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Auch der Zeitgeist hat seine Grenzen

Einem Kollegen hat‘s jüngst den Deckel gelupft. In einem gemäss Selbstdeklarierung trendigen, coolen, styligen, angesagten, zeitgeistigen und hippen Hotel funktionierte beim Self-Check-in einfach nichts. Wo der Fehler lag, interessierte den erfolgreichen Jungunternehmer nicht. Viel mehr hätte ihn interessiert, wer ihm helfen könnte. Nach einer gefühlten Ewigkeit, so der Kollege, erschien dann doch noch ein betont auf leger machender junger Mann und meinte: «He du, du hast‘s wohl nicht geschnallt.» Das war zuviel. Einer, der ihn zu allem Frust auch noch duzte: Der Kollege machte rechtsumkehrt und wird das Hotel nie wieder betreten. Gestresst, wie er war, mag er überreagiert haben, aber wir sind damit bei zwei Themen, die in der Hotellerie mit dem Ende der Pandemie wieder an Bedeutung gewonnen haben: die Digitalisierung und das Duzen.

Versuche mit dem Self-Check-in gab es in der Schweiz schon vor drei Jahrzehnten. Sie wurden grossspurig angekündigt und kleinlaut wieder eingestellt. Mittlerweile hat die Technologie Quantensprünge gemacht. Und das Self-Check-in hat durchaus seine Vorteile. Dann etwa, wenn man keine Lust auf Gespräche hat. Oder wenn man unbemerkt mit jemandem für ein Stündlein oder zwei ins Zimmer verschwinden möchte. Die Nachteile: Man schleppt das Gepäck selbst und steht eben mit abgesägter Hose da, wenn die Elektronik klemmt. In Städten hat das Self-Check-in aber durchaus gute Chancen – sofern die Preise entsprechend tief sind. Denn im Grunde genommen wird vom Gast verlangt, dass er die Arbeit des Hoteliers übernimmt. In der Ferien- wie auch in der Luxus-Stadthotellerie freilich, wo dem persönlichen Kontakt und dem Verwöhnfaktor ein ganz anderer Stellenwert zukommt, wird sich das Modell nicht durchsetzen.

Ganz ähnlich ist es beim Duzen. In urbanen Szenehotels ist das kein Problem, sofern es nicht kumpelhaft wirkt. «Bei uns duzen wir die Gäste», sagt Lukas Meier, innovativer junger Chef der beiden trendigen Zürcher 25hours Hotels. «Falls ein Gast das aber nicht möchte, wird das selbstverständlich respektiert und wir machen in seiner Kartei auch einen entsprechenden Vermerk, damit er beim nächsten Besuch mit Sie angesprochen wird.» In der Luxushotellerie anderseits wird es das Du nicht geben. Weder in den Bergen noch in der Stadt. Jean-Yves Blatt, General Manager im The Chedi Andermatt und Hotelier des Jahres 2020, sagt stellvertretend für seine Kollegen in der Tophotellerie: «Aus Respekt und Höflichkeit duzen wir unsere Gäste nicht.»

Beat Kuhn, Mitgründer der Hotelmarke Stay Koook mit zwei Häusern in Bern, meinte jüngst im Fachblatt «hotelrevue», dass sich Mitarbeiter und Gast erst mit der Du-Kultur auf Augenhöhe begegnen. Das ist, mit Verlaub, Mumpitz. In der gehobenen Hotellerie begegnen sich alle schon längst auf der vielbemühten Augenhöhe. Die geht aber gerade dann erst recht und komplett flöten, wenn ein Gast einen Hotelangestellten mit Du zusammenstaucht. Und noch einmal irrt der gute Beat Kuhn. Er glaubt, wenn es um die Unterstützung der Gäste gehe, seien die Hosts in seinen Hotels, aber auch digitale Angebote wichtiger als ein Concierge. ***

Meine Erfahrung zeigt exakt das Gegenteil. Hostessen kommen und gehen, viel Wissen eignet man sich so nicht an. Tipps aus dem Internet sind zudem alles andere als zuverlässig und oft veraltet. Concierges aber müssen für die Mitgliedschaft im Berufsverband Les Clefs d‘Or hohe Anforderungen erfüllen, bleiben meist lange und geben ihr Wissen weiter. Ihr Beziehungsnetz ist einzigartig. Für ihre Gäste kriegen sie – nur so als Beispiel – beim besten Italiener noch einen Tisch, obwohl der eigentlich längst ausgebucht ist. Weil man sich halt kennt. Nicht umsonst geniessen Concierges, zunehmend auch weibliche, in der Branche einen extrem hohen Stellenwert. Viele haben gar Kultstatus erreicht. Auch und gerade bei jungen Gästen. Das wird noch lange so bleiben. Zeitgeist hin oder her.

Karl Wild

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