concerti - Das Hamburger Musikleben September 2010

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Ihrem Leben eine so herausragende Rolle spielen sollte. Der Tipp kam nicht von ihm. Nein, überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. als ich bei ihm studierte und lebte, beschäftigten wir uns intensiv mit Philosophie und religion, auch mit vielen Komponisten, Programmideen etc. Messiaen glaubte, zu seiner Musik würden am besten Mozart und Bach passen. ich fragte ihn einmal, ob wir nicht auch Bruckner berücksichtigen sollten, und er antwortete: Hm, vielleicht besser nicht… das war für ihn keine organische Kombination. Hat er sich überhaupt jemals explizit zu Bruckner geäußert? doch, das hat er. Er konnte ziemlich kritisch sein, insbesondere was die Struktur und Form betraf und die eigentümliche art der instrumentation. Von außen sehen wir natürlich sehr viele Ähnlichkeiten zwischen Bruckner und Messiaen: die Hingabe an die Kirche, die inspiration, die orgel, die beider instrument war – ich war damals sehr überrascht zu hören, dass in seinen augen diese Nähe gar nicht bestand.

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Es gibt derzeit ein Revival für Spirituelles, auch in der Musik. Hat das eventuell mit Messiaen zu tun? ich nehme ein solches revival nicht so wahr, aber es gibt sicher einen trend zur offenen Expression. da können nach wie vor Werke von profunder Schönheit entstehen. ich suche sehr vorsichtig nach Werken, deren Qualitäten wirklich exzeptionell sind. das ist bei neuer Musik natürlich bedeutend schwieriger als beim klassischen repertoire; wir können nicht genau wissen, welche zeitgenössischen Werke überleben werden. Welche techniken ein Komponist anwendet, ist dabei weniger interessant. die technik ist nicht die Essenz. Es wird oft behauptet, dass es die zeitgenössische Musik in den USA weitaus schwerer hat als etwa in Deutschland oder Frankreich.

Foto: Lukas Beck

Man muss sicher nicht Katholik sein, um Bruckner und Messiaen zu verstehen, aber hilft es nicht, wenn man aus einer christlich geprägten Gesellschaft kommt? danach wurde Messiaen oft gefragt. Er sagte Nein und verwies auf Bach, den auch NichtProtestanten lieben. Natürlich war Messiaen zutiefst inspiriert vom Glauben, aber wenn er ein Werk vollendet hatte, sollte es das Publikum aus der eigenen Perspektive begreifen, nicht aus der Perspektive Messiaens. die Menschen schaffen sich ihren eigenen, persönlichen Kontext. die Meisterwerke der Schönen Kunst stehen, wenn sie exzeptionell sind, über der Zeit. ihre Geltung ist nicht abhängig von den Umständen ihres Entstehens. Fehlender Glaube bedeutet übrigens keineswegs, dass auch die Sensibilität für Spirituelles fehlt.


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