chilli – das Freiburger Stadtmagazin

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Clueso

Alligatoah

Pop

Rap & Breakbeat

Handgepäck I

Schlaftabletten, Rotwein V

Der Sounddreck ... ... zum Ende des Sommers Titel: Baustellaaa Song Urheber: Salihu u.a. Jahr: 2016

Auf Reisen

Schnurrbart statt Sturmmaske

(tln). Das achte Album von Clueso ist kein gewöhnliches: Mit „Handgepäck I“ nimmt der Erfurter mit auf rund zehn Jahre über Stock und Stein. Die 18 Tracks sind alle unterwegs entstanden. Der Musiker hat sie gesammelt und jetzt gebündelt veröffentlicht. Kleine akustische Nummern sind das. Clueso hat sie geschrieben in Hotelzimmern, an Flughäfen, hinter Bühnen. Alle Instrumente hat er größtenteils selbst eingespielt, alle Lieder eigenhändig abgemischt. Musikalisch ist Clueso auch hier unverkennbar: die leicht heisere Stimme, die flüsternden Gitarren, nachdenkliche Texte. 2014 stand er an der Spitze der Charts. Mit seiner sympathischen, ehrlichen Art hat er viele Herzen gewonnen. Auch die neue Platte dürfte seine Fans entzücken. Die „ergreifendste und intensivste Musik, die er bisher gemacht hat“, heißt es im Pressetext. Ohne Superlative kommt so etwas nie aus. Doch ergreifend ist Clueso definitiv. In „Paris“ erzählt er von einer Reise nach seiner ersten Headliner-Show. „102“ ist im Hotelzimmer auf einer Tournee mit Udo Lindenberg entstanden. „Landstreicher“ ist ein staubiger Bluestrack. „Ich bin nichts weiter als ne Schildkröte / trag seitdem ich denken kann auf meinem Rücken mein Haus“, singt Clueso. Wer ihm dabei nah sein will, kann das mit dieser Platte tun.

(pt). „Wir sind back!“ So meldete sich Rapper und Produzent Lukas Strobel bereits anno 2007 auf der zweiten toxischen Ausgabe von „Schlaftabletten, Rotwein“. Damals noch im Gewand der beiden Terroristen Kaliba 69 und DJ Deagle, versteckt unter der Sturmmaske seiner letzten Go-Kart-Fahrt. Jetzt ist Strobel auf seinem fünften Album als Alligatoah wieder zurück. Wie damals kreuzt der Musiker mit genreuntypischen Melodien den Battlerap und ist doch mehr Barde als Rapper: „Deine Hoe redet schon wieder über Präservative / Ich habe mit meiner Hoe ein Gespräch über Nietzsche.“ Die Philosophie: Überzeichnete Charaktere in aberwitzigen Reimketten und verrückten Vergleichen gegen Klischees und Konventionen antreten lassen. Wie zu Mixtapezeiten sind Strobels Texte krude und clever, alten Fans aber vielleicht zu geschliffen. Sie erinnern sich: 2013 legte der selbsternannte Terrorist seine Sturmmaske ab und ließ mit „Willst du“ eine Chart-Bombe platzen. Er schnupperte nach dem Kellermuff der Anfangsjahre verdiente Chartluft. Heute ist der Rauch verzogen, auch weil Strobel – irgendwie doch Rapper – den Dunstkreis des Pop erfolgreich vermieden hat. StRwV ist ein kleiner Knaller. Musikalisch nicht besonders eingängig, geht das Album kaum in die Beine. Es geht in den Kopf.

Wir alle kennen Karlheinz Stockhausens „Kurz­wellen“. Eine Komposition, in der neben wenigen anderen Instrumenten sechs Kurzwellenradios von sechs Musikern gespielt wurden. Ein kontrovers und viel diskutiertes Stück der Moderne. Auf Südbadens Baustellen hingegen: Alltag. Wo wird am meisten Musik gehört? In der Oper? In der Disko? Zu Hause oder im Supermarkt? Nein. Wie seit Urzeiten ist die Baustelle der Ort der Musik. Jeder Handwerker hört seinen eigenen Regionalsender. Es entsteht eine wunderbare Kakophonie für eine unbestimmte Zahl Radios. Wenn alle Werkzeuge versagen – das Baustellenradio läuft immer. Die „Kurzwellen“ werden täglich in den Schatten gestellt, dabei vermischen sich internationale und lokale Musikhintergründe zu einer neuen Moderne. Wegen dieses Verdiensts lassen wir die Bauwirtschaft in Frieden. Bei Tatbeständen wie dem folgenden müssen wir jedoch einschreiten: „Habe selbst geschriebe im Kopfe diese Text, / Was bei mir normal ist wie eine Reflex. / Meine halbe Leben mit Baustell verbracht. / Gebäude sanieren, Straße reparieren, / Mitarbeiter schlagen weil wir jeden Tag blamieren. / Ich liebe meine Arbeit Mädchen kannst Du glauben, / Also kucke nicht bei mir mit Deine hässliche Augen. / ... Kuck nicht meine Schaufel auch nicht Maschine, Sonst schlag ich deine Vater, deine Bruder und deine Cousine / Die kleine Blondine – Die aussieht wie eine Gardine.“ Das hat Stockhausen nicht gemeint. Wirklich nicht. Sei schlau, geh zum Bau. Aber bring gescheite Mucke mit. Für die Freiburger Geschmackspolizei, Benno Burgey


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