicht es Buczkowski, Fakten wegzulassen, die sowohl für die Behörden als auch für die Zuschauer unbequem wären. Die heldenhafte Odyssee des polnischen U-Bootes wurde als Abenteuer-Film erzählt. Dadurch konnte der Regisseur es vermeiden, über Kontroversen oder den breiteren Kontext der Internierung von „Orzeł“ in Estland und den Erfolg ihrer anschließenden Flucht aus Tallinn zu diskutieren. In Wirklichkeit traf die „Orzeł“ im estnischen Hafen ein, wo ihr unwohl gesonnener Kommandant das Boot verließ. Es ist bis heute nicht klar, ob er ein Feigling gewesen ist oder vielleicht ein deutscher Spion. Während des Aufenthalts des U-Bootes in Tallinn beschlossen die

MAGAZYN POLONIA 2019 15/16


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