crescendo 6/2012, Premium Ausgabe Oktober/November 2012

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g e s e l l s c h a f t

Das Kapitel Bayreuth Alexander Busche gehörte von Mai 2008 bis Juli 2010 zum engsten Mitarbeiterkreis der Bayreuther Festspiele und galt als Vertrauter Katharina Wagners. Jetzt hat er ein Buch geschrieben und plaudert aus dem Inneren des verschlossenen Wagner-Clans. Wir drucken Auszüge exklusiv vorab. Es war für einen jeden von uns, der Gudrun Wagner gekannt, geliebt oder bisweilen auch gehasst hatte, völlig unbegreiflich, aber Gudrun Wagner hatte doch tatsächlich die Nacht vom 27. auf den 28. November 2008 im Bayreuther Klinikum nach einem Routineeingriff nicht überlebt, obwohl sie nach der Operation am Abend zuvor noch die Familie empfangen und dabei wohlauf gewirkt hatte. Der Schock saß tief für uns alle. Nach Weihnachten war Katharina für zwei Wochen nicht erreichbar, zog sich völlig zurück, weil sie mit dem damaligen Anwalt der Familie, einem der wenigen Vertrauten Gudrun Wagners und Jugendfreund Katharinas, Stefan Müller, genannt Mülli, den Schuh- und Kleiderschrank räumte und vermutlich bei genau dieser Tätigkeit die nun mögliche komplette Neuausrichtung der Bayreuther Festspiele erdachte. Als Katharina Wagner jedoch die erste Trauer sowie das Trauma der überquellenden Schuh- und Kleiderschränke ihrer Mutter überwunden hatte und endlich wieder an ihr Telefon ging, offenbarte sie mir, dass sie mich endgültig nach Bayreuth berufen wolle, um dort mit ihr und Mülli die BF Medien zu gründen und aufzubauen, die neue VermarktungsGmbH der Bayreuther Festspiele. (....) Die Gründung der BF Medien GmbH in Bayreuth rettete mich vor den für mich aus unterschiedlichen Gründen unerträglichen Arbeitsbedingungen am Theater Bremen. Namentlich tat Mülli (Anm.: Stefan Müller, Anwalt und Vertrauter der Bayreuther Festspiele) das, weil ich niemals wirklich den Mumm gehabt hätte, mich nach nur acht Monaten als Leiter einer neuen Abteilung Sponsoring und Development, in die vom Intendanten alle finanziellen Hoffnung des Theaters gesetzt wurde, vor den nicht selten cholerisch-unberechenbaren Mann zu stellen und ihm freudestrahlend ins Gesicht zu sagen: „Das war‘s! Ich geh‘ dann mal nach Bayreuth.“ Das tat also Mülli per Telefon. (...) Nach einem einwöchigen Arbeitsauf58

enthalt über den Geburtstag meiner neuen Chefin im Mai auf Gran Canaria – eine Tradition, die so sicher in Katharinas Kalender fixiert ist wie der alljährliche Beginn der Festspiele am 25. Juli – zog ich in das Gartenhaus der den Hügel regierenden Wagners. Das mag vielleicht verwundern, aber es musste eben schnell gehen und sollte wenig kosten. Das würde ja auch wiederum das zu zahlende Einkommen mindern und dabei helfen, die BF Medien nicht von Anfang an finanziell zu sehr zu belasten. Darüber hinaus hatte der Wohnungsmarkt in Bayreuth nicht wirklich etwas Vergleichbares wie meine vorherige Wohnung mit Blick auf den Bürgerpark Bremen zu bieten. Was mir beim Einzug noch nicht wirk-

Nach einem einwöchigen Arbeitsaufenthalt über den Geburtstag meiner neuen Chefin im Mai auf Gran Canaria – eine Tradition, die so sicher in Katharinas Kalender fixiert ist wie der alljährliche Beginn der Festspiele am 25. Juli – zog ich in das Gartenhaus der den Hügel regierenden Wagners.

dem Bett zu klopfen und mich zu ermahnen, dass ich ja gerade gar nicht telefonisch erreichbar sei für Katharina. Schöne neue Gartenhauswelt! Es dauerte nicht lange, und die Asseln, die das leicht feuchte, weil unbeheizte und ansonsten unbewohnte – eigentlich gerade im Winter auch unbewohnbare – Gartenhaus für sich als Eigenheim in Anspruch genommen hatten, wichen meiner plötzlichen Dauerpräsenz. Den nicht mehr beheizbaren Kachelofen, der fast ein Viertel der Gesamtfläche des kleinen Einzimmerhauses einnahm und an dem der ehemalige GauLeiter noch mit seinen Saufkumpanen die Nächte durchzecht hatte (das Gartenhaus gehörte ehemals zum Grundstück der heute nicht mehr existenten Gau-Leiter-Villa südlich des Wagner-Grundstücks), eben diesen Kachelofen mit seinen wunderbar rustikalen Holzbänken und gemalten Bäuerinnen überzog ich an den Seitenflächen mit weißem Flokati. Das sah in Kombination mit dem orangefarbenen Space-Age-Sofa sehr stylish aus. So wurde aus dem Gartenhaus die Flokati-Hölle: Für Mülli und seine besondere, von mir so sehr geschätzte Art des Humors in der nun recht flauschig-softschwulen Anmutung die gerechte Rache an dem hier zechenden Gau-Leiter; für mich die logische Folgerung stilvollen Einrichtens.

Mülli war eine wichtige Person für mich in den Anfängen meiner BayreuthZeit. Er war der engste Vertraute der Wagners und bald auch ein enger Freund von mir. Das brachte mir den Vorteil, stets bei ihm Rat suchen zu können, wenn ich die Wagner’schen Weltansichten nicht mehr verstand. Er war es nicht nur, der es ermöglichte, die ersten Monate meiner Bayreuth-Zeit überhaupt zu überstehen und lich klar war: Nun war ich zu jedem Zeit- die Mechanismen so zu begreifen, dass punkt meines Lebens für die zukünftige ich damit umgehen konnte. Nein, er war Festspielleiterin greifbar. Natürlich keines- eigentlich auch der einzige, der mich regelfalls immer persönlich, aber irgendjemand mäßig in meinem Gartenhaus besuchte. fand sich immer, um am Sonntagmorgen Katharina hatte ganz offensichtlich kein gegen zehn an mein kleines Fenster über Interesse daran zu sehen, wie ihr Mitarwww.crescendo.de

Ok tober / November 2012