beleuchten. Schon der Titel des Manuskripts ‹Zwischen Tell und Gessler› deutet die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg: schwankend zwischen den Idealen von Schillers Tell, mit einer Schweiz als Hort der Freiheit, und einer antijüdischen Flüchtlingspolitik, die eher zur Staatsraison eines Landvogts Gessler passte. Lange Jahre blieb das nur als Typoskript in wenigen Exemplaren vorhandene Tagebuch unveröffentlicht. Fast ein halbes Jahrhundert nach der Redaktion durch Felix Stössinger übergab dessen Stiefsohn Hans Freisager eine Kopie des Tagebuchs dem Journalisten und Historiker Stefan Keller. Der hatte mit der Reportage ‹Grüningers Fall› 1993 die Geschichte des St. Galler Polizeihauptmanns und Fluchthelfers Grüninger aufgearbeitet und so dessen Rehabilitierung durchgesetzt – was damals auch ein Anstoss zu einer vertieften Beschäftigung mit der schweizerischen Flüchtlingspolitik war. Keller machte Ende der neunziger Jahre Simon Erlanger, Mitherausgeber der vorliegenden Edition, auf das Tagebuch aufmerksam, worauf es Erlanger als eine Quelle für seine 2006 erschienene Dissertation zum System der schweizerischen Arbeitslager und Heime verwendete. Durch diese Arbeit wurde Mitherausgeber Peter-Jakob Kelting auf das Manuskript aufmerksam, der es wiederum Beat von Wartburg von der Christoph Merian Stiftung vorlegte. Von Wartburgs Begeisterung für das Tagebuch ist es zu verdanken, dass es nun im Christoph Merian Verlag veröffentlicht und damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird. Die vorliegende Ausgabe umfasst den ganzen ungekürzten Text des Tagebuchs, nebst zusätzlichen Artikeln und Essays, welche die Flucht Stössingers aus Wien und Prag schildern und die Stellung der Flüchtlinge in der Schweiz thematisieren.* Wo es die Herausgeber als nötig erachteten, wurde der Text durch kurze *
Das Originaltagebuch besteht aus zwei broschierten Bänden, die drei Teile enthalten. In dieser Publikation veröffentlicht werden der gesamte erste und zweite Teil, ausserdem drei Aufsätze aus dem dritten Teil. (Anm. d. Hg.)
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