Prawda #7

Page 25

26 wurde so zusammengefügt, dass es wie ein langes Interview zu einem Thema aussah. Das wurde dann unter den Fans direkt mit Link weitergegeben, das fand ich unangenehm. Einfach weil ich froh gewesen wäre, wenn sowas vergessen würde und es nicht noch mehr Leute lesen. Ich möchte nicht, dass da Journalisten das Gefühl vermittelt wird: „Du hast doch schon so viel darüber erzählt, dann erzähl doch noch ein bisschen mehr!“. Und das ist dann der Effekt! Journalisten recherchieren inzwischen fast ausschließlich im Internet und benutzen die Halbwahrheiten, die z. B. auf Wikipedia stehen. Um all diese Sachen im Internet gerade zu rücken, reicht meine Zeit nicht aus. Na ja, und im Moment diskutieren und spekulieren unsere Fans, da ja mit den Ärzten nicht viel passiert, natürlich wie rasend im Internet. Wir sind der Lebensinhalt von Tausenden von Leuten! Das treibt wahnsinnige Blüten. Inzwischen ist es zum Beispiel fast eine feststehende Tatsache, dass ich eine Schönheitsoperation gehabt haben soll. (fasst sich demonstrativ ins Gesicht) Aber hier ist alles echt, auch die ganzen Falten! Irgendwann stand das mal im St.-PauliForum drin – ich hab nicht nur Freunde bei den St.-Pauli-Fans. Die haben sich da tierisch drüber aufgeregt, und irgendwann ging das über meine Homepage auf andere Homepages, und jetzt bin ich zum ersten Mal schon im Interview danach gefragt worden. Und das ist es, was ich an dieser ständigen Nachrichtenut so wahnsinnig unangenehm nde: 80 Prozent der Sachen, die im Internet diskutiert werden, haben einfach weder Hand noch Fuß und sind überhaupt nicht wahr! Und natürlich habe ich auch Angst, dass irgendwann wieder Leute vor meiner Haustür stehen und meine Post oder meinen Müll durchsuchen. Das ist ja nicht mehr weit von der Geschichte mit dem Mädchen damals, das ständig vor Rodrigos, Farins und meinen Haustüren zugegen war, Post und Fotos geklaut hat und das auch vervielfältigt und an andere verschickt hat. Sie hat damals der BRAVO ein Interview gegeben und behauptet, dass Farin Urlaub sie geschlagen hätte.

prawda07_a02.indd 26

BELA INTERVIEW Das Internet ist ein sehr wichtiges Medium für die ärzte-Fans, um ihr Fantum auszuleben. Ja, es gab zum Beispiel ein Mädchen, das in einem Jahr 14.000 Einträge auf meiner Seite hatte. Da denke ich mir schon: „Wenn du 14.000-mal was auf meiner Seite reingeschrieben hast, kannst du überhaupt noch Schularbeiten machen oder dich sportlich betätigen oder irgendein anderes Leben führen?“ Und tatsächlich war es so absurd, dass sie irgendwann im Forum auch einen Thread aufgemacht hat, wo sie sich gerechtfertigt hat, dass sie auch noch Sportarten betreibt und ein Leben hat und im Chor singt und so. Das war eine ganz, ganz abgefahrene Geschichte. Wie ist es denn mit der Gruppe von Fans, die nur darauf warten, dass wieder etwas veröffentlicht wird und sie sagen können „Alles Scheiße, wann lösen sie sich denn endlich auf?“? Wir hatten in den 80er Jahren so viele Feinde: Der Feuilleton, ernsthafte Musiker, alles hat uns gehasst! Wir waren die Ärsche, wir waren die Kommerzschweine. Aber gleichzeitig konnten die Leute es auch nicht verstehen – weil wir den Leuten immer einen Schritt voraus waren, weil wir immer etwas gemacht haben, womit keiner gerechnet hat. Und dann in den 90ern haben irgendwann alle gesagt: „Hey, diese Band ist doch großartig!“ Alle konnten sich auf uns einigen, und es war total langweilig, über uns herzuziehen. Und jetzt geht es gerade wieder ein bisschen in die andere Richtung. Wenn sich wirklich alle auf dich einigen können, dann bist du Mutter Teresa, und das wollten wir nie sein. Was ich wirklich nicht verstehe sind die Fans, die glauben, dass sie besonders gute Fans sind, nur weil sie kritisch sind. Kritisch zu sein ist gut und wichtig, aber es gibt auch Leute – Fans! –, die alles immer grundsätzlich scheiße nden. Jeden Schritt, den die ärzte machen. Und das sind wohlgemerkt Fans. Man muss kritikfähig sein, wenn man in der Öffentlichkeit steht, aber man muss sich nicht die ganze Zeit beschimpfen

21.06.2010 13:14:04


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.